Ostfront 1942/43
Erlebnisse aus dem Russlandfeldzug
Von Stalingrad bis Kursk
Impressum
published by: epubli GmbH, Berlin
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Copyright: © 2014 Henning Stühring
ISBN 978-3-8442-8271-9
Cover: Bundesarchiv, Bild 101I-218-0529-07
Kartenskizzen: Dieter Weyand
Grafik & Gestaltung: Henning Stühring
Vorwort
I. Vorgeschichte
Frühjahr 1942
Weichenstellungen
II. Ouvertüren im Süden
08.05.1942-03.07.1942
Kertsch, Sewastopol, Charkow
III. Blutige Nebenfronten
06.05.1942-23.11.1942
Brennpunkte bei den Heeresgruppen Nord und Mitte
IV. „Fall Blau“
28.06.1942-25.07.1942
Vom Donez zum Don
V. Das Kaukasus-Abenteuer
26.07.1942-27.12.1942
Im Schatten des Elbrus
VI. Rattenkrieg an der Wolga
26.07.1942-18.11.1942
Angriff auf Stalingrad
VII. Operation „Uranus“
19.11.1942-02.02.1943
Die 6. Armee im Kessel
VIII. Schlagen aus der Nachhand
28.12.1942-18.03.1943
Mansteins große Stunde
IX. Abwehrschlachten im Norden
24.11.1942-04.07.1943
Von Rshew bis Leningrad
X. Die Kursker Schlacht
05.07.1943-18.07.1943
Operation „Zitadelle“
Nachwort
Anhang: Informationen/Hintergrund
Quellen, Literatur, Fotonachweis
Nach der Schlammperiode zeichnen sich noch die tiefen Einbrüche durch die Winteroffensive der Roten Armee ab. Fieberhaft versucht die Wehrmacht bis in den Sommer 1942 hinein, die daraus resultierenden Beulen und Einbuchtungen zu begradigen. Vor allem die Heeresgruppe Süd muss die Lage auf der Krim und den russischen Frontvorsprung bei Isjum bereinigen, bevor „Fall Blau“ (Ausschnitt Karte r.o.), die große deutsche Sommeroffensive zu den Ölquellen des Kaukaus, beginnen kann.
„Unter der großen Birke, da liegt er.“
Ein älterer Herr weist den Weg. Zu einer bestimmten Grabstelle auf dem Dorfmarker Friedhof in der Lüneburger Heide. Es ist ein drückend heißer Mittwochabend, dieser 14. Juli 2010 – der französische Nationalfeiertag. Noch ein paar Schritte, eine letzte Wegkreuzung. Und tatsächlich, da liegt er. Unter einer schweren Steinplatte. Er, der Generalfeldmarschall Erich von Lewinski, genannt von Manstein. Neben ihm ist seine Frau Jutta Sybille gebettet, und an der Ecke der Grabstelle steht noch ein schlichtes Holzkreuz. Für den Sohn Gero Erich Sylvester. Dessen Gebeine liegen allerdings in Russland begraben. Am Südufer des Ilmen-Sees. Gefallen am 29. Oktober 1942 im Nordabschnitt der Ostfront durch die Explosion einer Fliegerbombe. Als Leutnant, im Alter von 19 Jahren. Sein Vater, der berühmte Stratege der Wehrmacht und „gefährlichste Gegner der Alliierten“, durfte 85 werden.
Die Schatten werden länger. Es ist ein ausgesprochen ruhiger Abend. Eine geradezu friedliche Stimmung. Als stünde die Zeit still. Der passende Augenblick, sich auf die kleine Bank unter der mächtigen Birke zu setzen, eine Zigarre anzuzünden und in Gedanken zu versinken. Grübeln über ihn, den Generalfeldmarschall. Ironie der stillen Begegnung: Ausgerechnet heute feiern die Menschen in Frankreich ihren Nationalfeiertag! Laut und freudig. Vor 70 Jahren, im Mai 1940, versetzte die atemberaubend erfolgreiche Ausführung von Mansteins genialem „Sichelschnitt“-Plan, der die Grundlage zum phänomenalen Blitzsieg im Westen bildete, Frankreich plus die halbe Welt in Angst und Schrecken. Stalin soll laut Chruschtschow angesichts der unerhörten Niederlage der vermeintlich stärksten Landstreitmacht der Erde verzweifelt ausgerufen haben, dass Hitler nun auch die Sowjets „fertigmachen“ werde.
