1 ...8 9 10 12 13 14 ...30 „Tiefer halten!”, ruft er dem Kameraden Helmut zu.
Nachdem der zweite Gurt eingelegt und verfeuert ist, erhebt sich der Gewehrführer. Er ist sich sicher, dass seine harten Projektile das weiche Ziel getroffen haben.
Das I. Bataillon/Infanterieregiment 346 kann seinen Vormarsch durch Litauen fortsetzen. Es wird von einem Baltendeutschen, Major von Rahden, geführt. Zunächst geht alles glatt. Keine besonderen Vorkommnisse. Doch plötzlich nehmen die vorgehenden Männer ein Handgemenge inmitten eines Roggenfeldes wahr. Entsetzt erkennt Hundrieser, dass Russen in Zivil auf deutsche Soldaten einprügeln. Blitzschnell ergeht der Einsatzbefehl, um die Schläger abzuschneiden und die Kameraden rauszuhauen. Aber die auf Fahrrädern aufgesessenen Infanteristen kommen zu spät. Die drei Feinde haben sich bereits in Deckung geschlagen.
Der Anblick, den der Tatort des brutalen Geschehens bietet, ist selbst für hart gesottene Soldaten schockierend: Den Männern sind die Köpfe eingeschlagen, einem auch die Augen ausgestochen und die Geschlechtsteile abgeschnitten – aber er lebt noch! Sein erschütternder Anblick und vor allem das erbärmliche Wehklagen trifft die Kameraden bis ins Mark.
Der Gemarterte ruft flehend: „Erschießt mich, bitte ...”
In der Zwischenzeit haben die ins Gelände ausgeschwärmten Landser acht litauische Zivilisten mit roten Armbinden aufgegriffen. Die mutmaßlichen Freischärler werden an Ort und Stelle erschossen. Einen Befehl zur Exekution musste Hundrieser nicht geben. Die Sühne soll sein. Und der Leutnant ist sich sicher, dass ihn jede andere Handlung als Führer vor seinen Männern diskreditiert haben würde. Eine rote Armbinde kann in diesem gnadenlosen Krieg also schon das Ende bedeuten.
Nach der Hinrichtung kracht noch ein einzelner Schuss, abgegeben aus einer Pistole. Die Kugel beendet das schreckliche Wimmern des verstümmelten Kameraden. Vor dem Toten steht der Feldwebel Taplick mit Pistole in der Hand und Tränen in den Augen. Ist er ein Mörder?
*
Bereits der erste Tag an der Ostfront, dieser unendlich lange Sonntag, ist ein mörderischer. Einer von 1.416 Tagen. Ein harter, dem allerdings noch viel schlimmere folgen sollen. Und ein Tag, der die große Hoffnung der deutschen Heeresführung zu nähren scheint, dass sich die Rote Armee zum Kampf stellt, statt in die Weite des russischen Raumes auszuweichen. Denn bei aller prahlerischen Siegeszuversicht, bekannte selbst der Führer noch unmittelbar vor dem Angriff im vertrauten Kreis düster ahnungsvoll:
„Mir ist, als ob ich die Tür zu einem dunklen, nie gesehenen Raum aufstoße, ohne zu wissen, was sich hinter der Tür verbirgt.“
Auf der anderen Seite ist die Rote Armee durch die überwältigende Wucht der deutschen Invasion überrascht worden. Die Wehrmacht bricht ohne die erwarteten Vorgeplänkel vom ersten Tag an mit aller Macht los – eben wie ein „Hagelsturm“.
Über die Stimmung der deutschen Bevölkerung in den ersten 24 Stunden des Überfalls auf den Bündnispartner vermerkt der Geheime Bericht des Sicherheitsdienstes der SS zur innenpolitischen Lage: „Nach den bisher vorliegenden Meldungen aus allen Teilen des Reiches hat die Nachricht über einen Ausbruch des Krieges mit Russland unter der Bevölkerung größte Überraschung hervorgerufen, vor allem der jetzige Zeitpunkt der Offensive im Osten [...] Die Bevölkerung ist sich der Schwere und Tragweite dieses Kampfes bewusst, vorherrschend ist aber eine ruhige, gefasste Zuversicht. Ängstliche Gemüter äußern zwar, es werde große Schwierigkeiten haben, diese riesigen Räume zu erobern. Letzten Endes kommt aber doch immer wieder das große Vertrauen zu der Unüberwindlichkeit deutschen Soldatentums zum Ausdruck.“
Während die SD-Spitzel die Stimmung der Volksgenossen einfangen und die Landser an der neuen Front in kurzen Schlaf fallen, fiebern 3.000 andere ihrer Feuertaufe erst noch entgegen: die Männer der Einsatzgruppen. Die Totenkopf-Verbände der SS sollen erst am zweiten Kriegstag marschieren, um zu exekutieren. Dreitausend jagen drei Millionen – ungefähr so viele Juden zählt die Sowjetunion 1941. An Schlaf ist da kaum zu denken. Vielleicht wirken auch noch die Worte des Führers zur Rechtfertigung des Einmarsches nach, nämlich „um die ganze europäische Zivilisation und Kultur zu retten”. In diesem Glauben rüsten Hitlers und Himmlers Jünger zum Massenmord. Für sie stellt sich die Frage nach der Verantwortung nicht. Im Zweifel handeln sie auf Befehl. Und berufen sich später noch darauf.
Sie sind Mörder.
Die ersten Wochen des Russlandfeldzuges stehen im Zeichen riesiger Kesselschlachten, die zur Vernichtung der ersten Staffel der Roten Armee führen. Allerdings kann das sowjetische Oberkommando STAWKA gewaltige Reserven mobilisieren, die der deutschen Aufklärung größtenteils verborgen bleiben. Im Zentrum der Front gehen die Russen zwischenzeitlich sogar zur Gegenoffensive über und erobern Jelnja, östlich Smolensk, zurück.
Die Weisung Nr. 21, „Fall Barbarossa“, bildet die Operationsgrundlage. Der Schwerpunkt liegt bei der Heeresgruppe Mitte.
Generaloberst Hoths nach dem Krieg eingebrachter Gegenentwurf mit dem Schwerpunkt Nord und defensiver Südgruppierung.
BArch, 101I-208-0014-15A
Ein Schützenpanzerwagen (SPW) der Panzergruppe 4 überquert die Memel. Der Marsch ins Baltikum beginnt. Dahinter lockt die Ostsee-Metropole Leningrad.
BArch, 146-2007-0127
Die 8. Kompanie/Gebirgsjägerregiment 99 überschreitet am 22. Juni die Grenze in Richtung Lemberg. Das erste operative Ziel der Heeresgruppe Süd heißt Kiew.
BArch, 101I-136-0882-13
Der alte und der neue Krieg: Viele Pferde und wenige Sturmgeschütze quälen sich bei großer Hitze auf staubigen Pisten ins Landesinnere der riesigen Sowjetunion.
BArch, 101I-266-0058-14
Mit Sturmbooten bezwingen Pioniere Russlands Ströme. Der MG-Schütze im Bug deckt die Überfahrt, die zur Bildung eines Brückenkopfs führen soll.
BArch, 101I-390-1220-19
Me 109 vom Jagdgeschwader 54 bei der Wartung. Die schnellen Maschinen und ihre erfahrenen Piloten erringen schon bald die Luftherrschaft.
BArch, 145 Bild-F016221-0036
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