Brisbane, 11. Februar 1921
Vor zwei Tagen habe ich angerufen und schon heute Vormittag einen Termin bekommen. Ich denke es sieht gut aus. In der Anzeige suchten sie Übersetzer für Holländisch. Ich habe so wenige Aufträge in Holländisch, aber ich hoffe, das ändert sich jetzt. Die Baridge Company ist eine Handelsgesellschaft, die mehrere Kontore auf Sumatra und Java unterhält. Ich soll ausdrücklich nicht dorthin reisen, sondern von Brisbane aus die Korrespondenz führen, Verträge übersetzen und auch sonst übersetzen, was anfällt. Die Bezahlung ist sehr gut, was ja auch der Grund für mein großes Interesse ist. Sie wollen noch einige Probeübersetzungen, um zu sehen, was ich kann. Ein Mr. Pembrooke hat mich zu dem Gespräch empfangen. Mit ihm hatte ich vorher schon telefoniert. Es war dann später noch ein anderer Mann bei dem Treffen dabei, seinen Namen habe ich mir aber nicht gemerkt. Ich habe einige Unterlagen zum Übersetzen mit nach Hause genommen. Ich hatte noch angeboten, mich mit den Herren auf Holländisch zu unterhalten, was sie aber ablehnten. Mr. Pembrooke meinte, dass das eben das Problem sei. Die Baridge Company hat ihr australisches Kontor für Indonesien in Darwin, dort würden auch Leute sitzen, die Holländisch verstünden, aber die Verwaltung sitzt hier in Brisbane. Ich werde meine Probeübersetzungen machen und dann werden wir sehen, ob sie mich haben wollen.
Brisbane, 15. Februar 1921
Ich war gleich heute wieder in den Büros der Baridge Company und habe die Probeübersetzungen abgegeben. Sie hatten doch tatsächlich Übersetzungen zum Vergleich. Ich musste vorne im Sekretariat auf die Beurteilung warten. Dann kam Mr. Pembrooke und hat mich in sein Büro gebeten. Ich habe großes Lob bekommen. Meine Übersetzung sei inhaltlich völlig richtig. Ich habe gedacht, wofür mich dieser Mann hält, natürlich sind die Übersetzungen, die ich erstelle, inhaltlich korrekt. Dann meinte Mr. Pembrooke noch, dass ich die Briefe sehr gut in ein Geschäftsenglisch übertragen hätte, was ihm ebenfalls sehr gefällt. Für mich ist das nichts Besonderes, so habe ich es eben gelernt, wovon ich Mr. Pembrooke aber nichts erzählt habe, ich habe das Lob einfach angenommen. Als richtige Belohnung habe ich gleich Arbeit mitbekommen. Mr. Pembrooke hatte mir zwar auch einen Platz in seinen Büros angeboten, aber ich habe ihm meine Situation erklärt. Ich brauche jetzt auch nicht jedes Mal zur Baridge Company zu kommen, um meine Arbeiten vorbeizubringen. Es gibt einen Botenservice, den ich nutzen kann. Nach dem, was ich überblicke, bin ich in den nächsten Wochen gut ausgelastet, sie haben mir bis Ende des Jahres so viele Aufträge zugesagt, dass es fast die Hälfte meiner Zeit ausmachen wird. Die Aufträge der Baridge Company sind somit etwas Festes, fast so als wäre ich dort angestellt. Bei meinen anderen Aufträgen mache ich zumeist das, was hereinkommt. Es gab auch schon einmal Wochen, an denen ich so gut wie nichts zu tun hatte.
Ein »A« in Mathematik und ein »A« in Werken hat Tom mir zu meinem Geburtstag geschenkt. Er hat beide Noten erst gestern erhalten und so fiel es ihm spontan ein, sie mir zu widmen, wie er sich ausgedrückt hat. Auf solche Geschenke bin ich sehr stolz. Tom hat das »A« im Werken übrigens für eine Holzschachtel bekommen, die er mir dann gleich auch noch zum Geburtstag geschenkt hat. Von Vater habe ich schon gestern einen Brief bekommen. Seine Erkältung hat sich wohl noch immer nicht gebessert. Ich werde Joy schreiben und sie bitten, nach ihm zu sehen.
