Konrad von Balgstedt hielt sich schon seit geraumer Zeit in der gräflichen Burg auf und begleitete den Wilden Raben auf dessen Stegreifritten. Natürlich wusste Friedrich von Rabenswald-Wiehe, dass der Balgstedter seinen Aufenthalt auf der Finneburg nicht deshalb ausdehnte, weil er Lust an den rauen Streifzügen empfand, sondern weil er ein Auge auf seine Tochter geworfen hatte.
Der Graf schürzte die Oberlippe. Nun, der Balgstedter mochte es verstehen, mit einem Schwert umzugehen und ein Ross zu tummeln, aber als Schwiegersohn lehnte er ihn strikt ab.
Um im Geschlecht der Grafen von Käfernburg-Rabenswald willkommen zu sein, bedurfte es mehr zu haben als nur Klepper und Klinge. Und ein eigenes Erbe hatte der Drittgeborene des söhnereichen Herrn von Balgstedt nicht zu erhoffen.
Nein, zuckte es ihm durch das Hirn, diesem Habenichts lege ich Mechthild nicht ins Brautbett. Sie heiratet Graf Hermann von Orlamünde – Ende des Gebets.
Friedrich von Rabenswald-Wiehe nahm sich vor, nach dem Span den ihm lästig werdenden Balgstedter zu verabschieden. Dann, als verursache ihm der Anblick des Ritters Magenschmerzen, schaute er zur anderen Seite.
Hinter dem Buschwerk zur Linken hockte Gelfrad von Heseler auf seinem Wallach. Die grässliche Narbe des Burgvogts, die von seinem Kinn bis hinauf zur linken Schläfe reichte, war aus dem Blickwinkel des Grafen heraus nicht erkennbar.
Das Wundmal bewies die vorzügliche Schärfe der krummen Damaszenerklinge, welche ihm eine Sarazene im Kampfgetümmel durch das Gesicht gezogen hatte. Geschehen war das vor über einem Jahrzehnt im Morgenland, nachdem Gelfrad von Heseler sich zur Teilnahme an einem Kreuzzug – dem siebten in der Reihe der bewaffneten Pilgerfahrten – verpflichtet hatte.
Besser gesagt: Er hatte sich nicht dazu verpflichtet, sondern war von seinem Beichtiger dazu gedrängt worden, um die Vergebung seiner Sünden zu erlangen. Denn in ihm flossen mehr Scheußlichkeiten zusammen als Unrat in einen Pfuhl.
Des Grafen Augen richteten sich auf seinen Burgvogt. Im Gegensatz zu dem Balgstedter schien Gelfrad von Heseler Trübsal zu blasen. Unverkennbar kauerte er äußerst missmutig im Sattel. Vermutlich stand seine Verdrossenheit im Zusammenhang mit der Küchenmagd von der Rabenswalder Burg.
Der Graf setzte ein Grinsen auf. Gewiss hatte es die stramme Magd vor ihren Aufbruch nicht mehr einrichten können, in die Kemenate des Vogts zu schlüpfen, um ihm das Kissen glatt zu klopfen. Nun, als penibler Burgherr musste er über alles Bescheid wissen, was um ihn herum geschah.
Im Übrigen scherten Friedrich von Rabenswald-Wiehe die Gelüste seiner Bedientesten so viel wie das Säubern des Aborterkers in der Burgmauer. Darauf nahm er keine Rücksicht. Insbesondere nicht, wenn es für ihn selbst um etwas Wichtiges ging. Und genau das war an diesem Morgen im Heumond der Fall.
Noch einmal sah sich der Graf um. Gleich würde da unten wie in tausend anderen Weilern im Land die allmorgendliche Geschäftigkeit einsetzen: das Ausmisten, Melken, Füttern und Tränken.
Noch waren sie nicht entdeckt worden, aber lange konnten sie sich hier im Gesträuch nicht mehr verborgen halten. Sie durften keine Zeit mehr verlieren.
Heckenreiter im Dorf
Der Burgherr streckte die Linke mit dem dreieckigen Wappenschild nach vorn zum Zeichen dafür, dass es für ein Drittel der Heckenreiter losging.
Mit einem Schnalzlaut brachte Gelfrad von Heseler seinen Wallach in Bewegung, fünf Burgleute folgten ihm. Sie sollten einen Bogen schlagen und dann von der entgegengesetzten Seite her an das Dorf heranreiten. Der Burgvogt und seine Leute würden verhindern, dass die Dörfler nichts Brauchbares in Sicherheit bringen konnten.
Pferdewiehern durchschnitt die Morgenstille. Noch immer schienen die Dorfbewohner von der Gefahr, in der sie schwebten, nichts zu ahnen.
