„Augenblick mal.“
Engels balancierte sich weit in den Raum hinein.
„Was ist…?“
Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich ihre Blicke.
„Schön sie zu sehen“, sagte Engels.
Arthur Kemmer atmete tief ein und wieder aus. Dann winkte er den Besucher heran.
„Ah, was verschafft uns denn die Ehre?“
„Gibt`s schon was Neues?“
„Wir sind dran“, wehrte Kemmer ab. „Aber setzten sie sich erstmal. Wir sehen hier nur selten Besucher.“ Ansatzlos schob er mit seinem Knie das altersschwachen Bodenstativ zur Seite.
„Sorry, für die Unordnung.“
Mit seiner ausgestreckten Hand wies er auf einen schmalen Tisch mit hohen Hockern.
„Habe ich etwas verpasst?“
Engels schob sich in das Zimmer und sah sich um. Der Raum war rechteckig und es gab eine breite Fensterfront. Außerdem war er größer als er zunächst gedacht hatte, und randvoll gepackt mit elektrischen Gerätschaften und Vorrichtungen aller Art. Von den Apparaten die herumstanden, kannte er die wenigsten mit Namen.
„Trinken sie einen Kaffee mit?“ fragte Arthur Kemmer. „Der ist gerade fertig geworden.“
„Vielleicht einen Kleinen.“
Mit einem Nicken verschwand der Techniker in einer der abgehängten Seitennischen. Mit eingezogenem Nacken kam er nach drei Sekunden wieder zurück. Er hielt zwei halbvolle Porzellanbecher in den Händen.
„Das ist kein Spülwasser aus der Kantine“, lachte er. Geschickt drehte er sich zwischen einigen Apparaturen hindurch und reichte mit seinem ausgestreckten Arm eine der Tassen weiter.
„Probieren sie mal.“
Engels Bein schmerzte seit er sich gesetzt hatte. Auch der Hocker knarrte, und missmutig verzog er das Gesicht.
„Was habt ihr gefunden?“
Das Telefon klingelte. Anstatt zu antworten nahm Kemmer den Hörer ab, hörte kurz zu und sagte dann schnell.
„Warten sie mal.“
Gedankenverloren legte er dann auf.
„Wir waren bei den Spuren“, sagte Engels.
„Wir arbeiten mit Hochdruck an der Sache, aber geben sie mir noch ein paar Stunden.“
Engels trank von dem Kaffee. Er war unglaublich gut.
„Wann …?“
„Wenn wir so weit sind, erfahren sie es als erster.“
Abrupt stellte Kemmer seine Tasse ab und stützte sich mit beiden Armen auf die Tischplatte. „Vorab kann ich ihnen lediglich sagen, dass es sich um ein schweres Betäubungsgas handelt, soviel ist sicher.“
„Kaufmann und seine Familie sind also mit voller Absicht vergast worden?“
„Definitiv.“
„Danach war eine Zeitlang nur das Summen des Kühlschranks zu hören.
„Trotzdem kann der Überfall auch ein Raubzug gewesen sein.“ Arthur Kemmer legte seine Stirn in Falten und sprach aufreizend langsam weiter. „Ich will noch nichts ausschließen.“
Er beugte sich wieder hoch und verschränkte beide Arme vor der Brust. „Wir haben das Haus komplett auf den Kopf gestellt“, sagte er. „Aber keine eindeutigen Spuren gefunden.“
Engels sah sein Gegenüber stirnrunzelnd an.
„Im Haus sind zwar alle Zimmer durchsucht worden, aber die Bücher stehen noch in den Regalen.“ Kemmer verzog das Gesicht und lutschte nervös an seinen Zähnen. „Ein armseliger Versuch, um einen Einbruch vorzutäuschen.“
„Reden sie weiter.“
„Es gibt auch noch keinerlei Forderungen, oder?“
Engels schüttelte den Kopf.
„Unüblich“, knurrte Kemmer und fuhr sich mit zwei Fingern durch seinen Kinnbart.
„Ich weiß.“
„Wer will denn auch für so eine fürchterliche Tat die Verantwortung übernehmen.“
„Wenn die Tat politisch motiviert war, kommen die Bekenner nur langsam aus den Löchern.“
Kemmer blickte für einen Augenblick zum Fenster. „Anhaltspunkte gibt`s natürlich eine ganze Menge. Vor allem etliche Reifenspuren von unterschiedlichen Fahrzeugtypen.“
„War ein Transporter dabei?“
„Die Fahrzeuge sind noch nicht identifiziert. Im Haus gibt es auch DNA-Anhaftungen und andere Spuren, aber ich kann noch nicht näher darauf eingehen.“
„Fußspuren?“
Kemmer nickte. „Mehrere unterschiedliche Personen“, sagte er, „mindestens drei sind in dem Haus gewesen.“
Max Engels schob die Kaffeetasse zur Seite und stand auf.
