Frauen sind überwiegend konservative Marktteilnehmer, was erklärt, warum deutlich häufiger als statistisch zu erwarten wäre, ein richtiges Geschoss mit dem männlichen Pendant eines festverzinslichen Wertpapiers zusammenlebt. Nur manchmal lassen sie sich (wider besseren Wissens) dazu hinreißen, in hochspekulative Papiere (= Skilehrer, Animateur im Cluburlaub) zu investieren, um sich anschließend durch die negative Entwicklung (häufig ein Totalverlust, im schlimmsten Fall in Verbindung mit zusätzlich aufgebürdeten langfristigen Verbindlichkeiten (= Nachwuchs) in ihrer grundsätzlich vorsichtigen Marktstrategie bestätigt zu sehen.
Was mich betraf, war ich gerade offensichtlich Zeuge des „schwarzen Freitags“ unserer Beziehung geworden.
Männer hingegen sind durch das physikalische Modell der trägen Masse vollständig in ihrem Beziehungsverhalten beschrieben. Ohne äußere Einwirkung (wie z.B., dass der eigene Wert von den Ratingagenturen auf BBB- herabgestuft und entsprechende Konsequenzen gezogen wurden, oder eine andere Marktteilnehmerin intensives Kaufinteresse zeigt) verbleibt der Mann in seinem aktuellen Beziehungszustand. Er ändert diesen aus eigenem Antrieb in etwa so häufig, wie sich der Mond spontan für eine andere Umlaufbahn um die Erde entscheidet.
Etwas traurig, aber nun mit der Erkenntnis, dass diese Entwicklung wohl letztendlich unvermeidbar war, griff ich zum Telefon und wählte die Nummer des Pizza-Services.
So kam es also, dass ich nun niemanden zu Hause vorfand, mit dem ich die unerfreuliche Situation besprechen konnte. Andererseits hätte sich der Verlust meines Arbeitsplatzes ohnehin schlecht mit Brittas Zukunftsplänen vereinbaren lassen, so dass ich mich damit tröstete, mich wenigstens nicht auch noch für mein Unvermögen meinen Job zu behalten, rechtfertigen zu müssen.
Abwesend an meinem Bier nippend dachte ich über meine nächsten Schritte nach. Mit der eingetretenen Änderung meines beruflichen Status‘ würde eine Einschränkung meines finanziellen Spielraums einhergehen. Anders gesagt, keine Arbeit, keine Kohle. Dies war der besonders unangenehme Aspekt der Kündigung. Selbstverständlich musste ich mich umgehend um einen neuen Job bemühen, aber in der aktuellen Krise etwas zu finden war in etwa so aussichtsreich wie der Versuch, in der bulgarischen Damen-Nationalmannschaft im Gewichtheben ein neues Topmodell zu entdecken. Besonders optimistisch war das nicht gedacht, aber ich war schon immer der Meinung, dass Optimisten entweder nicht alle Fakten kennen, oder nicht in der Lage sind, diese richtig zu interpretieren. Außerdem würde ich die Miete für die Wohnung kaum weiterhin alleine tragen können.
Eigentlich hatte ich mir nach meinem Studium vorgenommen, nicht mehr in WGs zu leben, andererseits waren sicherlich schon größere Vorsätze an ökonomischen Realitäten zerschellt. Mit einem innerlichen Seufzer rang ich mich dazu durch, am nächsten Tag eine Anzeige zu schalten, um einen Untermieter zu suchen.
Um meine Gedanken zu ordnen und die nächsten Aktivitäten in der Reihenfolge ihrer Priorität aufzulisten, holte ich ein Blatt Papier und einen Bleistift und überlegte: Nachmieter suchen, Lebenslauf aktualisieren, Bewerbungen schreiben, Besuch beim Arbeitsamt, …
Der Stift schrieb:
URLAUB
Hm, Urlaub war in der Reihe der notwendigen Tätigkeiten eigentlich gar nicht aufgetaucht, trotzdem hatte der Gedanke einen gewissen Charme. Mir standen noch 12 Urlaubstage zu und die paar hundert Euro, die der Spaß kosten würde, machten am Ende auch keinen großen Unterschied. Außerdem, war das Geld etwa nicht gut investiert, wenn ich anschließend erholt und frischen Mutes die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz angehen konnte?
Schnell hatte ich mich davon überzeugt, dass der Stift einen hervorragenden Vorschlag gemacht hatte. Den Rest der Liste könnte ich ja nach meiner Rückkehr vervollständigen.
