1 ...7 8 9 11 12 13 ...20 Noéra war froh als sich nach und nach alle wieder dem Brautpaar zuwandten. Sie wusste nicht wie lange es ihr noch gelingen würde, Haltung zu bewahren. Als sie schließlich von ihrem Platz aufstand und so tat als würde sie zum Buffet gehen fing sie für einen Moment Martha Gillivans Blick über die Köpfe der anderen Gäste hinweg auf. Sie sah ihr nur einen Augenblick lang in die Augen, doch sie wusste dass Martha ihren verzweifelten Blick richtig zu deuten vermochte und wusste was geschehen war. Voller Mitleid, so schien es Noéra, schüttelte sie ganz leicht den Kopf, so als wolle sie sich für etwas entschuldigen woran sie gar keine Schuld trug. Als Noéra schließlich den Tisch verließ bemerkte sie, wie Henry ebenfalls aufstand um ihr zu folgen. Sie beschleunigte ihren Schritt und ging ein Stück den von Fackeln gesäumtem Weg entlang. Die Fackeln waren bereits entzündet worden da es mittlerweile dunkel und der Mond aufgegangen war. Nach einigen Metern holte Henry sie ein und beeilte sich, mit ihr Schritt zu halten. Sie beachtete ihn jedoch gar nicht. Erst als er ihren Arm ergriff hielt sie inne und drehte sich zu ihm herum.
„Fass mich nicht an!“, fuhr sie ihn zischend an.
„Was ist denn los?“, fragte Henry verwundert und raubte Noéra damit beinahe ihren letzten Funken Selbstbeherrschung. Aber immerhin ließ er sie los. Das konnte doch alles nicht wahr sein.
„Was los ist? Fragst du mich das allen Ernstes?“ Wütend sah sie ihm in die Augen. „Wie konntest du das tun?“
„Was…“ Noéra ließ ihn jedoch gar nicht zu Wort kommen.
„Wie konntest du mit meinen Eltern sprechen ohne mich vorher zu fragen ob ich dich heiraten will? Ohne vorher ein einziges Mal mit mir zu sprechen? Wie konntest du nur…?“ Plötzlich fehlten ihr die Worte.
„Ich dachte das sei auch in deinem Sinne. Ich hatte geglaubt du empfändest genauso wie ich. Ich dachte du würdest dich freuen.“ Noéra schnaubte.
„Mich darüber freuen, derart vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden, ohne jemals gefragt worden zu sein? Ich bitte dich, Henry. Wie konntest du das glauben?“ Mit funkelndem Blick sah sie ihn an und sie meinte so etwas wie Scham in seinen Augen aufflackern zu sehen. Oder war es etwas Anderes? Furcht vielleicht? Einen Moment schwiegen beide, dann fuhr Noéra leise fort.
„Egal, was dir meine Eltern gesagt haben. Egal, was für eine Abmachung ihr habt. Ich werde auf keinen Fall deine Frau werden. Niemals!“
„Aber Noéra…“
Doch Noéra wandte sich schon von ihm ab.
„Es gibt nichts mehr zu sagen“, erwiderte sie und ging dann einfach davon. Henry blieb allein zurück und sah ihr nach, sah, wie der Schein der Fackeln ihr Kleid hell schimmern ließ bevor sie schließlich in die Dunkelheit verschwand.
Wie hatte er sich nur so täuschen können, fragte sich Henry. Hatte er sich von seinen eigenen Gefühlen für Noéra blenden lassen? Er sah ein dass er einen Fehler gemacht hatte als er mit Noéras Eltern gesprochen hatte ohne sie vorher selbst um ihre Hand zu bitten. Jane Hayden hatte ihm jedoch versichert, Noéra würde überglücklich sein, seine Frau zu werden. Und es war auch ihr Vorschlag gewesen, die Verlobung bereits an diesem Abend bekannt zu geben. Doch nun? Was sollte er jetzt tun? Schließlich sagte er sich, dass sich Noéra sicher wieder beruhigen und ihre Meinung ändern würde.
Nach ihrem Gespräch mit Henry hatte Noéra die Feier verlassen. Sie wollte niemanden mehr sehen, mit niemandem mehr sprechen müssen. Doch sie wollte Lydia auch nicht das Fest verderben. Daher hatte sie Milton kurzerhand gebeten, sie nach Hause zu fahren. Er hatte zwar kurz gezögert, dann jedoch zugestimmt. Er wurde im Moment ohnehin nicht gebraucht und er konnte die junge Frau bei dieser Dunkelheit schließlich auch nicht zu Fuß gehen lassen. Also brachte er sie nach Hause und ließ sie vor der Haustüre aussteigen.
„Danke, Milton“, sagte Noéra als sie aus der Kutsche stieg. Er nickte knapp und fuhr dann zurück zur Feier.
