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Nicht mehr raus kommt am 25. Juni auch eine russische Kampfgruppe, die ostwärts Bielsk von Einheiten der deutschen 137. Infanteriedivision 33umfasst ist. In der Falle sitzen rund 800 Todgeweihte. Die Kanoniere der I. Abteilung/Artillerieregiment 137 fahren ihre Geschütze in offener Feuerstellung auf, um die Russen vor der Front zusammenzuschießen. Im direkten Richten schießen die 12 leichten Feldhaubitzen, Kaliber 10,5 Zentimeter, in den dicht gedrängten Feind. Dadurch können die Artilleristen, anders als beim Schießen aus festen Stellungen hinter der Hauptkampflinie, die Wirkung ihrer Geschütze mit eigenen Augen beobachten. Wo eine der fast 15 Kilo schweren Granaten mit lautem Krachen explodiert, wirken die Splitter noch im Umkreis von 30 bis 40 Metern. Werden Abpraller geschossen, regnet es auch von oben heiße, scharfe Metallteile, die bis 60 Meter Entfernung Tod und Verstümmelung bringen. Mitleid mit den Russen gibt es nicht, ganz im Gegenteil: Die Männer berauschen sich geradezu an der überwältigenden Wirkung ihrer Vernichtungsmaschinen, hören nicht auf zu feuern.
Hoch zu Ross erlebt der Chef der 3. Batterie, Hauptmann Meyer, die Begeisterung seiner Artilleristen. Und er sieht die verheerende Wirkung drüben bei den Russen. So muss es 1870 bei Sedan gewesen sein, geht es ihm durch den Kopf. Der Befehl zur Einstellung des Feuers ergeht erst, als der Beschuss auch eine eigene Einheit in der Flanke zu gefährden droht. Besorgt beobachtet Meyer, wie sich eine der deutschen Batterien bereits zur Gegenwehr einrichtet. Eine in letzter Sekunde abgeschossene weiße Leuchtkugel signalisiert den Kameraden, dass hier eigene Truppen stehen. Dennoch gelingt es dem Batteriechef nur mit Mühe, das Feuer seiner Männer zu stoppen. Beinahe widerwillig kommen sie dem Befehl nach. Menschenverachtung im Rausch der Vernichtung. Keine Gnade, schlage! Denn es ist Krieg.
Als sich der nach Schwefel stinkende und in den Augen brennende Pulverdampf verzogen hat, können die Buchhalter des Krieges Inventur auf dem Schlachtfeld halten. Der Kampfbericht der 137. Infanteriedivision vermerkt nur 150 gefangene, aber über 500 gefallene Russen.
Das Fazit lautet: „Feind restlos vernichtet.”
Bei Schlobin erleiden allerdings auch die Deutschen empfindliche Verluste. Die 4. Kompanie/Panzerregiment 6 fährt in einen Hinterhalt. In einem Kornfeld, bestückt mit Minen, Panzerabwehrkanonen (Pak) und Tanks, schnappt die Falle zu. Die Russen erweisen sich als Meister der Tarnung und eröffnen das Feuer aus kürzester Entfernung. Über die 13 Kampfwagen unter dem Kommando von Oberleutnant Brodowski kommt die Hölle. Die Einheit der 3. Panzerdivision wird zusammengeschossen. Auch der Kampfwagen des Kompaniechefs ist getroffen und brennt. Zwar kann Brodowski im letzten Moment noch lebend aus den lodernden Flammen gezogen werden. Aber seine Brandverletzungen erweisen sich als so schwerwiegend, dass der Kommandeur Tage später den Verwundungen erliegt. Daneben fallen 22 weitere Panzersoldaten, 36 werden verwundet. Ganze drei Tanks und ihre Besatzungen kommen an diesem schwarzen Tag der 4. Kompanie/Panzerregiment 6 unbeschadet davon – drei von 13! 34
Die Panzergruppe 2 bleibt trotz der blutigen Scharmützel auf der Siegerstraße. Der Amboss wird unaufhaltsam in Richtung Hoth gestoßen. Am 27. Juni rollen die Kampfwagen der 17. Panzerdivision an den Südrand von Minsk. Zu jener Zeit stellt der Panzer III mit 965 Kampfwagen die Hauptwaffe der deutschen Panzerdivisionen an der Ostfront. Nach Guderians Grundsätzen muss ein Tank die drei konkurrierenden Faktoren Panzerung, Bewegung und Feuer (Bewaffnung) möglichst optimal in Einklang bringen. Eine echte Herausforderung für die Konstrukteure. Denn eine starke Panzerung bedeutet viel Gewicht und geht auf Kosten der Beweglichkeit. Der Panzer III gilt mit 21,5 Tonnen Gewicht als mittlerer Kampfwagen. Ein 320 PS starker Benzinmotor sorgt für eine Geschwindigkeit von bis zu 55 km/h. Die Primärwaffe bildet eine 3,7 oder 5-Zentimeter-Kanone. Zwei MG ergänzen und verstärken die Feuerkraft, speziell im Nahbereich. Fünf Mann stellen die Besatzung des Panzers: Der Kommandant befehligt vom Turm aus über Kehlkopfmikrofon, der Funker sorgt für die Kommunikation und MG-Bedienung, der Richtschütze visiert Feindziele an – weiche mit Sprenggranaten, harte mit Panzergranaten – der Ladeschütze führt die Geschosse nach, und der Fahrer steuert den Tank.