Zufrieden mit den erzielten Fortschritten schaltete ich den Fernseher an und ließ mich noch etwas berieseln, bis es Zeit war, mich für die abendliche Verabredung mit meinen Schicksalsgenossen fertig zu machen.
Relativ pünktlich traf ich im „Bembelsche“ ein. Georg und Simon waren bereits dort und begrüßten mich, als ich mich zu ihnen an den Tisch setzte.
Simon und ich waren etwa im gleichen Alter, hatten aber unterschiedliche Dienstalter vorzuweisen. Während Simon bereits vor über 10 Jahren seine Diplomarbeit in der Firma gemacht hatte und anschließend direkt in die Konstruktionsabteilung übernommen worden war, war ich nur ca. drei Jahre zuvor von einem anderen Dienstleister zum aktuellen (Ex-)Arbeitgeber in die Entwicklung gewechselt. Georg, der jüngste von uns, war erst ein knappes Jahr dabei. Jetzt hatte es uns in der dritten Kündigungswelle schließlich auch erwischt.
Nachdem die Bedienung unsere Bestellung aufgenommen hatte, begann eine angeregte Unterhaltung.
„Wie ist das Gespräch bei Euch gelaufen?“, fragte ich.
„Ein leuchtendes Beispiel an Professionalität muss ich sagen“, begann Simon aufgebracht.
“Das Walross (gemeint war der Personalleiter Herr Wunderlich) hat es doch tatsächlich fertiggebracht, Charlotte den Großteil des Gesprächs führen zu lassen und selbst stumm daneben zu sitzen.“ Charlotte war die Neue im Personalbüro, die vor einem halben Jahr als Unterstützung für die hoffnungslos unterbesetzte Abteilung eingestellt worden war. Diese bestand jetzt, inklusive Charlotte, aus drei Personen, zu der noch Frau Meyer, einer Dame Anfang 60, die in Altersteilzeit den Routinekram erledigte, gehörte. Charlotte war, das hatte sich in der kurzen Zeit bereits herausgestellt, ein freundliches, argloses Mädchen Mitte Dreißig, jedoch unglücklicherweise nicht die hellste Kerze auf der Torte und zudem mit dem Verantwortungsumfang, den man ihr in kürzester Zeit aufgebürdet hatte, heillos überfordert. Jetzt, wo das Arbeitsaufkommen für sie mit den Kündigungen nochmals erheblich zugenommen hatte, war ihr die Kontrolle vollständig entglitten.
„Nachdem ich jetzt über 10 Jahre in dieser Drecksklitsche gearbeitet habe, hat der Wunderlich nicht mal den Anstand, mir selbst zu sagen, dass ich gefeuert bin“, fuhr Simon fort.
„Die dämliche Kuh meinte doch allen Ernstes zu mir, ich könne ruhig wütend auf sie sein, das würde sie schon aushalten. Das musst Du Dir mal geben!“
„Und“, fragte ich, das leicht erregbare Naturell des Kollegen kennend, „warst Du wütend?“
Wie ich Simons Antwort zweifelsfrei entnehmen konnte, waren nicht alle Kollegen im Kündigungsgespräch so pflegeleicht wie ich gewesen.
„Ich habe dem Walross gesagt, dass es eine absolute Unverschämtheit ist, mir von einer dämlichen ( welchem Zweck der Piepton, den Sie gerade hören, erfüllt, können sie sich denken ), die gerade mal lange genug dabei ist, um den Weg zur Toilette ohne fremde Hilfe zu finden, sagen lassen zu müssen, dass ich gekündigt bin. Dann meinte die verblödete ( Piepton ), sie könne mich besänftigen, indem sie mir erzählt, dass das nichts mit meiner persönlichen Leistung zu tun habe! Die dumme Punze (huch, hier kam der Piepton zu spät) könnte in 100 Jahren nicht kapieren, was ich mache, geschweige denn, ob ich darin gut bin oder nicht! Ich habe den beiden dann erklärt, dass sie sich die Kündigung in ihre fetten Ä…“
An dieser Stelle möchte ich Simons Rekapitulation der Unterhaltung unterbrechen. Wie seiner Zusammenfassung jedoch eindeutig zu entnehmen war, ist er dann im Verlauf des Gesprächs tatsächlich noch wütend geworden.
Als ich ein paar Wochen später meine Unterlagen bei Charlotte abholte, waren wir im Personalbüro allein. Sie machte auf mich einen extrem gehetzten Eindruck. Als sie mir die Papiere, die sie nach längerem Suchen in dem heillosen Chaos ihres Büros auf wundersame Weise schließlich doch noch fand, überreichte, zitterten ihre Hände.
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