Durch diesen Zwischenfall zeigte sich aber auch sehr deutlich, wie perfekt der Personenschutz funktionierte. Das Motorboot war innerhalb kürzester Frist bei Bergmann und ein Mann hechtete von Bord, um ihm Hilfe zu leisten. Auch an der Landseite waren sofort zwei Männer erschienen die den Steg entlang hetzten. Bergmann wurde aus dem Wasser gezogen und zum Haus getragen.
„Haben Sie sich verletzt, Herr Generalsekretär“ fragte einer der Männer besorgt und schielte auf Bergmanns noch aus der nassen Hose heraushängendes Glied.
„Nein“ erwiderte der dann wieder schwankend dastehende Bergmann mit unsicherer Aussprache „ich war vollkommen in Gedanken bei der Formulierung einer Resolution und bin bloß auf dem Steg ausgerutscht. Da muss mal ein besserer Belag drauf. Vielen Dank für Ihre Hilfe. Es ist alles in Ordnung. Ich werde jetzt wieder ins Haus gehen. Schönen Dienst noch. Ich muss jetzt noch einige Zeit an der Resolution arbeiten.“
„Herr Generalsekretär“ bat einer der Männer des Personenschutzes „es ist bald Mitternacht. Bitte schonen Sie sich etwas. Auch Sie brauchen Ihren Schlaf!“
„Die Welt braucht mich“ erklärte Bergmann mit schleppender Stimme „mein Schlafbedürfnis spielt da keine Rolle. Guten Abend.“
Frieder Bergmann bewegte sich dann, ohne die Terrassentür abzuschließen und das Licht zu löschen, in seinen klatschnassen Sachen und auf unsicheren Beinen durch das Haus in Richtung Badezimmer. Dort wollte er die nassen Sachen ablegen und sich kurz abduschen. Als er dort angekommen war entkleidete er sich. Plötzlich fiel ihm ein, dass er seinen Schlafanzug nicht mitgenommen hatte. Er musste also erst ins Schlafzimmer gehen, um die frische Kleidung zu holen.
Die ziemlich paranoiden Sicherheitsexperten der UNO hatten in Bergmanns Haus allerlei technische Raffinessen einbauen lassen. Alle Türen besaßen zwar scheinbar ganz normale Klinken, aber der Schein trog. Das betraf auch die Türen selbst. Hinter dem edlen Holzfurnier verbargen sich mehrere Lagen von extrem widerstandsfähigen Titan- und Teflon Platten. Man hatte in aufwendigen Simulationen und Planspielen den außergewöhnlichen Fall angenommen, dass ein Terrorkommando den land- und seeseitigen Personenschutz komplett ausgeschaltet hätte und Bergmann dann ungeschützt allein im Haus wäre. So war der Gedanke entstanden, dem Generalsekretär die Möglichkeit zu bieten, sich in jedem Zimmer des Hauses in Sicherheit zu bringen. Das sollte mittels elektronisch zu schließender Türen erreicht werden. Im Normalfall ließen sich die Türen aber auch von Hand öffnen und schließen. Frieder Bergmann musste also im Fall der Fälle nur eine vierstellige Nummer rufen, dann würde sich die Tür des Raumes, in dem er sich gerade aufhielt, sofort schließen und verriegelt werden. Bergmann wäre dann vorerst in Sicherheit, denn auch vor den Fenstern wären dann Schutzplatten heruntergerauscht. Die täglich wechselnde Codenummer erhielt Bergmann exakt 9 Uhr über ein vielfach gesichertes Programm direkt auf seinen Dienstlaptop. Außer ihm kannte selbstredend niemand den Code. Wollte er die Sicherungsmaßnahmen – eventuell wegen eines Fehlalarms – wieder rückgängig machen, musste er die Zahlenkombination nur nochmals in den Raum rufen. Zusätzlich waren in allen Räumen noch Sensoren installiert worden, die dem Sicherheitsdienst in dessen Zentrale erlaubten, den dann verschlossenen Raum zu identifizieren. Die Zentrale lag gut 50 Kilometer von Bergmanns Haus entfernt und dort hielt sich ständig ein schwer bewaffnetes Einsatzkommando auf, um Bergmann im Gefahrenfall dann raushauen zu können. Man ging davon aus, dass das Kommando in knapp 30 Minuten vor Ort wäre. Das sollte ausreichen, denn die Schutztüren würden sämtlichen Aufbruchsversuchen mindestens 60 Minuten standhalten. Wenn das Einsatzkommando die Situation bereinigt hätte würde in dem entsprechenden Raum ein akustisches Signal ertönen und eine grüne Anzeige aufleuchten, die man per Funk von draußen aktivieren würde. Bergmann sollte dann einfach das Codewort rufen und so die Tür wieder öffnen. Das alles hatte man ihm natürlich zu seiner Beruhigung mitgeteilt und eingeschärft, ja nicht die Nerven zu verlieren.
