Gestern konnten sie den Wagen endlich abholen. Jetzt stand er in der geräumigen Garage: ein funkelnagelneuer weißer Multivan . …
»Tja«, kommentierte Anna mit ironischem Unterton, als sie das große Geburtstagsgeschenk beäugte. »Geldsorgen habt ihr nun wirklich keine, wenn ihr euch den Luxus eines dritten Autos leisten könnt. Hhm, der ist echt schön und vor allen Dingen praktisch. Da könnten wir auch mal mit mehreren was machen. Cool.«
»Und wenn du deinen Führerschein hast, kannst du dir eins der Autos ausleihen und damit zur Schule fahren.«
Amüsiert beobachtete er, wie sie eine vermeintlich beleidigte Schnute zog.
»Schade, mein Prinz, ich hatte angenommen, dann schenkst du mir ein Eigenes.«
»Wir werden sehen, Süße.«
Sie riss die Augen auf. »Bist du verrückt? Das war doch nur ein Witz! Natürlich wünsche ich mir kein Auto von dir!«
»Ein Witz also, hhm-hhm, wir werden sehen.« Viktor grinste sie frech an. Obgleich bis zu Annas achtzehnten Geburtstag noch einige Tage – naja, mehr als ein halbes Jahr – ins Land gehen sollten, fand er großen Gefallen an der Vorstellung, wie sehr sie sich über ein Auto als Geschenk aufregen würde. »Wir werden sehen«, wiederholte er deshalb zum dritten Mal und küsste sie rasch, damit sie nicht weiter protestieren konnte.
***
Oben im Esszimmer deckte Ketu derweil den Frühstückstisch. Er hatte die neue »Familienkutsche« bereits am Tag zuvor bewundert und nahm sich nun Zeit, um Viktoria ein wenig zu entlasten. Vitus und Loana würden sicher bald kommen. Außerdem waren nach dem Frühstück die Vorkehrungen für das mittägliche Geburtstagsessen zu treffen.
Sie hätten besser im Schloss feiern sollen, überlegte Ketu. Viktoria hätte dann mehr von ihrem Festtag. Sie als Perfektionistin würde bestimmt die ganze Zeit über herumrennen und herumwuseln wollen. Es würde schwer werden, sie davon abzuhalten, doch er wollte es versuchen.
Schließlich hatte er es ja auch sehr erfolgreich geschafft, Viktoria in der Nacht von ihren Grübeleien zu Tischdeko und Sitzordnung abzulenken. Außerdem hatte er ihr bereits am frühen Morgen sein Geschenk überreicht.
… Sein Gesicht verzog sich zu einem strahlenden Lächeln, als er daran dachte, wie Tränen in ihren Augen geglitzert hatten beim Anblick des ebenso glitzernden Colliers, des Armbandes und der passenden Ohrringe.
Es mochte vielleicht abgegriffen sein, seiner Liebsten zum Geburtstag Schmuck zu schenken. Doch Viktorias Freudentränen verrieten Ketu deutlich, dass sie das überhaupt nicht für abgegriffen hielt. Sie ließ sich von ihm den Schmuck anlegen, den sie dann im Spiegel eingehend betrachtete und mit den Fingern zärtlich darüber strich. Über das feine Gold, die funkelnden Diamanten, feurigen Rubine.
Daraufhin drehte sie sich zu ihm um, ihn mit einem Blick bedenkend, in dem das gleiche Feuer wie in den Edelsteinen loderte. Sie schob die hauchdünnen Träger ihres aufregenden Seidennachthemdes von den Schultern, sodass der feine Stoff an ihr hinunter zu Boden glitt und sie nur noch den Schmuck für ihn trug. Was darauf folgte, war überwältigend und berauschend. …
***
Ketu rutschte ein Wasserglas aus der Hand – und jemand anderes fing das Glas auf, bevor es zu Boden ging.