Ja, Mansteins Feinde verloren ob seiner brillanten Operationsideen schon mal die Fassung. Schlachten lenken, sich in den Gegner denken, konnte er wie kein Zweiter. Zwar wurde der vornehme Preuße bisweilen von Hitler als „Pinkelstratege“ verspottet. Aber ebenso bemerkte der Führer gegenüber Generaloberst Guderian, Manstein sei „vielleicht der beste Kopf, den der Generalstab hervorgebracht hat“. Davon konnte neben anderen auch der legendäre Marschall Schukow ein Klagelied singen. Noch im Frühjahr 1944 wurde der „Held der Sowjetunion“ von Manstein regelrecht vorgeführt, als ihm dieser in überragender Feldherrnkunst die schon sicher geglaubte Beute, die eingekesselte 1. Panzerarmee, entwand. Es sollte allerdings die letzte Großtat des blonden Strategen im Zweiten Weltkrieg gewesen sein. Hitler verabschiedete seinen fähigsten Feldmarschall am 30. März, da „im Osten die Zeit der Operationen größeren Stiles [...] abgeschlossen“ sei. Damit war Mansteins glänzende Karriere abrupt beendet. Geblieben sind viele Fragen. Bis heute. Zwar kann es keine Zweifel am operativen Genie Mansteins geben, aber dafür umso mehr an seiner Einstellung gegenüber dem NS-Regime und seiner charakterlichen Veranlagung. Der zweifellos überaus ehrgeizige Stratege, der 1942 für die sehr blutige Eroberung der Seefestung Sewastopol auf der Krim den Marschallstab erhielt, sah sich selbst als unpolitischen Soldaten; bezeichnend sein Ausspruch:
„Preußische Feldmarschälle meutern nicht!“
Untergebene wiederum nahmen Manstein gelegentlich als gefühlskalt wahr. Wer aber war dieser im persönlichen Umgang gewiss nicht einfache Mann, der zur zentralen Figur unter den deutschen Heerführern in einer schicksalhaften Kriegsphase, nämlich zwischen den historischen Wegmarken Stalingrad und Kursk, avancierte und ein atemberaubendes Kapitel an der Ostfront entscheidend mitschrieb?
Manstein ist tatsächlich Zeit seines Lebens vor allem Soldat gewesen. Wie ein roter Faden zieht sich das Militärische durch sein gesamtes Dasein – vom jugendlichen Kadetten über den Frontkämpfer im Ersten und Heerführer im Zweiten Weltkrieg bis hin zum Bundeswehr-Berater im Kalten Krieg. Das Soldatentum legte man dem Sprössling einer preußischen Offiziersfamilie quasi in die Wiege, und als Soldat ist er schließlich von der Bundeswehr ehrenhaft zu Grabe getragen worden.
Man wird Manstein und auch anderen Feldherrn seiner Generation nicht gerecht, indem fortlaufend der Grad seiner Zustimmung zum Nationalsozialismus oder Antisemitismus gemessen wird. Ob unter Kaiser, Führer oder Kanzler – dieser Mann wollte vor allem eines: Operationen auf dem Schlachtfeld lenken! Er war geschmeidig genug, seine überragenden Fähigkeiten den verschiedenen Systemen anzudienen. Solange er nur planen und operieren durfte. Dass er dabei auch kalt bis rücksichtslos wirkte beziehungsweise handelte, liegt in der Natur von militärischen Angelegenheiten. Unter Mansteins Führung starben gewiss Zigtausende Menschen. Soldaten wie Zivilisten. Man muss aber seine Biografie kennen, um die kriegerische Mentalität erfassen zu können. Was der eigenen Karriere nützte, goutierte Manstein. Einerseits. Andererseits denkt ein reinrassiger Soldat in anderen Kategorien als ein friedliebender Zivilist. Manstein hat als junger Oberleutnant im Ersten Weltkrieg für sein Vaterland geblutet und eine schwere Schussverletzung nur dank der Hilfe seiner Kameraden überlebt. Und er beerdigte seinen Sohn Gero an der Ostfront. Ein solcher Mann weiß, dass Leben und Sterben auf dem Schlachtfeld oft nur einen Schritt voneinander entfernt liegen. Er akzeptiert das Gesetz des Krieges. Es gehört einfach zum Soldatensein. Was der Feldmarschall von Manstein seinen Landsern befahl, hat er selbst an Leib und Seele erfahren. Daraus zog er wohl auch die Berechtigung, buchstäblich alles von den Untergebenen fordern zu dürfen. Nicht wenige Feldherren verschließen sich gegenüber sentimentalen Kategorien wie Mitleid – erst recht gegenüber dem Feind, Zivilisten eingenommen. Andernfalls zerbricht der militärische Führer an seiner Aufgabe, zumal einer solch übermenschlichen, wie sie zweifellos das Kommando über eine Heeresgruppe im Kriege darstellt. Besser man legt das Menschsein ab und sieht die Dinge rein vom militärischen Standpunkt her.
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