Bernd wurde ernst: „Ich würde dich nicht so hetzen, wenn es nicht sein müsste.“
Friedrich hatte seine Sprache wiedergefunden: „Wer sind Sie?“
Gustav wandte sich an Friedrich: „Hab schon gehört, dass du was langsam da oben bist.“ Er tippte sich an die Stirn. „Nenn mich Gustav, mehr musst du nicht wissen.“
„Haben Sie... Der Wagen...“ Friedrich war verwirrt.
„Du meinst, wie der Wagen gefahren ist? Das ist mein großes Geheimnis. Geht dich nichts an.“ Gustav deutete auf eine Kiste, die am Boden stand: „Verkabelt euch.“
„Was...?“, fragte Friedrich.
Gustav wandte sich an Bernd: „Du hast gesagt, dein Enkel wäre etwas dämlich, aber ich glaube, du hast mich belogen.“ Er drückte auf einen Knopf: „Komm doch mal bitte rüber und hilf mir hier.“
Friedrich hörte, wie die Fahrertür sich öffnete und wieder geschlossen wurde. Dann öffnete sich die rückwärtige Tür kurz, um ebenfalls schnell wieder geschlossen zu werden.
„Hallo!“ Friedrich starrte eine junge Frau an, die offensichtlich asiatische Züge hatte. Ihre mittellangen Haare waren schwarz. Sie lächelte sanft.
„Mein Name ist Yu“, sagte sie freundlich.
„Das muss er nicht wissen“, schnauzte Gustav. „Hilf dem Idioten und Bernd lieber beim Funk.“
Yu wandte sich an Friedrich: „Sie dürfen ihm nicht böse sein. Er meint es nicht so.“ Friedrich hatte den Eindruck, dass ihm in letzter Zeit dauernd Frauen sagten, dass die alten Männer sich zwar ätzend benahmen, es aber gar nicht so meinten. Yu ging zur Kiste und holte einen Haufen Technik hervor. Dann begann sie, zunächst Bernd zu verkabeln.
„Was ist das alles?“, wollte dieser wissen.
„Ach, nichts Besonderes“, sagte Yu. „Das auf ihrem Kopf ist eine kleine, aber sehr gute Kamera, sodass wir hier im Wagen alles sehen, was Sie auch sehen. Dann bekommen Sie noch einen Kopfhörer und ein Mikrofon, damit wir miteinander sprechen können.“
Friedrich verstand absolut gar nichts mehr: „Wofür brauchen wir das alles denn? Ich dachte, wir treffen einen deiner Kontakte und bekommen neue Informationen.“
Bernd warf seinem Freund einen entschuldigenden Blick zu: „Tja“, sagte er an seinen Enkel gewandt, „das ist etwas verkürzt: Wir haben gerade meinen Kontakt getroffen und wir bekommen auch neue Informationen. Aber die Informationen bekommen wir nicht von dem Kontakt, sondern der hilft uns nur, sie uns selbst zu besorgen.“
„Und wo sollen wir die herbekommen?“
„Aus dem Atelier von Grenadier.“
„Aus dem Atelier?“
Gustav warf ein: „Junge, du wirkst ohnehin schon wie ein Idiot. Wenn du wiederholst, was andere sagen, machst du es nur schlimmer. Das meine ich echt nicht böse, aber manchmal hilft ja eine Rückmeldung von einem Außenstehenden.“ Sein höhnisches Grinsen deutete darauf hin, dass sein Kommentar nicht ganz so freundlich gemeint war, wie er versuchte zu suggerieren.
Friedrich sagte verärgert: „Halten Sie sich da raus.“ Er schaute seinen Opa an: „Du willst da einbrechen?“
„Ich würde es nicht so ausdrücken, aber wenn Sie so wollen...“
„Moment mal“, warf Yu ein. „Das ist Ihr Enkel, oder? Warum siezen Sie ihn?“
Friedrich kam Bernd zuvor: „Er meinte, ich wäre zu frech gewesen.“
„Er ignoriert meinen Wunsch aber vollkommen“, gab Bernd empört zurück.
„Jaja, ihr seid beides Idioten“, sagte Gustav genervt. „Scheint also genetisch bedingt zu sein. Ich wusste schon immer, dass die Ärzte und Psychologen sich irren, wenn sie was über schwere Kindheiten oder so quasseln. Das würde ja auch bedeuten, dass die Kriegsgeneration komplett verkorkst sein müsste bei der Kindheit.“ Er verdrehte die Augen: „Jetzt kommt her, ich muss euch einweisen, bevor es losgeht.“
Sie stellten sich hinter Gustav und schauten auf den Computer.