»Du bist wohl in Gedanken?« Trotz des leicht belustigten Untertons blieb Sentrans Miene wie üblich ernst. »Lass mich dir helfen.«
»Danke, mir war nur kurz etwas in den Sinn gekommen.« Ketu räusperte sich.
Indes stand Vitus mit Loana in der Tür und kommentierte die Szene zunächst mit einem milden Lächeln. »Nur kurz ist gut, Ketu«, spöttelte er dann vergnügt. »Du hast ja nicht einmal mitbekommen, dass wir geläutet haben, wie es sich gehört. Es ist wie verhext: Entweder vergesse ich zu klingeln, oder es kommt einfach niemand, um die Tür zu öffnen. Wo sind denn die Geburtstagskinder?«
»Hm?« Ketu war offenbar immer noch nicht ganz aus seinen Träumereien aufgetaucht. »Oh, die sind in der Garage und zeigen Anna den neuen Wagen. Sie müssten eigentlich schon wieder zurück sein.«
Wie aufs Stichwort erschienen die drei und die Zwillinge wurden von ihrem Vater liebevoll in die Arme geschlossen. Er hatte sich ihnen selten rührselig gezeigt, doch nun hielt Vitus seine Kinder weiterhin fest und bekam glänzende Augen.
»Herzlichen Glückwunsch, ihr beiden. Und alles Liebe dieser und unserer Welt.« Verstohlen wischte er sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Es ist schwer, zwei Königskindern, die schon Alles haben, etwas zu schenken. Und wenn ich sage, dass ihr Alles habt, dann meine ich nicht nur die materiellen Werte. Ihr habt die Liebe gefunden, seid gesund und glücklich. Dass ihr jederzeit zu mir auf den Thron steigen könnt, das wisst ihr ja bereits. Also, was schenkt man euch?«
Statt einer Antwort brachte Vitus zwei in hauchfeines weiß-goldenes Papier eingeschlagene schmale Pakete zum Vorschein. Beide nahmen sie dankend entgegen. Als sie ihre Geschenke aufmachten – Viktor mit einem ungeduldigen Zerreißen des Papiers – Viktoria hingegen mit geduldigen, geschickten Fingern – hielten sie jeder eine in Silber gerahmte Fotografie in der Hand: Ihre Mutter, eindeutig schwanger mit den Zwillingen, stand unter einem leuchtenden Herbstbaum und warf ihnen lächelnd eine Kusshand zu. Sie war wunderschön.
»Ich habe die alten Kisten, die ich seinerzeit auf den Speicher verbannt hatte, ein wenig durchstöbert. Euer Urgroßvater, Leonard Müller, hatte sie mir kurz vor seinem Tod überlassen. Bis vor ein paar Tagen habe ich sie nie angerührt. Ich konnte es einfach nicht. Es gibt Filme, Fotoalben und Briefe von eurer Mutter. Die Sachen sind schlichthin bezaubernd und erzählen so viel über sie. Ich denke, es wird höchste Zeit, dass ihr mehr über sie erfahrt. Deswegen möchte ich mir das alles mit euch gemeinsam ansehen. Endlich bin ich in der Lage dazu, euch eure Mutter nahezubringen.«
Jetzt rollten doch ein paar Tränen über seine Wangen. »Es tut mir leid, dass das erst nach neunzehn Jahren geschieht, aber …«
Viktoria fiel ihrem Vater um den Hals. »Schscht, nicht«, flüsterte sie heiser. Auch sie schien den Tränen nahe zu sein. »Du bist jetzt hier, hier bei uns. Alles andere ist Vergangenheit. Und danke, Vater, das Foto ist so wunderbar. Ich kann gar nichts weiter dazu sagen.«
Ebenso sichtlich gerührt nahm Viktor ihn in den Arm. »Danke.«
Vitus holte einmal Luft. »Nun denn. Ähm, der Kaffee wird kalt. Wir sollten jetzt frühstücken.«
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