Eine Duftwolke süßlichen Aromas wogte ihm entgegen, kitzelte verlockend in seiner Nase und ließ ihn tiefer einatmen. Als er ihr antwortete, gingen die Worte aus einer Leichtigkeit hervor, die ihm fremd war. „Gern geschehen.“
Wie bereits zuvor konnte er den Blick nicht von ihr abwenden. Angetrieben von einer inneren Sehnsucht, vom Blut, das durch seine Adern rauschte, drängten sich die Worte von ganz allein aus seinem Mund. „Du gehörst jetzt mir.“
Sie kniff die Augen zusammen, neigte den Kopf zur Seite und bedachte ihn mit einem nachsinnenden Ausdruck. „Niemand gehört irgendwem. Aber wir können Freunde sein, wenn du möchtest. Ich bin Gwen.“ Sie hob die Hand und hielt sie ihm entgegen.
Er wusste nicht, was er sagen sollte. Ihre Antwort verärgerte und irritierte ihn, ließ Trotz und Widerwillen in ihm aufkommen, ebenso wie sie ein warmes Gefühl in seiner Brust aufwallen ließ, das sich mit dem lieblichen Duft paarte und durch ihn tanzte.
Im Griff dieses inneren Chaos nahm er ihre Hand und erwiderte mit Blick ihre hellbraunen Augen: „Du kannst mich Nick nennen.“
Gwen zog den Kragen ihres Mantels dichter um ihren Nacken und beschleunigte ihre Schritte. Sie war müde, fror und wollte auf dem schnellsten Weg nach Hause. Eigentlich hätte ihre Schicht bereits vor drei Stunden enden sollen, ein Notfall hatte sie jedoch länger im Krankenhaus festgehalten. Das war nicht unbedingt ein Einzelfall. Es kam häufiger vor, dass sie über ihre Schicht hinaus arbeitete oder dass man sie nachts anrief, weil Assistenzärzte die ersten waren, die man aus dem Bett scheuchte. Sie waren gewissermaßen das Ende der Nahrungskette. Normalerweise kam sie damit gut zurecht, immerhin hatte sie sich diesen Beruf ausgesucht, obwohl ihr im Vorfeld bewusst war, dass diese Arbeit einiges von ihr fordern würde. Nichtsdestotrotz liebte sie, was sie tat. Dieser Umstand schmälerte die Anstrengung aller Doppelschichten und Überstunden, entschädigte für die kurzen Nächte und wenige Freizeit. Und genau so musste es auch sein. Ohne Leidenschaft konnte man diesen Beruf nicht ausüben.
Inzwischen war es nach Mitternacht. Die Nacht gab sich in tiefster Schwärze, die Stadt lag schweigend und nasskalt da. Der Januar näherte sich seinem Ende und rückte ein weiteres Stück in Richtung ersehnten Frühlings. Zwar brach die Sonne nun schon von Zeit zu Zeit durch das graue Himmelszelt, speiste den Grund zu ihren Füßen mit sanftem Licht und dem Versprechen ihrer wärmenden Wiederkehr, doch war es nach wie vor der Winter, der die Obermacht innehatte, die Tage, und vor allem die Nächte, in seinem eisigen Griff gefangen hielt.
Neidisch dachte Gwen an all jene, die bereits in ihren warmen Betten schlummerten und angenehmen Träumen nachhingen. Doch es war nicht mehr weit bis nach Hause. Noch ein paar Minuten und einige Abkürzungen durch Seitenstraßen und Gässchen, dann würde auch sie selig in den Kissen liegen und schlummern.
Mit diesem tröstenden und zugleich lockenden Gedanken bog sie um die nächste Ecke und fasste einige Meter vor sich zwei Männer ins Auge. Angesichts ihres grunzenden Gelächters schienen sie sich über irgendetwas zu amüsieren. Das zeitgleiche Torkeln ließ Gwen auf Alkohol schließen.
Die beiden bemerkten sie schneller als erwartet. Ihr Lachen verwandelte sich in ein dunkles Raunen, das prompt ein mulmiges Gefühl in Gwens Magen aufkommen ließ. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken die Straßenseite zu wechseln, dann schallt sie sich, nicht gleich in Panik auszubrechen. Zwei Männer, die auf dem Heimweg oder in die nächste Bar unterwegs waren – das war alles. Kein Grund zur Sorge.
Mit diesem inneren Tadel behielt sie ihren Weg bei, beschleunigte ihre Schritte jedoch zunehmend und ließ den Blick auf den Gehsteig gerichtet, als sie an den beiden vorbeilief. Die Männer im Rücken atmete sie erleichtert auf, entließ die Spannung aus ihrem Körper und schüttelte den Kopf angesichts ihrer Paranoia.
