Brisbane, 19. Februar 1917
Einen Monat hat es gedauert, eine neue Vorschullehrerin zu finden. Erst letzte Woche wurden die Eltern unterrichtet, dass heute Einschulung ist. Ich habe Tom hingebracht. Keith und Paul sind in seiner Gruppe. Die Lehrerin hat gleich mit ein paar Kennenlernspielen begonnen und die Eltern haben sich schon nach einer halben Stunde zurückgezogen. Ich werde Tom gegen Mittag abholen.
Ich bin jetzt selbst zur Lehrerin geworden, zur Privatlehrerin. Ich gebe nachmittags an einer Schule Französischunterricht. Die Schule hat mich darum gebeten, weil einige Eltern einen Französischkurs für ihre Kinder gewünscht haben, aber in der Kürze der Zeit keine richtige Lehrerin zu finden war. Ich mache es also nur vertretungsweise und auch nur bis Ende April. Es bringt nicht viel ein, dafür ist es aber nicht weit von zu Hause und so kann ich schnell hin- und wieder zurückkommen. Es sind vier Stunden die Woche. Ich habe jetzt natürlich den Ehrgeiz, die Kinder so gut vorzubereiten, dass der Lehrer, von dem die Klasse im Mai übernommen wird, über den großen Fortschritt staunt. Ich bin gespannt, ob es mir gelingt.
Ich bin ganz aufgeregt. Eben hatte ich ein Gespräch mit einem Professor von der Universität in Brisbane, ein Philologe oder Literaturwissenschaftler, wie er sein Gebiet nennt. Es war ganz interessant. Er benötigt die Übersetzung von Artikeln aus spanischen Fachzeitschriften. Es können auch Übersetzungen aus dem Portugiesischen anfallen. Er hat mir gleich einen ganzen Packen Papiere mitgegeben. Ich soll es einfach nur wörtlich übersetzen und dann, wenn ich fertig bin, mit ihm durchsprechen. Die Bezahlung ist sehr gut, sogar sehr, sehr gut. Ich habe mich gleich an meinen Schreibtisch gesetzt und losgelegt. Ich verstehe vieles aus den Fachartikeln zwar nicht, was mich aber an der Übersetzung der Wörter und Sätze nicht hindert.
Seit zwei Wochen habe ich mit meiner Klasse kein Wort Englisch mehr gesprochen. Zu Beginn des Unterrichts habe ich den Kindern noch jedes Wort übersetzt und die Grammatik fast nur auf Englisch erklärt. Das war nicht so gut, der andere Weg ist besser. Die Kinder drücken sich zwar noch recht umständlich aus, oft nur mit einzelnen Wörtern, aber wenn ich sie dann auf Französisch und nur auf Französisch korrigiere, wird es von Stunde zu Stunde besser. Ich muss eben auch meine Erfahrungen sammeln. Leider habe ich bislang außer meiner Anwaltskanzlei und dem Universitätsprofessor noch keine weiteren Kunden. Ich habe sogar schon meinen Kindern gesagt, sie sollen ihren Eltern erzählen, dass ich auch Briefe oder Dokumente übersetze, aber ich glaube, sie haben mich nicht richtig verstanden.
Die Amerikaner werden jetzt in den Krieg eintreten. Präsident Wilson hat dem Deutschen Kaiser den Krieg erklärt. Vater sagt, es hätte schon viel früher sein müssen, schon als vor zwei Jahren die Lusitania versenkt wurde. Alle hoffen jetzt, dass die amerikanischen Truppen schnell in Europa eintreffen, kämpfen und siegen.
Die eine Aufgabe ist jetzt fortgefallen. Ich habe gestern meine letzte Französischstunde gegeben. Ich weiß nur, dass ein neuer Lehrer gefunden wurde, vielleicht lerne ich ihn ja noch irgendwann einmal kennen, um zu erfahren, was er von meiner Klasse hält. In knapp drei Monaten ist zwar noch nicht viel zu erreichen, aber ich habe den Kindern einige Kunststücke beigebracht. Das Zählen funktioniert sehr gut und natürlich auch die ganzen Begrüßungen und Höflichkeitsformeln. Wir sind auch eine Menge Tiere durchgegangen. Die Kinder wissen wie der Hund, die Katze oder auch das Pferd und viele andere Tiere auf Französisch heißen. Ich bin eigentlich zufrieden. Ich hätte wirklich gerne weitergemacht. Dennoch bin ich mit den Aufträgen von der Universität und der Anwaltskanzlei einigermaßen ausgelastet. Die Anwaltskanzlei hat mir sogar ein höheres Honorar bewilligt.
