Brisbane, 29. Dezember 1922
Meine Bewährungsprobe steht an. Ich habe heute Abend Gäste und ich koche das erste Mal für fremde Leute, ohne dass Onkel Louis mir hilft. Ich musste ja schließlich auch einmal einladen, die Eltern von Jimmy, Keith und Paul. Die Kinder sind seit gestern in ihrem Camp und so sind wir nur sieben Erwachsene. Ich betone das nur so selbstbewusst, denn ich habe mit Onkel Louis schon für zwanzig und mehr Personen gekocht. Ich habe schon eine Menüfolge vorbereitet, aber es bringt Unglück, vorher darüber zu schreiben oder mit jemandem zu reden, der nicht mitkocht.
1923
Brisbane, 11. Januar 1923
Ich komme eben zurück aus Amity Point. Zunächst möchte ich anmerken, dass sich Tom sehr über meinen Besuch gefreut hat. Ich wollte erst alleine mit dem Zug fahren, aber dann haben sich wieder Keith Eltern angeboten, die ebenfalls nach dem Rechten sehen wollten. Keith Vater hat ein Automobil. Wir sind aus Brisbane herausgefahren und haben dann bei Cleveland die Fähre genommen. Ich war noch nie auf North Stradbroke Island. Amity Point liegt recht einsam an der Nordspitze. Das Camp ist gar nicht so groß. Es gibt einen Besucherbereich und dort haben wir auch die Jungen getroffen. Am Nachmittag hat mir Tom dann noch seine Kanukünste vorgeführt. Der Tag war für mich auch eine schöne Abwechslung.
Brisbane, 1. Februar 1923
Die Übersetzung des Kochbuchs habe ich schon kurz vor Weihnachten fertiggestellt und auch schon gleich abgegeben. Die Überprüfung fand jetzt auf ganz ungewöhnliche Weise statt. Der Verlag hat eine Hausfrau engagiert, die nach meiner englischen Übersetzung gekocht hat. Die Autorin des spanischen Originals hat dann überprüft, ob ihre Speisen auch gelungen sind. Es gab noch einige Korrekturen, die ich gleich eingearbeitet habe. Ich bin jetzt gespannt, ob das Buch ein Erfolg wird. Dann durfte auch Onkel Louis einen Blick auf das Manuskript werfen. Er hat es sich mit nach Hause genommen und ich bin gespannt, was er von den Rezepten hält.
Brisbane, 5. Februar 1923
Ich habe Tom heute nach Lutwyche begleitet. Wir haben den Autobus genommen, es sind keine zwanzig Minuten. Die Einschulung war nicht sehr aufregend. Ich werde Tom wohl eine neue Schuluniform kaufen müssen. Seinen alten Aufnäher kann er ja auch nicht behalten. In Toms Klasse gehen nur zwanzig Jungen. Der Direktor hat die neuen Schüler in der Aula begrüßt und nach einer halben Stunde sind alle in die Klassenzimmer gegangen. Ich bin dann gleich nach Hause gefahren und so sitze ich jetzt hier und mache meine Notizen. Den Rückweg wird Tom alleine schaffen, er ist jetzt ja schon sehr erwachsen.
Tom nennt Joy jetzt auch schon Lady Marmelade. Pünktlich zu meinem Geburtstag erreicht mich ein Dutzend Gläser, verschiedene Sorten, aber alles Marmelade. Ich verschenke sie bereits weiter und ich mache noch etwas Schlimmeres. Ich habe mir vorige Woche ein Glas ganz normale Kirschmarmelade gekauft. Ich wollte sie einfach mal wieder ganz pur genießen, ohne Kräuter. Joy ist jetzt so gut im Geschäft, dass sie die Marmeladen nicht mehr einfach nach dem benennen möchte, was drin ist. Ihr schweben französische Namen vor. Sie bittet mich, verschiedene Wortschöpfungen zu übersetzen. Ich will es gerne versuchen.
Der erste Monat ist um. Tom fühlt sich in Lutwyche wohl. Einige der neuen Schulfächer gefallen ihm sehr gut. Physik und Chemie ersetzten den Werkunterricht, der nach Toms Aussage jetzt nur noch etwas für kleine Kinder sei. Auf Toms alter Schule steht Chemie erst im nächsten Jahr auf dem Lehrplan. Tom wollte schon zum Apotheker gehen und sich Salzsäure kaufen, um einen Versuch nachzumachen, bei dem es um die Auflösung von Metall geht. Ich habe es ihm natürlich verboten. Er kann ja experimentieren, aber bitte in der Schule. Tom kommt leider immer erst um zwei nach Hause, und wenn er nicht gleich mit seinen Aufgaben beginnt, dann schafft er es nicht. Mit seinen Freunden verabredet er sich dann immer erst am späten Nachmittag. Das war früher anders, da habe ich Tom gleich nach der Schule und dem Mittagessen zum Spielen geschickt und er hat erst abends seine Aufgaben erledigt.
