„Wenn Sie mich anpacken, stecke ich Sie ganz woanders hin.“ Der Mann griff in seine Manteltasche. Dorfler zuckte zusammen: Jeder Muskel in seinem Körper spannte sich an.
„Ganz ruhig“, stellte der Mann klar und hielt ihm einen Ausweis unter die Nase, allerdings nicht lang genug, um den Namen lesen zu können. Dann steckte er ihn wieder ein.
„Jetzt fahren Sie schon“, wiederholte der Mann seine ursprüngliche Forderung. Dorfler legte den Rückwärtsgang ein und fuhr vorsichtig nach hinten.
„Was wollen Sie von mir?“, fragte er.
„Gleich. Fahren wir erstmal ein bisschen Spazieren.“
„Ich will nicht blöde durch die Gegend fahren!“, maulte Dorfler.
„Egal was Sie tun: Blöde machen Sie es sowieso. Also können Sie auch fahren.“
Dorfler stand der Mund offen: Das war doch ungeheuerlich! Er erreichte die Ausfahrt und fuhr eine steile Rampe hoch. Der Wagen passierte eine Lichtschranke und das Tor glitt nach oben.
Dorfler fädelte in den Verkehr ein: „Wohin?“, fragte er.
„Mir egal.“
Dorfler schwamm im Verkehr mit. Es dauerte eine Weile, dann sagte der Mann: „Ich bin hier, um Ihnen eine Botschaft zu überbringen.“
Wie dramatisch!
„Wir möchten, dass Sie Ihre Ermittlungen gegen Bernd und Friedrich Kammers einstellen.“
„Ich soll was?“ Dorfler hätte fast den Wagen verrissen, als er den Mann entgeistert anstarrte.
„Schauen Sie nach vorne.“
Dorfler versuchte sich wieder auf den Verkehr zu konzentrieren: „Was geht es Sie an, gegen wen ich ermittle?“
„Egal wie die Aktenlage ist: Kammers ist unschuldig.“
Dorflers Denkapparat lief auf Hochtouren: Warum schützten die ihn? Was hatten sie für ein Interesse an einem alten kriminellen Rentner und seinem Enkel?
„Ich kann die Ermittlungen nicht stoppen, selbst wenn ich es wollen würde - was ich nicht will. Die Beweise sprechen gegen Kammers.“
„Sie wissen genau, wie man eine Ermittlung verschleppt. Ob beabsichtigt oder nicht - Sie haben in der Vergangenheit schon oft genug eine Ermittlung so geführt, dass sie versandet ist. Nutzen Sie dieses Talent.“
Dorfler kochte: „Sie sind ein scheiß beleidigender Mistkerl!“
Der Mann starrte aus dem Fenster: „Es ist lustig, wenn sich jemand über schlechtes Benehmen beschwert und dabei mehr Schimpfwörter benutzt als ein Obdachloser unter einer Brücke im Vollsuff.“
Dorfler atmete tief ein und ließ die Luft langsam wieder aus seiner Lunge entweichen.
„Lassen Sie mich hier raus.“
Dorfler schaute zur Seite: Sie befanden sich mitten auf der Aachener Straße.
„Hier?“, fragte er. „Sicher?“
„Hätte ich Sie sonst darum gebeten?“
Dorfler schaltete das Warnblinklicht ein und brachte den Wagen langsam zum Stehen. Ein Auto hinter ihm hupte.
„Fahr doch vorbei!“, schimpfte Dorfler und gestikulierte mit den Armen. Der Wagen fuhr an ihm vorbei. Der junge Mann am Steuer zeigte Dorfler den Mittelfinger.
„Wichser“, nuschelte Dorfler.
„Ich erwarte von Ihnen, dass Sie Kammers in Ruhe lassen. Wenn Sie sich an meine Anweisungen nicht halten, komme ich wieder. Aber dann bitte ich nicht mehr so freundlich darum.“ Er stieg aus. Hinter Dorflers Wagen hielt ein schwarzer Mercedes. Der Mann stieg auf der Beifahrerseite ein und der Wagen fuhr sofort wieder an. Als der Wagen an Dorfler vorbeifuhr, versuchte dieser etwas zu erkennen: Ohne Erfolg. Die Scheiben waren verspiegelt.
„Oh Mann“, stöhnte Dorfler und schloss die Augen. „Was soll das denn alles bedeuten?“ Er kratzte sich am Kopf: Warum bedrohte ihn der Nachrichtendienst, nur um diesen Penner zu schützen?
