Auf Unverständnis stieß überdies, dass sich die Verbündeten mit der Zerstörung der Rietburg zufriedengegeben hatten. Im Zuge dieser Maßnahme hätte sich gewiss die Möglichkeit ergeben, noch mehr Burgherren die Betätigung als Heckenreiter zu vergällen und vielerorts den Landfrieden wiederherzustellen.
So blühte das Raubritterunwesen weiter. Unverändert prasselten die Schreckensnachrichten auf die Menschen im Land zwischen Alpen und Nordsee wie Hagelschläge nieder.
Zum Sterben ins Gotteshaus
Trotz aller Widrigkeiten rafften sich einzelne Fürsten bisweilen dazu auf, gegen die Raubritter vorzugehen. Einer dieser Territorialherren war Bertho von Leibolz, der als Abt von Fulda den Titel eines Reichsfürsten beanspruchen durfte. Die Ritter im Buchengau freilich nannten ihn wegen seiner schmächtigen Gestalt nur Abt Fingerhut .
Zorn auf die Burgherren im Buchenland wallte in dem Abt, weil diese nicht davor zurückschreckten, selbst die nach Santiago de Compostela pilgernden Jakobsbrüder auszurauben. Solcherart Bedrückung im Speziellen und dem üblen Treiben der buchischen Ritter überhaupt wollte der Fürstabt ein Ende bereiten. Und dieses Vorhaben setzte er nach seinem Amtsantritt ins Werk.
Zwischen 1261 und 1270 zerstörte und schleifte er 15 Burgen zwischen Rhön und Vogelsberg. Darunter befanden sich die Burgen Blankenwald, Wartenberg, Niederschlitz, Eisenbach, Ebersburg, Osterburg, Seeburg, Oberkappel, Frankenstein und Boxberg. Den fuldischen Vasall Hermann von Ebersberg, der im Verlauf der Auseinandersetzungen in Gefangenschaft geraten war, ließ er hinrichten.
Im Kreis der buchischen Ritterschaft führte die Enthauptung auf dem Fuldaer Marktplatz zu heftiger Empörung, die in dem Plan gipfelte, den Fürstabt zu ermorden. So wurde Bertho von Leibolz am 18. März 1271 in der Jakobskapelle der Fuldaer Abtsburg während der Messe von 26 Eisenklingen aufgeschlitzt und anschließend geköpft.
Während die Mörder nach der Bluttat auf die Burg Steinau flohen, schien das Entsetzen darüber die Kleriker in Fulda zu lähmen. Aber wenn sie in dem entstandenen Wirrwarr nicht den Kürzeren ziehen wollten, mussten sie handeln. Folglich währte die Tatenlosigkeit in der Fürstabtei nicht lange.
Der Konvent wählte einen Amtsnachfolger für den ermordeten Abt. Und Bertho III. von Mackenzell, der selbst dem buchischen Ritteradel entstammte, ergriff umgehend die Initiative und erschien mit einem Waffenaufgebot vor der Burg Steinau. Als die Abtsmörder den Pulk anrücken sahen, zogen sie es vor, das Weite zu suchen.
Fortan befanden sich die Übeltäter vor Bertho von Mackenzells Suchtrupps auf der Flucht. Das Jahr 1271 über streifte die Rotte, die 22 Berittene und 30 Fußknechte zählte, raubend und mordend durch den Buchengau.
Zu Weihnachten spürte das Waffenaufgebot des Fürstabts die Raubschar in Kirchhasel auf und kreiste sie ein. Die Landfriedensbrecher, ihre Pferde am Zügel mitführend, flohen in die Kirche des Dorfes. Hier verbarrikadierten sie sich, so gut es ging.
Die Fuldischen fackelten nicht lange. Mit einem Balken aus Eichenholz rammten sie die Bohlentür auf und drängten ins Innere.
Nun erlitten die buchischen Schlagetots am eigenen Leib, was sie in der fuldischen Jakobskapelle an Abt Fingerhut vollzogen hatten: Sie starben in einem Gotteshaus, zerfetzt von blutverschmierten Eisenklingen. Nur Albrecht und Heinrich von Ebersberg überlebten das Gemetzel. Sie wurden 1274 in Frankfurt am Main gerädert.
Ob Giso von Steinau, der Anführer der buchischen Heckenreiter, während der Metzelei in Kirchhasel umkam oder fliehen konnte und später seine Untaten als Pilger büßte, sei dahingestellt. Sein Schwager Friedrich von Schlitz, der mit Hildegunde von Steinau verheiratet war, und sein Bruder Hermann der Lange setzten den Streit mit den fuldischen Fürstäbten jedenfalls fort.
Im März 1287 ging Friedrich von Schlitz mit Fürstabt Markward von Fulda schließlich einen Sühnevertrag ein, der vorsah, Hermanns Ganerbenteil an der Steinauer Burg zu schleifen. Hermann der Lange floh nach Bayern.