Noéra war nun ganz allein im Haus. Alles war ruhig, doch das kam ihr gerade gelegen. Sie machte kein Licht, sondern eilte im Dunkeln die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Auch ihr Zimmer wurde nur schwach vom Schein des Mondes erhellt, doch das machte Noéra nichts aus. Die hier herrschende Atmosphäre passte ausgezeichnet zu ihrer düsteren Stimmung. Als sie sich dessen bewusst wurde, lachte sie kurz laut auf, bevor sie ihren Tränen freien Lauf ließ. Ihre ganze Verzweiflung über ihre ausweglos erscheinende Situation brach nun über sie herein. Doch es gab nun keinen Grund mehr, sich weiter zusammenzureißen. Sie ließ sich auf ihr Bett sinken ohne Rücksicht auf ihr Kleid zu nehmen und weinte so lange bis sie keine Tränen mehr hatte und schließlich einschlief. Es war jedoch ein unruhiger und wenig erholsamer Schlaf.
Der nächste Morgen war wolkenverhangen und Noéra erwachte erst, als Sarah ihr Zimmer betrat und langsam die schweren Vorhänge, die die Fenster verdunkelten, beiseiteschob. Trotz des trüben Lichts fühlte Noéra sich geblendet. Als Sarah zu Noéra ans Bett trat erschrak sie. Noéra sah blass aus und ihre Augen waren vom vielen Weinen noch immer gerötet. Sarah setzte sich zu ihr ans Bett und strich ihrer Freundin das Haar zurück.
„Sie wollen mich zu der Heirat zwingen“, sagte Noéra mit heiserer Stimme.
„Ich weiß“, entgegnete Sarah. „Aber das können sie doch nicht, oder?“
„Doch, ich fürchte schon. Oh Sarah, was soll ich nur tun?“ Sarah hörte sie Verzweiflung in Noéras Stimme.
„Ich weiß es nicht. – Es tut mir so leid.“
Noéra nickte nur schweigend. Natürlich konnte Sarah ihr nicht helfen.
„Sie erwarten dich übrigens unten. Deine Eltern, meine ich.“ Noch einmal strich Sarah ihr über das Haar.
„Danke“, erwiderte Noéra. „Sag ihnen dass ich gleich runter komme.“
Als Sarah nickte und zur Tür ging fuhr Noéra leise fort.
„Sarah – ich kann Henry nicht heiraten. Und ich werde ihn nicht heiraten. Eher gehe ich von hier fort.“
Sarah hielt noch einmal inne und sah Noéra in die Augen. Langsam nickte sie, doch der Klang in Noéras Stimme machte ihr Angst. Sie empfand tiefes Mitleid mit ihrer Freundin. Dann verließ sie Noéras Zimmer.
Wenig später verließ Noéra ebenfalls ihr Zimmer. Sie hatte sich gewaschen, frisiert und angezogen. Doch nach wie vor fühlte sie sich elend. Ihre Verzweiflung war noch schlimmer als am Abend zuvor. Wie sollte sie ihren Eltern bloß gegenübertreten? Noch dazu auf nüchternen Magen? Andererseits hatte sie sowieso keinen Appetit. Vermutlich hätte sie keinen einzigen Bissen herunterbekommen.
Langsam ging sie die Treppe hinunter und weiter zum Arbeitszimmer ihres Vaters. Sie wappnete sich innerlich für das bevorstehende Gespräch. Es würde nicht angenehm werden, das wusste Noéra, doch sie würde sich nicht vor der Auseinandersetzung drücken. Sie würde ihren Eltern sagen dass sie Henry auf gar keinen Fall heiraten würde. Und das tat sie, gleich nachdem sie das Zimmer betreten hatte. Sie sah den entgeisterten Blick ihres Vaters und den Zorn in den Augen ihrer Mutter, doch das änderte nichts an ihrem Entschluss. Schließlich ging es hier um ihre Zukunft. Ihre Mutter wollte gerade dazu ansetzen, sie anzuschreien, doch ihr Vater legte ihr beschwichtigend eine Hand auf den Arm und ergriff stattdessen selbst das Wort. Noéra bemerkte den wütenden Blick ihrer Mutter.
„Noéra, Henry war heute Morgen bereits in aller Frühe hier. Er hat uns von eurem Streit gestern Abend erzählt. Es tut ihm leid was vorgefallen ist und uns tut es ebenfalls leid. Du hast Recht, wir hätten wirklich vorher mit dir sprechen sollen. Henry sieht das genauso. Doch wir waren der Ansicht, völlig in deinem Sinne zu handeln.“ Seine Stimme klang ruhig, doch Noéra blieb trotzdem misstrauisch.
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