Aber Schwierigkeiten befürchtete Friedrich von Rabenswald-Wiehe ohnehin nicht. Mit den anderthalb Dutzend Bewaffneten, über die er verfügte, würde der Beutezug ein Vergnügungsritt werden. Den paar armseligen Dorfkötern würden sie schon das Gebiss richten.
Der Graf wartete, bis der sich entfernenden Hufschlag seiner Burgleute verklungen war. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie der Balgstedter das Helmvisier herunterließ.
Er selbst ersparte sich die Mühe. Sein Dreieckschild und die Reiterschilde seiner Männer, die einen blauen Wappenlöwen im goldenen Feld zeigten, würden den Fronbauern des Altenburgers ohnehin verraten, wer sie waren.
Der Wilde Rabe stieß die rechte Faust in die Luft. Das Gros der Burgleute sprengte los.
Im Nu hatten die Heckenreiter die kurze Wegstrecke bis zum Dorf bewältigt. Irgendwo gellte Geschrei auf, zugleich ertönte aufgeregtes Hundegebell. Einzelne Gestalten, von dem Lärm aufgeschreckt, kamen aus den Häusern.
Die Eindringlinge schwangen sich von den Pferden. Nur Friedrich von Rabenswald-Wiehe blieb im Sattel. Er lenkte seinen Vierbeiner zur Dorflinde, um
Die Eindringlinge schwangen sich von den Pferden. Nur Friedrich von Rabenswald-Wiehe blieb im Sattel. Er lenkte seinen Vierbeiner zur Dorflinde, um von hier aus zu verfolgen, was geschah.
Drei, vier Hunde stürzten sich auf die Eindringlinge, knurrend und mit gefletschten Zähnen. Schwertklingen wirbelten durch die Luft, das Kläffen und Heulen verstummte.
Von der gegenüberliegenden Seite stoben nun auch die Reiter des Burgvogts in das Dorf und saßen ab. Danach teilten sich die Burgleute aus Rabenswald in Gruppen auf und drangen in die Häuser ein. Die Plünderung begann.
Die Bauernhäuser füllten sich mit Gewappneten, die alle Winkel durchstöberten. Was ihnen brauchbar erschien, trugen sie nach draußen: Krüge, Töpfe und Kannen mit Nahrungsmitteln. Aus den Scheunen schleppten sie Hafersäcke, in den Ställen ergriffen sie alle Gänse und Hühner.
Die Dörfler ließen alles über sich ergehen. Niemand setzte sich zur Wehr, jedenfalls noch nicht.
(04) Brutaler Überfall: Raubritter plündern ein Bauerndorf. Die Landplacker nahmen mit, was ihnen brauchbar erschien, aber zu Reichtum kamen sie dabei nicht. Bilderhandschrift aus dem 15. Jahrhundert.
Von seinem Standplatz aus konnte Friedrich von Rabenswald-Wiehe das Geschehen gut überblicken. Sein Vierbeiner scharrte unruhig mit den Hufen, weil unweit vor ihm ein von Schwertklingen zerfetzter Hofhund blutüberströmt am Boden lag. Mit geöffneten Rachen und ausgestreckten Pfoten lag er da. Doch was sich sonst seinen Augen bot, stellte ihn zufrieden.
Halbwüchsige Bauernlümmel, schreiend unter den Fausthieben und Fußtritten der Eindringlinge, schoben Lastkarren neben das angehäufte Beutegut. Diese mussten sie beladen. Um das Geraubte in die Burg zu schaffen, würden die Plünderer später die Kaltblüter und Zugochsen der Dörfler vor die Karren spannen.
Plötzlich schnitt der Graf jedoch ein Gesicht, als hätte er eine Wespe verschluckt. Seine anfängliche Zufriedenheit wich aufkeimender Wut.
Die Frau mittleren Alters, die eben in der Tür eines Hauses erschien, war drall und ansehnlich. Ihre Brüste, die sich wie überreife Früchte unter dem Kittel abzeichneten, wippten bei jeder Bewegung. Einen der Burgleute schien dieser Anblick sehr ins Auge zu stechen.
Obwohl der Burgherr vorher jeden einzelnen von ihnen eingeschärft hatte, dass er im Verlauf des Beutezugs erst der Dienstpflicht und dann dem Vergnügen nachzukommen habe, konnte sich der Heckenreiter nicht beherrschen.
Die Lüsternheit war in diesem Augenblick stärker als die Furcht vor dem Burgherrn. Seiner Ansicht nach musste man die Früchte pflücken, wenn sie reif waren und nicht irgendwann. Vor Gier lodernd wie ein brennender Strohdiemen sprang er auf die Dralle zu.
Gierig und geil grapschte der Kerl der Frau in den Halsausschnitt, um ihr den Kittel vom Leib fetzen. Doch dazu kam er nicht.
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