Währenddessen schienen auch die Fürsten anderer Herrschaftsbereiche ernsthaft dazu entschlossen zu sein, den haltlosen Zuständen entgegenzutreten. Wer indes geglaubt hatte, dass die Gebietsherren dem Raubritterunwesen für immer den Garaus machen würden, wurde enttäuscht. Die Plage nahm nicht nur in den folgen Jahrzehnten, sondern noch in den nächsten Jahrhunderten ihren Fortgang.
Im Würgegriff des Schreckens
Der Wilde Rabe fliegt an
Als über den Finnebergen die Sonne emporstieg, erreichten die Heckenreiter den Waldstreifen, der die Senke umfasste. Vor ihnen lag jetzt Bauernland, lag inmitten von Kornfeldern und Weideplätzen eines der Dörfer, das dem Unhold von der Altenburg zinste. Noch ahnte keiner der Bauernlümmel da unten, dass die Burgmannen aus Rabenswald sie an diesem Morgen im Heumond 1289 rupfen würden.
Vom Rand der Hügelkuppe aus, wo sich die Berittenen im Gesträuch verbergen konnten, blickte Friedrich von Rabenswald-Wiehe auf die bäuerlichen Anwesen in der Senke.
Als dunkler Schattenriss hob sich die Kirche mit dem Glockenturm gegen den dämmrigen Himmel ab. Auch die Umrisse der Gehöfte mit ihren Wohnhäusern, Scheunen, Stallungen und Schuppen, durch welche sich der tief ausgefurchte Dorfweg wand, wuchsen zunehmend deutlicher ins Blickfeld des Burgherrn.
Die Reiter saßen ab und streiften die Tuchlappen von den Hufen ihrer Pferde. Wie immer bei solchen Unternehmungen waren die Hufe damit umwickelt gewesen. Im fremden Lehensgebiet galt es, vor Spähern auf der Hut zu sein.
Für Friedrich von Rabenswald-Wiehe übernahm einer der Burgleute diese Verrichtung. Dessen Augen krallten sich an dem Dorf in der Senke fest, unerbittlich wie die eines Jäger am gestellten Wild.
Das Bauernnest da unten fronte Kuno von Mellingen, dem Herrn der Altenburg über Mallendorf. An diesem unverschämten Fiesling würde er nun Rache üben, Rache üben für die zwei Wochen zuvor erfolgte Brandschatzung der Ortschaft Donndorf, die seit Menschengedenken den Grafen von Rabenswald-Wiehe zinspflichtig war. Nein, er würde sich nicht nur rächen, sondern dem Mordbrenner auf der Altenburg Mores lehren, dass ihm zeitlebens jede Andacht verging.
Ein grausamer Ausdruck kerbte die Mundwinkel des Burgherrn von Rabenswald. Wenn der weimarische Adlige auf der Altenburg in der Finnelandschaft als hartgesottener Dienstmann galt, so genoss er selbst hierzulande schließlich einen noch Furcht einflößenderen Ruf. Um ihn auf eine Stufe mit anderen berüchtigten Strauchrittern zu heben, hatte die Landbevölkerung ihm den bezeichnenden Beinamen der Wilde Rabe verliehen.
Wenn Friedrich von Rabenswald-Wiehe ehrlich zu sich selbst war, dann musste er zugeben, dass er das Bauernnest da unten nicht überfiel, weil er Rachegedanken hegte. Nein, so kurz vor der Ernte war es einfach notwendig geworden, das, was in der Rabenswalder Burg zum Leben gebraucht wurde, irgendwie heranzuschaffen.
Im Augenblick mangelte es in der Grafenburg an allem. Es fehlte an Korn, es fehlte an Vieh, es fehlte an Pferdefutter. Die Vorratshäuser in der Wehranlage gähnten vor Leere, als hätten Sturmböen sie ausgefegt.
Folglich war es das erste Gebot, diesen Mangel auszugleichen. Und deshalb flog er an diesem Junimorgen des Jahres 1289 mit seiner Raubschar an, der Wilde Rabe ...
Vom Dorf her krähte den Reitern aus der Rabenswalder Burg der Morgenruf eines Hahnes entgegen, über der Finne kroch die Sonne glutrot den Himmel hinauf. Ein Windhauch strich über die Senke, aber er kam auf die Lauernden zu, sodass die Hofhunde keine Witterung aufnehmen konnten.
Jetzt saßen alle wieder in den Sätteln. Der Graf drehte den Kopf. Ein Stück weiter zur Rechten schimmerte der Harnisch des Balgstedters durch die Büsche. Im Dämmerlicht kaum zu erkennen, saß er steif wie ein Brett auf seinem schwarzen Hengst.
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