Vater hat vor wenigen Tagen einen Artikel über Mrs. Edith Cowan geschrieben. Es ist kein normaler Artikel, sondern eine Befragung. Die Fragen, die Vater gestellt hat, sind zusammen mit den Antworten abgedruckt. Vater war extra nach Perth gereist, wo Mrs. Cowan erst in diesem Monat in das dortige Parlament gewählt wurde. Sie ist wohl auch die erste Frau überhaupt, die in das Parlament eines australischen Staates aufgenommen wurde. Vater hat Mrs. Cowan nach allem Möglichen gefragt, nach ihrem Leben, bevor sie in die Politik ging, genauso wie über das, was sie für ihre Wähler leisten will. Es ist sehr interessant, denn Mrs. Cowan hat sich schon früh für die Rechte von Frauen und Kindern eingesetzt und sie will dies auch mit ihrer Arbeit im Parlament fortführen.
Heute kam es mir einmal mehr sehr trostlos vor. Ich sitze in dieser großen Stadt, arbeite die ganze Woche an meinem Schreibtisch und nehme mir vor, am Wochenende mit Tom hinaus aufs Land zu fahren oder ans Meer, am liebsten ans Meer. Mir fehlt es, einfach jetzt gleich aufzustehen, aus dem Haus zu gehen und einen Spaziergang am Strand zu machen. Es wäre auch nicht damit getan, wenn Tom und ich in die Vorstadt ziehen.
Jetzt habe ich auch einmal einen Film mit dem berühmten Tramp gesehen. Eine komische Geschichte, mehr etwas für Tom, vor allem als der Tramp das Frühstück bereitet hat oder als die Kühe von ihm durchs Dorf getrieben wurden. Ich fand es am lustigsten, als der Tramp auf der Brücke einschläft und dann von den Feen oder Jungfrauen geweckt wird. Der Film war recht kurz, der Schluss kam viel zu schnell. Tom hätte gerne noch mehr gesehen. Dann müssen wir uns eben weitere Chaplin-Filme ansehen. Es kommen bestimmt noch wieder neue ins Kino.
Die Reihen lichten sich so langsam. Toms heutiger Kindergeburtstag war ganz artig und ruhig. Es waren lediglich drei Jungen, die ihm noch ihre Aufwartung gemacht haben, Keith, Paul und Jimmy. Ich frage mich, wer in den Jahren noch bei ihm sein wird, vielleicht alle drei, sie gehen zusammen zur Schule, dann zum College, werden zusammen erwachsen. Es ist schon spannend darüber nachzudenken. Was wird sein, wenn Tom eines Tages erwachsen ist. Ich freue mich darauf, aber ich kann mir heute noch nicht vorstellen, ihn eines Tages zu verlieren, an eine Frau, an eine Familie. Es ist ein eigenartiges Gefühl.
Joy hat mir wieder geschrieben. Ich habe sie ja gebeten nach Vater zu sehen, weil er doch im März noch immer so erkältet war. Joy hat dem Arzt sein Schweigegelübde abgerungen und erfahren, dass Vater nur knapp einer Lungenentzündung entgangen ist. Ich muss ihn unbedingt schelten, auch wenn ich Joy damit verrate. Es scheint ihm jetzt aber besser zu gehen. Ich werde jedoch weiter auf meinen Spion setzen.
Ich habe jetzt doch ernsthaft darüber nachgedacht. In einem Jahr ist Tom zehn. Er wäre nicht zu jung und auch noch nicht zu alt, um ein neues Leben, an einem neuen Ort, in einem neuen Land zu beginnen. Wir haben beide in Brisbane unsere Freunde. Für Tom wäre es sicherlich leichter, eine Kinderfreundschaft aufzugeben, um wieder neue Freunde kennenzulernen. In seinem Alter dürfte das wirklich nicht schwierig sein. Ich bin hin- und hergerissen, was das Richtige ist, nicht nur für Tom, sondern vor allem für mich.
Diese Woche ist wirklich sehr ausgefüllt. Ich musste zwei Aufträge verschieben, weil Mr. Pembrooke wieder einen ganzen Stoß geschickt hatte. Zu den holländischen Übersetzungen sind jetzt auch noch spanische Übersetzungen hinzugekommen. Die Baridge Company hat nämlich auch Geschäftspartner in Chile. Bevor ich diese Sachen bekommen habe, hat mich Mr. Pembrooke aber wieder getestet, ich denke er kann nicht anders.
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