Vater ist wieder zu Besuch in Brisbane, er ist aber nur auf der Durchreise. Vater will nach Albany, wo es einen Gedenktag für die Kriegstoten geben soll. Vater sagt, dass es nur ein Nachspiel des großen Krieges sei und dass er Gedenktage eigentlich hasse, egal, ob es um etwas Trauriges oder etwas Schönes geht. Albany liegt ja im Westen unseres großen Landes, aber es gibt von Auckland aus keine direkte Schiffsverbindung dorthin und so hat Vater sich entschieden, seine Reise etwas zu verlängern. Von Brisbane aus nimmt er am Freitag den Zug nach Sydney und fährt dann weiter nach Melbourne, Adelaide und schließlich nach Albany. Auf der Rückfahrt will er über Perth mit dem Schiff wieder nach Auckland kommen. So kann er auch andere Termine mit dieser Reise verbinden und ich habe die Gelegenheit, ihm an die großen Städte zu schreiben und er wird mir natürlich auch schreiben und alles berichten.
Nur eine kurze Notiz, Tom hat mir mein Büchlein ins Krankenhaus gebracht. Ich liege im Krankenhaus und wurde vor vier Tagen operiert, ich bin nun um ein Organ ärmer, mir wurde der Blinddarm entfernt, der oder das Zäkum, wie mein Arzt ihn nennt. Ich muss jetzt aufhören mit dem Schreiben, denn ich darf noch gar nicht aufrecht im Bett sitzen, ich soll mich überhaupt nur ganz wenig bewegen.
Die Operation ist jetzt acht Tage her. Ich bin ein leichter Fall, wie die Ärzte und Schwestern mir gesagt haben. Am einfachsten ist es bei Kindern und wer als Kind bereits seinen Blinddarm verloren hat, soll froh darüber sein. Ich wäre beinahe gar nicht operiert worden, weil ich keine richtigen Symptome hatte. Ich musste noch einmal nach Hause gehen. Am Dienstagmorgen habe ich mich nur ein ganz wenig übel gefühlt. Ich hatte keinen Appetit, habe nur ein wenig getrunken. Am Abend habe ich mich früh ins Bett gelegt. Ich bin dann nachts mit leichten Schmerzen aufgewacht, ich war am Bauch ganz empfindlich. Ich habe bis sechs wach im Bett gelegen. Dann bin ich aufgestanden, habe Tom geweckt und bin mit ihm zum Wesley gefahren. Ich bin sofort drangekommen, mir wurde der Blutdruck gemessen, ich wurde abgetastet und schon stand das Ergebnis fest, Blinddarmentzündung. Der Arzt wollte mich dann solange dabehalten, bis ich richtige Symptome bekomme. Er hat dann kurz überlegt und sich anders entschieden. Ich war um acht im Wesley und wurde schon um halb zehn operiert. Tom ist alleine zur Schule gegangen, ich habe ihm noch Geld für das Taxi gegeben. Helen und Olga habe ich auch noch schnell angerufen. Helen wollte gleich ins Krankenhaus kommen, aber ich bat sie, bei mir zu Hause auf Tom zu warten und sich nach der Schule um ihn zu kümmern. Nach der Operation bin ich nachmittags im Krankenzimmer aufgewacht. Das Zimmer ist mit drei anderen Patientinnen belegt, das heißt, jetzt sind es nur noch zwei, gestern wurde eine ältere Dame entlassen. Abends nach der Operation waren sie schon alle bei mir zu Besuch, Helen, Olga und Tom und auch Mrs. Lovegrove war da. Die beiden Johns sind dann sogar auch noch dazugekommen. Mir wurde leider nur eine halbe Stunde Besuch genehmigt und es war auch gut so. In der Nacht habe ich mich dann richtig ausgeschlafen. Am nächsten Morgen waren die Nachwirkungen der Narkose schon nicht mehr zu spüren, ich habe mich sehr gut gefühlt und es geht von Tag zu Tag besser. Ich muss aber dennoch eine weitere Woche im Krankenhaus bleiben.
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