Ich muss wohl jetzt langsam Karteikarten anlegen, um meine Kunden verwalten zu können. Ich übersetze jetzt auch ausländische Pressemitteilungen. Vater hat mir die Aufträge mit seinen Kontakten zu den verschiedenen Zeitungen besorgt. Es sind sechs Zeitungen, für die ich künftig arbeite, darum werde ich auch die Karteikarten brauchen. Ich muss bei der Übersetzung ganz schnell sein. Ein Bote schickt mir zumeist am Nachmittag die Texte und ich muss sie bis zum Abend fertig haben, denn dann holt der Bote sie wieder ab. Zum Glück gibt es auch Texte, für die ich mehr Zeit habe. Es wird zwar nicht so gut bezahlt, aber die Übersetzungen lassen sich schnell machen, weil alles recht einfach geschrieben ist. Das meiste ist auf Spanisch und Französisch, aber ich hatte auch schon einen Text, den ich aus dem Holländischen übersetzen musste, es war sogar einer der ersten Aufträge.
Es gab bisher noch keinen Tag, an dem Tom nicht gerne in seine Gruppe gegangen wäre. Er hat sofort Gefallen daran gefunden. Er freut sich schon beim Aufstehen darauf. Für mich war es aber merkwürdig, dass das Haus jetzt morgens immer so still ist. Dafür ist am Nachmittag nicht mehr ans Arbeiten zu denken. Tom will mir alles zeigen, was er am Vormittag gespielt hat. Wir benutzen dabei sehr häufig die Schiefertafel. Tom zeichnet etwas und ich muss es nachzeichnen oder ich muss mir einen Buchstaben ausdenken und Tom nennt dann Wörter, die mit diesem Buchstaben beginnen.
Ich habe heute einen Teil meiner Honorare in Bücher investiert. Die ganzen juristischen Dinge habe ich bislang ganz gut übersetzen können, aber es fehlten mir immer wieder Worte, also Fachausdrücke. Ich bin dann in die Universitätsbibliothek gegangen und habe mir dort mein Wissen geholt. Eine mühsame Angelegenheit. Jetzt habe ich erst einmal ein spanisches Fachwörterbuch. Es ist nicht sehr dick, hat mich aber acht Schilling gekostet. Ich werde noch weitere Bücher brauchen, die ich mir nach und nach zulege.
Seinen letzten Fotoapparat hat Vater doch erst vor einem oder zwei Jahren bekommen, jetzt hat Monsieur Chazaud wieder eine Kamera geschickt, natürlich das neuste Modell, wieder eine Brownie Balgenkamera, auf die er Vater wohl spezialisieren will. Natürlich ist alles kostenlos, auch die Filme, die uns ja mehrmals im Jahr kartonweise erreichen. Es ist mittlerweile Vaters vierte Kamera. Der einzige Nachteil, Vater muss immer der Firma Eastman-Kodak treu bleiben.
Helen hat mich heute zum Einkaufen mitgenommen, ich sollte sie beraten. Sie braucht für eine Familienfeier ein neues Kleid. Nun hat Helen gedacht, dass ich den Pariser Chic kennen würde, was ich erst erfahren habe, als wir schon unterwegs waren. Ich musste sie leider enttäuschen, ich bin ja noch nie in Paris gewesen und dort wo ich herkomme, ist die Mode gegenüber dem Mutterland wohl meist Jahre zurück. Ich habe ja auch erst hier in Brisbane ein schönes Kleid schätzen gelernt. Helen hat sich aber davon nicht irritieren lassen, sie meinte, dass ich als Französin doch den Geschmack für Mode im Blut hätte. Wir haben dann auch gemeinsam etwas Schönes ausgesucht und Helen ist wirklich zufrieden.
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