Die Deutschen legen den Schwerpunkt auf die Beweglichkeit. Nach dem Krieg wird vielfach beklagt, dass vor allem die Feuerkraft der deutschen Kanonen zu gering gewesen sei. Angesichts der stark gepanzerten und mit großkalibrigen Rohren bestückten russischen Typen T 34 sowie der schweren und überschweren KW 1 und KW 2 ist der Einwand auch gewiss nicht von der Hand zu weisen. Andererseits konnten die deutschen Panzer Frankreich in sechs Wochen überrollen und sollen noch bis vor die Tore Moskaus fahren – eine Erfolgsgeschichte ohne Beispiel. So unterlegen, wie oft und dramatisch dargestellt, kann das deutsche Material jedenfalls kaum gewesen sein. Zumal die schweren russischen Tanks 1941 keine Massenerscheinung und mit mangelhaften Zieloptiken ausgestattet sind. Es stehen zwar gut 10.000 Panzer im Westen der Sowjetunion kampfbereit. Davon jedoch nur rund 1.300 T 34 und KW, noch dazu „verkleckert“ über die gesamte Front.
Es darf nicht vergessen werden, dass ein schwerer deutscher Panzer mit größerem Kaliber vergleichsweise wenig wendig gewesen wäre, aber umso durstiger in Sachen Benzinverbrauch. In Anbetracht der katastrophalen Straßen in Russland, die sowohl den Vormarsch der Kampftruppen als auch den Nachschub der Trosse gleichermaßen beeinträchtigen, nicht eben die bessere Alternative, wohl aber eine teurere. Der zusätzliche Materialaufwand bei der Produktion wäre womöglich auf Kosten des Ausstoßes, der Stückzahl an verfügbaren Panzern, gegangen. Eine weitere nummerische Unterlegenheit hätte sich aber noch viel fataler ausgewirkt als die schwächere Bewaffnung.
Im Grunde ist das eigentliche Versäumnis weder beim Panzer III, auch nicht beim leichteren Panzer II oder bei einem fehlenden schweren Modell zu suchen, sondern beim Panzer IV. Denn ein entscheidendes Detail passt hier nicht. Der mit 23 Tonnen schwerste deutsche Typ ist zwar mit einer 7,5-Zentimeter-Kanone bestückt, allerdings der kurzen. Dadurch verlassen die abgefeuerten Granaten das Rohr weniger rasant – der Fachmann spricht von einer geringen V0. Die Stummelkanone des Panzer IV sorgt nicht für die nötige hohe Anfangsgeschwindigkeit der Geschosse, um eine möglichst gestreckte Flugbahn zu erzielen. Entsprechend gering ist die Durchschlagswirkung und Treffsicherheit, vor allem im Gefecht auf größere Entfernungen. Der baugleiche Typ, aber ausgestattet mit der 75-Millimeter-Langrohrkanone, so wie er ab 1942 an die Front kommt, hätte der deutschen Tankabwehr im entscheidenden Anfangsstadium des Krieges viel Blut gespart. Die 439 Panzer IV wären dann tatsächlich das mobile Rückgrat der Verteidigung gegen die mächtigen russischen T 34 und KW gewesen. So fährt der schwerste deutsche Typ eher als eine Art rollender Artilleriebunker in das Unternehmen „Barbarossa“. Für den Kampf Panzer gegen Panzer ist der „Stummel” nur bedingt geeignet. Erst im Nahgefecht, auf Entfernungen von wenigen hundert Metern, kann er die Armierung der sowjetischen Stahlkolosse durchschlagen. Aber selbst das gelingt oft nur dann, wenn der Richtschütze die „weicheren“ Stellen, etwa die Entlüftungsklappen, trifft. Zu einem probaten Mittel der deutschen Tankabwehr wird auch das Zerschießen der Ketten.
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Kurt Knispels 35Panzer IV gehört zur I. Abteilung, Panzerregiment 29. Die Einheit zählt zur 12. Panzerdivision und stößt im Rahmen der Panzergruppe 3 von Norden auf Minsk vor. Am 26. Juni erreicht Knispel, der abwechselnd als Lade- und Richtschütze fungiert, den Stadtrand. Knapp kommen die Befehle des Kommandanten.
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