Dann hören wir von einem schlimmen Rückschlag. Die Menschen in Paris haben wieder Angst, denn der Feind hat es geschafft, Granaten auf die Stadt abzufeuern. Es soll Treffer gegeben haben.
In Australien ist der Absinth doch verboten. Ich sehe mir gerade die drei Flaschen an, die Onkel Louis im Februar zu Vaters Geburtstag mitgebracht hat. Eine Flasche haben wir auf der Feier gleich geöffnet und jeder hat mit einem Glas Absinth auf Vater angestoßen. Ich denke für den Hausgebrauch dürfen wir die Flaschen behalten. Onkel Louis hat noch ganze fünf Kisten davon im Keller und muss sie wohl irgendwie loswerden. Zum Wegschütten seien sie ihm zu schade, auch weil es sehr guter Absinth ist. Die angebrochene Flasche werde ich aber trotzdem in den nächsten Tagen ausgießen, Vater trinkt ohnehin nichts davon und ich ja auch schon gar nicht.
In den Winterferien hatte ich leider nicht sehr viel Zeit für Tom. Vater hat sich um ihn gekümmert. Ich muss mich an die Ferienzeiten gewöhnen und schon vorher etwas planen, einen Ausflug oder sogar eine kleine Reise. Am Nachmittag geht Tom immer mit seinen Freunden in den Park. Keith hat eine Angel und sein Vater beaufsichtigt die Jungen, wenn sie am Fluss sind. Vor ein paar Tagen soll Keith sogar einen Fisch gefangen haben. Ich muss an die Fischer von Ua Huka denken, an die Boote und wie der Fang verteilt wurde.
Vater und ich haben gestern einen Artikel gelesen. Es ging um die Moral der französischen Truppen. Die Oberbefehlshaber mussten Zugeständnisse machen, weil Verpflegung und Unterbringung der Frontsoldaten schlecht waren. Jetzt soll es wieder besser sein und im Innern herrscht nun Ruhe, sodass der wahre Feind bekämpft werden kann. Vater hatte natürlich ein Sprichwort für mich ist es geradezu ein Reim: »Elend wird vergessen, gibt's nur was zu essen«. Ich musste lachen, denn es scheint ja auch zu stimmen. Jetzt bin ich aber wieder ernst, denn man darf über diesen Krieg nicht lachen.
Brisbane, 15. August 1918
In allen Zeitungen findet sich eine Fotografie von General Monash. Er wurde zum australischen Helden auf den Schlachtfeldern Frankreichs und ihm wurde eine besondere Ehre zu Teil. King Georg persönlich hat ihn zum Knight Commander erhoben und das noch auf dem Schlachtfeld.
Brisbane, 1. September 1918
In Frankreich steht es für die Alliierten besser, ein Ende des Krieges soll aber noch nicht absehbar sein. Es gibt Stimmen, die meinen, der Stellungskrieg, dieses Kämpfen entlang einer festen Front, kann sich auch noch im nächsten Jahr fortsetzen.
Brisbane, 6. September 1918
In der Vorschule ist Tom nie gehänselt worden, doch jetzt haben einige Jungen entdeckt, dass er anders ist als sie. Es genügt dazu eine Kleinigkeit. Seine Haut ist dunkler als die der anderen Kinder und sein Gesicht trägt die Züge seiner marquesanischen Vorfahren. Es sind Dinge, auf die Tom stolz sein kann, doch das sehen nicht alle so. Er wurde gefragt, ob er aus dem Outback käme und ob er zu Hause auch Raupen essen würde. Tom hat mir das nicht selbst erzählt. Jimmy war es, der mir gleich davon berichtet hat. Er konnte auch die Jungen benennen, was aber nicht wichtig ist. Warum sollte ich mit ihren Eltern sprechen oder gar mit der Lehrerin. Tom steht nicht alleine da, Jimmy ist auf seiner Seite und auch Keith und Paul. Es steht vier gegen vier.
Brisbane, 14. September 1918
Es wird von australischen Heldentaten in Belgien und Frankreich berichtet. Wieder fällt der Name Monash, General Monash.