„Wir befinden uns hier vorne auf der Straße“, begann Gustav. „Das Haus wird durch einen großen Zaun gesichert. Es gibt aber eine Pförtnerloge. Dort ist ein Zahlenschloss. Das ist kein Problem.“
„Nein?“, fragte Friedrich.
„Nein. Heute verbinden alle Leute ihre Home-Systeme mit dem Internet. Das sind so Idioten wie du. Das wird kein Problem sein. Von dort müsst ihr durch den Garten, einmal ums Haus. Dort ist der Kellereingang.“
„Ich habe noch eine Frage“, unterbrach Friedrich ihn. Gustav atmete hörbar aus. Friedrich ignorierte ihn und wandte sich an seinen Opa: „Was erhoffen wir uns davon? Ich meine, ich verstehe, warum wir hier sind. Wegen des Umschlags mit dem Bild und der Staffelei. Aber was sollen wir hier finden? Die Polizei hat das Bild ja auch gesehen und ist bestimmt auch zu dem Schluss gekommen, sich das Atelier genauer anzusehen. Was sollten wir dann finden, was die nicht gefunden haben?“
„Die Frage ist nicht mal so dumm“, stimmte Gustav ihm zu. „Ich finde deinen Plan auch dämlich, Bernd. Aber mir war langweilig, also ist es für mich in Ordnung. Für euch besteht aber ein gewisses Restrisiko, das meiner Einschätzung nach in keinem Verhältnis zum Nutzen steht, wenn ich das so höre.“
„Das ist ganz einfach“, sagte Bernd. „Die Polizei sucht nur nach Spuren, die Friedrich oder mich irgendwie belasten. Dorfler leitet keine neutrale Ermittlung. Wir gleichen das jetzt aus, indem wir nicht einseitig Spuren suchen, die uns belasten, sondern auch Spuren akzeptieren, die uns entlasten, indem sie uns zu dem wirklichen Täter führen. Außerdem muss es ja irgendeinen Sinn haben, dass er das Foto der Polizei zuspielt.“
„Apropos Polizei“, warf Friedrich ein. „Könnte es nicht sein, dass die Polizei das Haus hier überwachen lässt?“
„Tut sie auch“, antwortete Gustav. „Das Haus hat zwei Zugänge. Das hier ist der hintere. Die Bullen stehen vorne an der Straße, sodass es nicht auffällt. Meinen sie zumindest.“
Friedrich war entsetzt: „Wir brechen also in ein Haus ein, das unter Polizeischutz steht?“
„Ja, genau.“ Bernd grinste: „Ist doch spannend, oder?“
„Wenn die uns kriegen...“
„Wenn die uns kriegen, haben wir absolut gar keine Ausrede, warum wir dort sind. Wir wandern direkt in Untersuchungshaft.“
Friedrich ließ die Schultern hängen: „Gibt es keinen anderen Weg?“
„Schiss?“, fragte Gustav schadenfroh.
Friedrich fixierte ihn: „Nein. Ich suche nach einer Alternative, die weniger riskant ist. Das hat nichts mit Schiss, sondern mit Intelligenz zu tun.“
„Große Worte für einen kleinen Idioten. So, und jetzt Mund halten. Ich bin noch nicht fertig.“ Damit deutete Gustav wieder auf den Bildschirm und fuhr mit seinen Instruktionen fort.
Friedrich und Bernd liefen geduckt an der Mauer entlang - oder was man in Bernds Alter „geduckt“ nennen konnte. Oder laufen. Sie erreichten das Pförtnerhäuschen. Bernd sagte: „Zentrum, bitte kommen.“
Es rauschte, dann meldete sich Gustav: „Hier Zentrum. OB, ich mache jetzt die Tür auf.“
„OB?“, fragte Bernd irritiert.
„Opa Bernd.“ Bernd lächelte. OPA BERND! Das gefiel ihm. Als er merkte, dass er lächelte, schaute er schnell wieder grimmig. Allerdings fiel ihm dann ein, dass er eine Sturmhaube trug und sein Enkel nicht erkennen konnte, dass ihm die Bezeichnung ‚Opa‘ gefiel.
Die Tür vor ihnen klickte. Bernd betätigte die Klinke und sie schwang problemlos auf.
„Tür offen, Zentrum.“ Sie betraten das Pförtnerhäuschen. Es bestand lediglich aus einem kleinen Raum mit einem Schreibtisch, auf dem ein Telefon stand. Zwei Türen gingen ab: Eine führte zu einer kleinen Toilette, die andere war offensichtlich der Ausgang zum Garten.
„Hier entlang“, sagte Bernd und öffnete die Tür zum Garten. Sie folgten einem Gartenweg, der von dichten Büschen und Bäumen gesäumt wurde.
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