Henry war überglücklich als er Noéras Nachricht erhielt und besuchte sie noch am selben Nachmittag. Auch Noéras Mutter war äußerst zufrieden mit der Entscheidung ihrer Tochter und schon bald stand der Termin für die Hochzeit fest. Noch vor Weihnachten sollte die Trauung stattfinden und es gab noch Etliches vorzubereiten.
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Nein! dachte er und war völlig außer sich. Das darf nicht sein! Die Nachricht, dass sie heiraten würde, traf ihn wie ein Blitzschlag und er ballte die Hände zu Fäusten. Das durfte er auf keinen Fall zulassen. Er musste etwas unternehmen. Und zwar bald. Nun durfte er nicht länger warten, sondern musste handeln.
Er hatte geglaubt er habe noch etwas mehr Zeit um sich zu überlegen, wie er vorgehen sollte. Doch er musste sich eingestehen dass er bereits viel zu lange gezögert hatte. Das war eigentlich nicht seine Art. Er hatte sich eingeredet er müsse sich erst einmal über seine Gefühle klar werden. Doch das stimmte nicht. In Wahrheit war er sich völlig klar darüber, wie er empfand. Und das schon seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Dass er so eigentlich nicht für sie empfinden durfte war eine andere Sache, doch darüber würde er später nachdenken. Nun musste er handeln und durfte keine Zeit mehr verlieren. Es gab noch einige Dinge zu erledigen bevor er seinen Plan, der ihm bereits seit einer Weile durch den Kopf ging, in die Tat umsetzte.
Hastig stand er auf und eilte die Treppe hinunter. In der Eingangshalle rief er nach Lawrence. Sein Diener erschien nur wenige Augenblicke später in der Halle und trat zu seinem Herrn. Er erläuterte Lawrence knapp, was er zu tun gedachte und Lawrence nickte.
„Sehr wohl, Sir. Ich werde alles Notwendige vorbereiten. Wenn Ihr es wünscht können wir in zwei Tagen aufbruchbereit sein.“
„Danke“, erwiderte er und lächelte seinen Diener erleichtert an. Dann verließ er das Haus.
Lawrence sah seinem Herrn noch einen Moment hinterher. Er hoffte dass dieser wusste was er tat. Sein Vorhaben war nicht ungefährlich. Weder für ihn, noch für sie und er handelte damit gegen alle Vernunft. Und noch schlimmer. Er handelte entgegen der Bestimmung. Entgegen seiner und ihrer Bestimmung und es war eigentlich seine, Lawrence‘, Aufgabe dafür Sorge zu tragen dass er seine Aufgabe erfüllte. Doch wie sollte er das tun? Er sah doch tagtäglich, wie es um seinen Herrn bestellt war. Er hatte ihn nie zuvor so außer sich gesehen. Nie zuvor hatte er ihn so glücklich und gleichzeitig so verzweifelt gesehen. Wie konnte er ihm da seine Unterstützung verweigern? Nach allem was sie bereits gemeinsam durchgemacht hatten? Dennoch ahnte Lawrence bereits, dass es nicht einfach werden würde. Weder für seinen Herrn, und schon gar nicht für sie.
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Vor der Hochzeit gab es noch Vieles zu erledigen und Noéra hatte alle Hände voll zu tun. Doch das war gut so, lenkte es sie doch von ihren wirren Gedanken ab. Immer wieder fragte sie sich, ob sie wohl das Richtige tat. Je näher jedoch der Termin heranrückte, desto überzeugter war sie davon. Sie glaubte sogar, sich wirklich zu freuen. Jedenfalls redete sie sich das ein. All ihre Freundinnen waren bereits ganz aufgeregt, viel mehr als Noéra selbst, und freuten sich für sie. Immer wieder erklärten sie ihr, wie sehr sie sie darum beneideten, einen so tollen Mann wie Henry zu heiraten. Und Henry selbst brachte ihr gegenüber deutlich zum Ausdruck wie sehr er sich freute und wie glücklich er war. Er besuchte Noéra so oft es ihm möglich war und überhäufte sie förmlich mit Geschenken. Noéra freute sich darüber, wenngleich keines der Geschenke wirklich ihr Herz berührte. Sie hätte liebend gerne auf jedes einzelne davon verzichtet wenn sie Henry dafür aufrichtig hätte lieben können. Aber vielleicht würde das ja irgendwann der Fall sein. Zumindest versuchte sie sich damit zu trösten und meistens gelang ihr das auch. Nur an einem Nachmittag nicht.
