„Seid Ihr in Ordnung, Sir?“, fragte Lawrence, und er nickte.
„Natürlich“, antwortete er knapp. „Und – ihr?“
Lawrence sah ihn einen Augenblick lang mürrisch an bevor er antwortete.
„Natürlich“, erwiderte er dann und sein Mund verzog sich erneut zu einem spitzbübischen Grinsen, das ihn auf einmal viel jünger erscheinen ließ. Erleichtert atmete er auf und nun erwiderte er das Lächeln seines Dieners. Er hatte gar nicht daran gedacht, dass Lawrence das Gewehr bei sich hatte. Doch er wusste dass der alte Mann ein ausgezeichneter Schütze war und erkannte zufrieden, dass sie keine Sekunde lang ernsthaft in Gefahr gewesen war. Er dankte Lawrence mit einer stummen Geste und warf nur einen kurzen Blick auf sie, als Lawrence den Vorhang weiter zur Seite schob. Aber dieser kurze Blick genügte um sicher zu sein, dass es ihr gut ging. Er genügte jedoch auch um ihn ruckartig zurücktreten zu lassen. Er war noch zu aufgebracht wegen des Vorfalles eben und konnte es nicht ertragen, sie zu sehen. Er war noch nicht wieder Herr seiner selbst und seine natürlichen Instinkte im Moment zu sensibel und kaum kontrollierbar. Mit einer knappen Geste bedeutete er Lawrence, die Türe gut zu verschließen. Dann schwang er sich wieder auf den Kutschbock und sie fuhren weiter. Die Pferde waren noch ein wenig aufgeregt, doch er hatte sie dennoch fest im Griff und sie würden sich bald wieder beruhigen, wenn sie erst einmal in Bewegung waren. An die vier Kerle verschwendete er keinen weiteren Gedanken mehr. Er hatte sie nur in Windeseile aus dem Bach gezogen und hinter einigen großen Felsen versteckt. Dabei waren seine Kleider größtenteils durchnässt worden, was ihn jetzt leise fluchen ließ, denn die Nachtluft war kalt und der Fahrtwind ließ ihn frösteln. Doch vielleicht tat ihm die Abkühlung ganz gut, dachte er schließlich.
Die Weiterreise verlief ohne weitere Zwischenfälle.
Nach knapp zweieinhalb Wochen erreichten sie schließlich ihr Ziel. Sie waren mit der Kutsche erheblich schneller vorangekommen als er erwartet hatte und er war sehr zufrieden. Erst an den beiden letzten Tagen ihrer Reise, bereits weit oben im Norden, hatte es zu schneien begonnen und der Schnee hatte die Landschaft hier bereits in flächendeckendes, glitzerndes Weiß getaucht. Das lang anhaltend gute Wetter hatte ihr schnelles Vorwärtskommen sehr begünstigt und in den tieferen Lagen würde der Schnee wohl auch noch ein wenig auf sich warten lassen. Doch hier, in seiner Heimat, war alles ein wenig anders.
Sie erreichten Dawning House am späten Nachmittag und wurden bei ihrer Ankunft von Mr. Andrews, dem Verwalter, begrüßt. Mr. Andrews war ein kräftiger, braunhaariger Mann in den mittleren Jahren, der sich während seiner Abwesenheit um das Anwesen gekümmert hatte. Normalerweise fiel diese Aufgabe Lawrence zu, aber auf dieser langen und speziellen Reise hatte er seinen Diener lieber an seiner Seite haben wollen. Doch auch Mr. Andrews war äußerst zuverlässig, nicht nur wenn es darum ging, sich um die Anliegen der Pächter zu kümmern. So fand er Dawning House in exzellentem Zustand vor und alles war für den Winter, der hier bereits eingesetzt hatte, vorbereitet worden. Er dankte Mr. Andrews höchst zufrieden und versprach, ihn am folgenden Vormittag in seinem etwa eine halbe Meile entfernten Haus aufzusuchen. Dann konnte Mr. Andrews ihn über die wichtigsten Vorkommnisse während seiner Abwesenheit in Kenntnis setzen. Und vielleicht würde er auf diesem Weg auch gleich einige seiner Pächter auf ihren Höfen besuchen um sich selbst zu vergewissern, dass dort alles in Ordnung war. Er legte größten Wert auf ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis zu seinen Pächtern und er wusste, dass das von diesen sehr geschätzt wurde. Doch nun gab es erst einmal Wichtigeres, worum er sich kümmern musste und so verabschiedete er sich von Mr. Andrews, der sich sogleich auf den Heimweg zu seiner Familie machte.
Er wartete bis der Verwalter sich weit genug entfernt hatte und ging dann zu seiner Kutsche zurück, wo Lawrence geduldig auf ihn gewartet hatte. Als er ihn kommen sah öffnete Lawrence die Tür auf der linken Seite der Kutsche und sah ihm entgegen. Bereits bevor er etwas sagte erkannte Lawrence die unausgesprochene Bitte in den Augen seines Herrn.
„Selbstverständlich, Sir. Ich werde die junge Lady sofort in das für sie vorgesehene Zimmer bringen und mich um sie kümmern. Es wird ihr an nichts fehlen.“
„Danke, Lawrence“, erwiderte er erleichtert. „Ich werde derweil die Pferde versorgen und dann nachkommen.“
Der alte Diener nickte und tat dann wie ihm geheißen.
Als Lawrence sie fort gebracht hatte ließ seine Anspannung ein wenig nach und er spannte die Pferde aus um sie dann in den Stall zu bringen. Er war froh, sich selbst um die Pferde kümmern zu können. Das würde ihn wenigstens vorübergehend ablenken. Außerdem war er immer gerne mit diesen wundervollen Tieren zusammen. Daher hatte er Mr. Andrews gebeten, den Stallknecht erst am nächsten Morgen wieder zur Arbeit zu schicken. Nachdem die Pferde versorgt waren verweilte er noch eine Zeitlang bei ihnen. Sie beruhigten ihn und hier würde er Kraft sammeln für das, was vor ihm lag.
Erst sehr viel später verließ er den Stall, nicht jedoch ohne sich vorher von jedem Pferd mit einem sanften Streicheln und ein paar leisen Worten zu verabschieden. Draußen war es unterdessen stockdunkel geworden. Es würde eine finstere Nacht werden. Weder der Mond, noch die Sterne waren zu sehen. Wahrscheinlich würde es wieder schneien.
Er hatte sich mehr Zeit gelassen als eigentlich beabsichtigt und er musste sich eingestehen, dass das vor allem an seiner Angst und Unsicherheit lag die er empfand wenn er an das dachte, was nun vor ihm lag. Er konnte sich nicht daran erinnern jemals zuvor so sehr von Gewissensbissen gepeinigt worden zu sein. Er war hin- und hergerissen zwischen seinem Pflichtgefühl, das zu tun was ihm vorherbestimmt war, und dem Verlangen, seinen Gefühlen nachzugeben. Doch egal wie er sich entscheiden würde. Seine Entscheidung würde tiefgreifende Folgen haben. Folgen, deren Konsequenzen er zu tragen hatte. Und nicht nur er. Doch schließlich sagte er sich, er würde erst einmal die nächsten Tage abwarten um zu sehen wie sich alles entwickelte.
Mit festen Schritten ging er über den Hof und ins Haus.
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