Brisbane, 24. September 1918
Am Wochenende habe ich Tom von Ua Huka und Nuku Hiva und von Tahiti erzählt und von den Menschen, die dort leben. Ich habe von den Bauern und Fischern erzählt, die auf winzigen Inseln inmitten eines riesigen Ozeans über alles herrschen. Ich habe Tom von der einen Hälfte seines Blutes erzählt und Vater dann von der anderen Hälfte, von den stolzen Franzosen, die überall auf der Welt ihre Kolonien besitzen. Tom kennt seine Herkunft ja bereits, aber es war wichtig, sie ihm jetzt noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Ich habe dann heute Nachmittag mit Toms Lehrerin gesprochen. Wir haben vereinbart, dass Tom in der nächsten Woche vor der Klasse über seine Herkunft berichten soll, über das, was er von Vater und mir gelernt hat. Tom soll vor seiner Klasse nicht mehr der Junge mit der dunklen Haut und den schwarzen Augen sein.
Brisbane, 2. Oktober 1918
Australische Truppen kämpfen auch am Mittelmeer und in Palästina. Die Stadt Damaskus wurde von ihnen eingenommen. Das Osmanische Reich scheint immer mehr an Boden zu verlieren. Wenn es doch jetzt auch nur in Frankreich ein Ende mit dem Kriege nähme.
Brisbane, 7. Oktober 1918
Australische Truppen erobern die Stadt Montbrehain. Ich habe nachgesehen, wo der Ort liegt und abgeschätzt, dass es gut hundert Meilen von Paris entfernt ist, sogar noch nördlicher als Amiens. Die Zeitungen schreiben seit einigen Tagen von einer Wende. Die Deutschen sind des Krieges müde.
Brisbane, 15. Oktober 1918
Ich komme eben aus Toms Schule. Mein kleiner Plan ist aufgegangen. Tom hat seinen Vortrag schon vor zwei Wochen gehalten, gleich nach den Frühlingsferien. Jetzt erfahre ich, dass jeder der Jungen ganz begierig die Geschichte seiner eigenen Familie vortragen will. Jeden Morgen erzählt ein anderer Junge, aus welchem Land oder welcher Stadt seine Eltern stammen. Die Lehrerin hat eine Weltkarte im Klassenraum aufgehängt und es werden Fähnchen auf die Orte geklebt und auf den Fähnchen steht der Name jedes Jungen. Tom wird in seinem Leben immer wieder auf Menschen stoßen, die ihn wegen seines Aussehens ablehnen oder ihn deswegen sogar angreifen. Es wird nicht immer so einfach zu lösen sein, wie mit den Kindern in seinem ersten Schuljahr.
Brisbane, 22. Oktober 1918
Die Zeitungen schreiben, der Deutsche Kaiser sei am Ende. Es ist bald mit einer Kapitulation zu rechnen. Es wird immer euphorischer, immer siegesgewisser. Ich frage mich nur, wann die Alliierten endlich ins Deutsche Reich einmarschieren, wo die Deutschen doch schon so lange in Frankreich und Belgien stehen.
Brisbane, 12. November 1918
Der Krieg ist zu Ende, mehr kann ich nicht schreiben, es sagt alles. Es ging plötzlich so schnell, mir kam es zumindest so vor, aber wir sind ja auch so weit, weit weg von allem.
Brisbane, 30. November 1918
Heute hatte ich eine schöne Begegnung, an einem interessanten, aber schmutzigen Ort. Wir haben uns heute das Kraftwerk unten am Fluss angesehen, dass Brisbane mit Strom versorgt, dort fand die Begegnung statt, die Begegnung zwischen mir und Mr. Pollock. Er arbeitet im Kraftwerk und ist für die elektrischen Anlagen zuständig für die vielen komplizierten Geräte. Unsere Gruppe war schon weitergeführt worden, als mir Mr. Pollock noch etwas erklärte. Ich muss gestehen, ich habe nicht viel verstanden, weil ich auch nicht richtig zugehört habe. Ich habe natürlich zugehört, dabei aber nur auf seine schöne Stimme geachtet und auf seinen konzentrierten Blick, der mich so angezogen hat. Am Ende habe ich gar nichts mehr von dem Kraftwerk gesehen, nur das, was mir Mr. Pollock gezeigt hat. Weil ich meine Gruppe hoffnungslos verloren hatte, musste ich am Empfang warten, bis die Führung zu Ende war. Mr. Pollock ist bei mir geblieben und wir haben Kaffee getrunken. Er ist erst vor Kurzem aus dem Krieg heimgekehrt, er war bei der Marine. Jetzt hat er wieder seine Stellung im Kraftwerk, wie auch schon vor dem Krieg.
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