Es war ein anstrengender Tag gewesen und es waren nur noch wenige Wochen bis zu ihrer Hochzeit, die Anfang Dezember stattfinden sollte. Als sie gegen Nachmittag alles erledigt hatte was sie sich für diesen Tag vorgenommen hatte sagte sie Sarah, sie solle ihren Eltern ausrichten sie mache vor dem Abendessen noch einen Spaziergang, sei aber rechtzeitig wieder zurück. Sarah nickte und verabschiedete sich von Noéra, die sich auf den Weg zu Mr. Christie und Amaté machte. Es war bereits wieder einige Tage her seit Noéra den hübschen Hengst zum letzten Mal besucht hatte und daher beeilte sie sich jetzt, so schnell wie möglich den Stall zu erreichen. Sie hatte Amaté vermisst.
Wie gewöhnlich klopfte Noéra kurz an das große Tor bevor sie den Stall betrat. Mr. Christie war nirgends zu sehen, daher ging sie direkt quer durch den Stall bis zu Amatés Box. Zu Noéras Überraschung stand die Boxentür offen und die Box war leer. Verwirrt sah Noéra sich um, doch der junge Hengst stand auch in keiner der anderen Boxen. Daher ging sie zu Mr. Christies kleinem Büro, das sich direkt neben dem Eingang zum Stall befand. Zaghaft klopfte sie an die geschlossene Türe. Eigentlich widerstrebte es ihr, Mr. Christie zu stören, doch sie wollte unbedingt wissen wo Amaté war. Sie hatte ein seltsames Gefühl in der Magengegend. Dieses Gefühl wandelte sich gleich darauf in Bestürzung, als Mr. Christie ihr öffnete und sie ihn nach dem Hengst fragte.
„Der Hengst ist verkauft“, erklärte der Pferdehändler ohne Umschweife.
„Was?“, entfuhr es Noéra. „Wie…“
„Es ging alles sehr schnell. Gestern Abend kam ein Mann, ein sehr edler Herr, mit seinem Diener hierher. Ich habe ihm viele Pferde gezeigt, doch er hat sich ausschließlich für diesen Hengst interessiert. Ich habe ihn sogar vor der Wildheit des Pferdes gewarnt, doch das war ihm gleichgültig. Er wollte den Hengst unbedingt haben. Nicht einmal gehandelt hat er.“
Noch immer ungläubig über diese Tatsache schüttelte Mr. Christie den Kopf. Als er Noéras traurigen Blick sah fuhr er fort.
„Es tut mir Leid, Mädchen. Ich hätte dir gerne die Möglichkeit gegeben, dich von ihm zu verabschieden, doch der Hengst wurde heute Morgen bereits ganz früh abgeholt.“
Noéra nickte, hielt den Blick jedoch gesenkt. Sie musste ein paar Tränen fortblinzeln.
„Das ist schon in Ordnung. Ich wusste ja, dass dieser Tag irgendwann kommen würde und Sie ihn verkaufen.“
Mr. Christie nickte. Er war erleichtert dass es die junge Frau so gelassen aufnahm. Ihm war schließlich nicht entgangen, dass sie den jungen Hengst sehr gerne gehabt hatte. Insgeheim hatte er immer noch gehofft sie könne ihren Vater davon überzeugen, den Hengst zu kaufen. Aber daraus war nichts geworden.
„Ich danke Ihnen, dass ich so oft hierher kommen durfte“, fuhr Noéra nach kurzem Schweigen fort und reichte Mr. Christie zum Abschied die Hand. Sie würde nicht wieder hierher kommen. Als sie sich verabschiedet hatten und Noéra gerade gehen wollte, fiel ihr noch etwas ein.
„Mr. Christie?“
„Ja?“
Mr. Christie wandte sich Noéra noch einmal zu.
„Glauben Sie, er wird es gut haben? Amaté meine ich.“
Überrascht zog Mr. Christie die Augenbrauen in die Höhe.
„Nun, ich denke schon“, entgegnete er. In Wirklichkeit wusste er es natürlich nicht, aber er wollte Noéra beruhigen. Außerdem hatte der Hengst, ein wundervolles Tier, mit dem der elegante Herr am Abend zuvor hier gewesen war, einen sehr guten und gepflegten Eindruck gemacht. Noéra nickte.
„Das ist gut“, erwiderte sie leise. „Wissen Sie, was er mit ihm vorhat?“
„Ja“, antwortete Mr. Christie zu Noéras Erstaunen. „Obwohl ich nicht weiß ob das eine gute Idee ist.“ Dabei rieb er sich nachdenklich das Kinn und Noéra sah ihn fragend an.
„Er sagte der Hengst sei ein Geschenk. Ein Geschenk für die Frau die er liebt.“
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