***
„Wir hätte die Bahn nehmen sollen“, nörgelte Bernd, während Friedrich und er sich langsam durch den dichten Verkehr schoben. „Das wäre sehr viel schneller gegangen.“
„Wir wissen doch gar nicht, was auf uns zukommt, wenn ich das richtig verstanden habe. Da sollte man flexibel sein.“
Sie hatten einen Schlachtplan erstellt, dann war Friedrich mit der Bahn nach Hause gefahren, hatte seinen Wagen geholt und war wieder zu seinem Opa gefahren.
„Sehr flexibel.“ Bernd starrte auf das Meer der Bremslichter vor ihnen. „Ich fahre immer mit der Bahn!“
„Ja, und jetzt mit dem Auto! Wenn es dir nicht passt, kannst du aussteigen und zu Fuß laufen.“
„Ich habe schonbmal gesagt, du sollst nicht so frech sein. Ansonsten war es das mit dem DU.“
„Mir egal.“
„So, das war es: Wir siezen uns wieder. Bitte, machen Sie doch die Heizung etwas wärmer.“
Friedrich warf seinem Opa einen genervten Blick zu, dann drehte er an einem Regler: „Das mache ich doch gerne für DICH.“
„Für SIE.“
„Das ist doch lächerlich. Ich werde dich duzen.
„Ich werde Sie siezen. Ich lasse mir das DU doch nicht aufzwängen.“
Friedrich schaltete das Radio ein und drehte die Musik laut.
„Es ist mir egal, wenn Sie die Musik so laut machen“, sagte Bernd. Er fummelte an seinem Ohr: „Ich mache jetzt mein Hörgerät aus. Für mich ist dieser Krach dann normale Lautstärke. Sie aber haben spätestens in zehn Minuten Kopfschmerzen und bei dem Verkehr brauchen wir bestimmt noch eine Stunde.“
Friedrich drehte die Musik ein Stückchen lauter.
Eine Stunde später hatten sie ihr Ziel erreicht. Friedrich schaltete den Motor ab. Es wurde ruhig im Wagen: „Sicher, dass wir hier richtig sind?“, fragte er.
Bernd fragte: „Was?“
„Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?“
„Was?“ Bernd fummelte an seinem Ohr: „Was?“
„Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?“ Friedrich bemühte sich, ruhig zu bleiben.
„Ja, wir sind richtig. Gleich kommt, mein Kontakt. Wir müssen kurz warten.“ Bernd zog eine Taschenuhr aus der Hosentasche und warf einen Blick darauf: „Gleich zehn Uhr. Er ist immer pünktlich.“
„Du trägst eine Taschenuhr?“, fragte Friedrich belustigt.
„Was dagegen?“
„Nein.“
„Der kann wenigstens nicht der Saft ausgehen.“
Friedrich schaute aus dem Fenster: Sie standen in einer ruhigen Straße. Die Häuser waren groß, die Grundstücke meistens von hohen Zäunen oder Mauern umgeben.
Ein Transporter fuhr in die Straße und parkte hinter Friedrichs Wagen.
„Na also“, sagte Bernd zufrieden und öffnete die Beifahrertür. Friedrich folgte ihm.
Der Transporter wirkte, als wäre er direkt von einer Baustelle hierher gefahren. Dreckig und verbeult wirkte er eher wie ein großer Haufen Schrott und nicht wie ein fahrbarer Untersatz.
Bernd ging am Wagen vorbei und klopfte hinten an die Wagentür: „Hallo?“, rief er. Die Tür öffnete sich. Bernd kletterte in den Wagen. Das Ganze wirkte etwas unsicher, aber der Mann war ja auch schon verdammt alt. Friedrich blieb unsicher stehen: Sollte er auch in den Wagen klettern? Er wirkte nicht gerade vertrauenserweckend. Bernds Kopf erschien in der Wagentür: „Brauchen Sie eine Extraeinladung?“
Friedrich schüttelte den Kopf und kletterte ebenfalls in den Wagen. In seinem Inneren brannte kein Licht. Schwaches Licht fiel von der Straße auf den Boden.
„Mach die Tür zu“, zischte eine Stimme. Friedrich gehorchte und schloss die Tür. Kurz darauf flammte Licht auf.
Das Innere des Vans war mit Technik vollgestopft. „Ach du Scheiße“, entfuhr es Friedrich. „Was ist das denn?“
Vor einem riesigen Bildschirm saß ein Mann, der noch älter als Opa Bernd war. Er drückte auf verschiedenen Tasten und Knöpfen herum und der Bildschirm vor ihm schaltete sich ein.
„Hallo Gustav“, sagte Bernd und gab dem Alten die Hand. „Das ist mein Enkel. Was macht die Pumpe?“
„Der geht es besser als dem Rest, bei den ganzen Ersatzteilen, die die inzwischen verbaut haben. Warum machst du so einen Stress?“
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