„Warum haben die Einbrecher den Tresor aus der Wand gerissen?“, fragte er schmallippig. „Was haben die Typen gesucht?“
„Keine Ahnung.“
„Ich möchte auch wissen, wie sich die Einbrecher geschützt haben“, sagte Engels einen Moment später.
„Ich hätte eine Gasmaske mitgebracht.“
Engels trat an den Stadtplan. „Hier ist die Antwort…“, mit seinem Zeigefinger pochte er zweimal auf den Grundrissplan von Kaufmanns Anwesen. Das Haus sah so aus, wie es wirklich war, groß und protzig.
„Trotz allem …haben wir nichts.“
Ein müder Typ mit Akne kam durch die Tür und übergab lustlos einen Arm voller Akten.
„Der Obduktionsbericht“, sagte Kemmer schnell und sah Engels dabei in die Augen. „Wollen sie ihn sehen?“
Engels nickte mit dem Kopf.
„Ich kann sowas lesen.“
Kemmer schob den dünnen Aktendeckel über den Tisch. Und Max Engels begann sofort zu blättern. Vertiefte sich in den wenigen Text und die dramatischen Fotos der fünf Opfer.
Ian Kaufmann 48, Lilli Kaufmann 42, Sandy Kaufmann 17, Samantha Kaufmann 15, und Christa Richter 68.
Krämpfe und Tod! Die Bilder des Polizeifotografen waren schonungslos bis ins Detail. Engels fröstelte als er die Bilder ansah.
Nach einigen Sekunden legte er den Bericht zurück auf den Tisch und erhob sich.
„Gute Arbeit!“
Damit wollte er sich aus dem Zimmer schieben. „Und danke für den Kaffee!“
Kemmer räusperte sich und fragte: „Was machen sie als nächstes … “
„Ich mach weiter.“
Es hallte einmal laut als Engels die Zimmertür hinter sich zuschlug. Erschrocken blieb er stehen und starrte in die Dunkelheit. Dann tastete er an der Wand nach dem Lichtschalter und knipste die Lampe an. Er brauchte einen ganz kurzen Moment um sich zu orientieren.
Dann hatten sich seine Pupillen auf die Lichtverhältnisse eingestellt und er konnte alles um sich herum genau erkennen. Die beiden Betten vor ihm lagen im Halbschatten.
„Diese Zimmer sind im Regelfall für unsere Gastdozenten reserviert“, hatte der Mann von der Klinikverwaltung erklärt, als er Engels die Scheckkarte ausgehändigt hatte. „Aber, wenn die Staatsanwaltschaft auf den Umzug besteht, wird das auch ihrer Kasse recht sein.“
„Das nehm ich mal an.“
Engels war es egal. Er lief weiter, kurbelte die Jalousie hoch und öffnete das Fenster. Für einen Moment blieb er noch stehen. Wind und Abgase schlugen ihm ins Gesicht. Der Abend war immer noch mild. Ein paar hundert Meter über ihm hing ein Hubschrauber im Himmel. Die Rotoren schienen mal lauter, mal leiser. Scheinbar änderte der Wind die Richtung.
Ein Rettungswagen jagte mit Sirenengeheul über die Brücke und kam näher. Engels machte zwei Schritte zurück in das Zimmer, zog die Jacke aus und ließ sich auf sein Bett fallen.
Ohne die Metallkonstruktion an den Betten und den breiten Kabelschächte hätte man den Raum fast für ein Hotelzimmer gehalten. Max war zufrieden. Nur sein Rücken schmerzte, als er sich aufsetzte. Vom Beistelltisch zog er das Notebook heran, und streckte gleichzeitig beide Beine aus.
Während er mit der anderen Hand seine Hüfte abtastete, schaltete er den Computer schon ein. Farbige Balken zuckten auf. Die Programme starteten. Langsam erwachte der Bildschirm vor ihm und er rief als erstes die Internetseite vom Neckarblick auf.
POLIZEIBERICHT:Ganz oben auf der Seite kam der Gasüberfall.
„ Gas, aber keine Gefahr für die Stadt.“
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