Sie war erst ein paar Meter gegangen, als das unverkennbare Geräusch von Schuhwerk auf Asphalt an ihr Ohr drang, welches zweifelsohne aus ihrem Rücken kam. Ihr Puls beschleunigte sich unmittelbar, als hätte er nur auf diesen einen Moment gewartet. Ließ rauschend Blut und Adrenalin durch ihre Venen schießen. Ließ Angst sprießen und wurzeln.
Keine Rede von Paranoia. Gesunder Überlebensinstinkt - das war es gewesen.
Während ihre Schritte größer und gehetzter wurden, warf sie einen raschen Blick über die Schulter. So viel sie im Schein der Straßenlaternen erkennen konnte, quittierten die Männer ihre Reaktion mit amüsierten Grimassen. Auch sie bewegten sich mit großen und schnellen Schritten vorwärts und schlossen so immer näher zu ihr auf.
Bittere Panik gebar sich in Gwens Innerem, wickelte ihren Verstand in eine neblige Wolke. Die einzig vernünftige Handlung, die sie schließlich klar herausfiltern und als Befehl an ihren Körper weitergeben konnte, war die, loszurennen.
Die Absätze ihrer Stiefel, vermischt mit den wetzenden Laufgeräuschen ihrer Verfolger, polterten durch die dunkle Nacht. Kalte und spitze Luft presste in ihre Lungen, ließ einen süßlichen Geschmack in ihrem Mund aufgehen, der in einem Brennen im Hals mündete.
Grob und unvorbereitet umschlang eine Hand ihren Oberarm und riss sie nach hinten. In der nächsten Sekunde wurde ihr eine zweite Hand auf Mund und Nase gepresst, sodass sie, von Panik ergriffen, um Luft rang. Nach einem kurzen Rundblick und einem einvernehmlichen Nicken der Männer, wurde sie in eine schmale Sackgasse im Hinterhof eines Fabrikgebäudes geschoben.
Gwen strampelte verzweifelt, versuchte sich aus dem Griff des Mannes zu lösen, doch es wollte ihr einfach nicht gelingen. Im Schutz einiger Müllcontainer drückte er sie mit dem Rücken gegen die Mauer. Seine Hand blieb währenddessen auf ihrem Mund ruhen, löste sich aber glücklicherweise von ihrer Nase, sodass sie gierig die kalte Nachtluft einsog.
Der bittere, mit deutlicher Alkoholnote versehene Mundgeruch des Mannes, ein massiger und unrasierter Kerl um die Mittdreißiger, wehte ihr warm und Übelkeit erregend in Gesicht und Nase. Da sie es sich nicht leisten konnte, den Atem zu verweigern, musste sie den Geruch aushalten. Der lüsterne Ausdruck in den Augen ihres Gegenübers ließ ohnehin weder Raum noch Zeit sich damit zu beschäftigen.
„Na, was sollen wir jetzt mit dir anstellen, Süße? Du könntest ein artiges Mädchen sein und uns entgegenkommen, wie wär´s?“
Ihre Antwort war ein erhobenes Knie, das sein Ziel jedoch verfehlte.
Der Bärtige verstärkte seinen Griff, neigte den Kopf in Richtung seines Freundes – ein großer und bulliger Kerl, etwa Anfang vierzig – und spottete: „Hey Mike! Ich glaube, wir haben hier ein ziemlich biestiges Ding eingefangen. Aber, wenn ich ehrlich bin, ist mir das sogar lieber.“ Er fuhr mit der Hand über ihre Wange und strich ihr einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Ein Wildfang bringt viel mehr Spaß als eine gezähmte Stute – immerhin muss man ihm Manieren beibringen und gerade das sorgt für den gewissen Kick, nicht wahr, mein brünettes Vollblut?“
An die kalte Steinmauer gepresst öffnete er mit einer Hand die Knöpfe ihres Mantels, zeichnete über dem Stoff ihres Pullovers die Kontur ihrer Brust nach, ehe er hinabwanderte und ihren Schritt nachfuhr. Die Zunge zwischen die Lippen geklemmt begann er mit unverkennbarer Vorfreude die Schnalle ihres Gürtels zu öffnen.
Gwens Körper war wie gelähmt und außerstande aufzubegehren. Ihr Verstand war ebenfalls keine große Unterstützung. Unbarmherzig fokussierte er sich auf die Ausweglosigkeit dieser Situation, als würde er für diese Tat eine dicke Prämie kassieren.
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