Frieder Bergmann lief nackt und nur mit Hausschuhen bekleidet durch sein großes Haus zum Schlafzimmer. Dort griff er sich den Schlafanzug. Vor dem Duschen wollte er sich noch einen Schluck Bier genehmigen und nahm einen Umweg über den Kühlschrank. Als er die Tür öffnete sah er, dass er vergessen hatte, Flaschen nachzulegen. Verärgert ging er zum Lebensmittellagerraum. Da Bergmann des Öfteren internationale Gäste in seinem Haus hatte war dieser Bereich großzügig dimensioniert. Er bestand aus drei Räumen. Im ersten befanden sich konservierte Produkte, die nicht gekühlt werden mussten. Wenn man in den zweiten Raum ging spürte man Kühle, hier lagerten Fleisch, Fisch, Eier und ähnliches, sowie Bergmanns Biervorrat und diverse andere alkoholische Getränke. Die Temperatur dort betrug genau 7 Grad. Darauf hatte Bergmann vehement bestanden, denn so würde das Bier bestens temperiert sein. Der dritte Raum beherbergte zwei große Kühlzellen für länger aufzubewahrende Lebensmittel. Frieder Bergmann nahm seinen Bierlagerbestand in Augenschein. Dieser war durchaus umfangreich, aber er stellte fest, dass er nur aus zwei Sorten bestand: Radeberger und Wernesgrüner.
„Diese lieblose 0815 Auswahl geht mir tierisch auf den Sack“ rief Frieder Bergmann wütend aus.
Im nächsten Moment schlossen sich die Türen zum ersten und zum dritten Raum krachend und er hörte wie Riegel knackten. Frieder Bergmann stand zwar mit Hausschuhen aber vollkommen nackt und schockstarr im Kühlraum. Was jetzt gerade geschehen war konnte er sich in seinem angetrunkenen Zustand nicht erklären. Die Männer in der Zentrale des Sicherheitsdienstes sahen im gleichen Moment auf ihren Monitoren, dass sich der Generalsekretär in den mittleren Lagerraum geflüchtet hatte. So etwas war noch nie passiert, und in der Aufregung vergaßen die Sicherheitsleute, die Situation durch einen Anruf bei den vor Ort befindlichen Personenschützern zu verifizieren. Als das Einsatzkommando exakt 27 Minuten später an der Zaunanlage aufkreuzte wurde es von ihren vor Ort befindlichen Kollegen verwundert empfangen.
„Was wollt ihr denn hier“ fragte einer der Männer.
„Die Schutzperson hat sich in einen Raum geflüchtet“ erwiderte der Führer des Einsatzkommandos aufgeregt „wir müssen ihn schnell befreien.“
„Aber hier ist doch gar nichts vorgefallen. Alles ist ruhig“ meinte einer der Männer des Objektschutzes.
„Er muss einen Grund gehabt haben sich in Sicherheit zu begeben“ vermutete der Führer des Einsatzkommandos „wir gehen jetzt rein.“
Seine Männer zogen ihre Sturmhauben über die Gesichter und entsicherten ihre Waffen. Dann verteilten sie sich und gingen aus verschiedenen Richtungen geduckt auf das Haus vor.
„Die Tür ist offen und das Licht brennt“ flüsterte einer erstaunt „nichts wie rein.“
Um die Ecken lugend durchsuchte die Elitetruppe das ganze Haus, fand aber niemand vor. Schließlich trafen sich alle vor dem Lagerbereich. Die Tür zum ersten Raum stand offen, die zum zweiten war geschlossen.
„Da ist er drin“ flüsterte der Führer des Einsatzkommandos „ich sende jetzt das Entwarnungssignal.
Frieder Bergmann war kurz nach dem Türschließen dann doch noch irgendwie eingefallen, dass es ein Codewort gab. Welches am heutigen Tage gültig war wusste er aber nicht. Es musste also mit dem zusammen hängen, was er vorhin gesagt hatte. So sehr er auch grübelte, er kam nicht darauf. Langsam begann er zur Frieren. Nach gut 10 Minuten war er schon ordentlich durchgekühlt, nach 20 Minuten zitterte er bereits heftig. Um sich Aufwärmung zu verschaffen griff er sich eine Flasche Jagertee, öffnete diese, und nahm einen kräftigen Schluck. Wie aus dieser vertrackten Situation herauskommen könnte war ihm absolut schleierhaft. Vor seinem geistigen Auge sah er bereits die Schlagzeilen der Presse vor sich:
Читать дальше