Eine Weile blieb es still.
„Sie sind eine Freundin der Familie?“
„Ich bin Karin Grosser, und jeder hier weiß, wie gut ich mit Lilli und Ian befreundet war.“
„Seit wann kannten sie …Lilli Kaufmann“, hakte Engels nach.
„Seit wir Teenager waren.“
Das Gesicht von Karin Grosser war blass, die Augen stark geschminkt. „Lilli und ich waren in der gleichen Clique …von Anfang an “, sagte sie und blinzelte Engels dabei an. „Ian, kam später dann auch dazu.“ Ihr Gesicht hellte sich etwas auf. „Da hieß Lilli noch Richter.“
„Was war das für eine Clique?“
„Suchen sie sich was aus.“ Grosser bewegte ihren Kopf von einer Seite zur anderen. „Gute Freunde eben …“
„Verstehe.“ Engels zeigte mit den Augen auf die Nachbartische. „Leute von hier?“
„Nein“, Karin Grosser lächelte freudlos zurück, „wie gesagt, wir waren allesamt Jugendfreunde“, sagte sie dann noch, „aus der …Nachbarschaft, verstehen sie?“
„Klar. Erzählen sie weiter.“
Engels wartete.
„Irene war dabei“, zählte Grosser auf, „mein Bruder Alex, Klaus und Jenny Lipp, ich, und …noch einige andere. Ich weiß nicht mehr wer noch alles dabei war.“ Sie sah Engels an und erwartete wohl eine Frage dazu. Als die nicht kam, sagte sie: „Eine Zeitlang waren wir echt unzertrennlich.“
Engels überging das mit einem Lächeln und fragte: „Und Ian Kaufmann, wie lange kannten sie den?“
„Seit seiner ersten Trainingseinheit bei den Adlern.“
Karin Grosser änderte ihre Sitzhaltung und schlug ihre Beine übereinander. „Ich bin glühende Adler-Anhängerin“, sagte sie. „Seit ich denken kann.“
Engels nickte nur.
„Lilli war meine Brautjungfer als mein Edgar und ich heirateten, und sie saß neben mir, als ich ihn letztes Jahr beerdigt habe. Cheers, Lilli!“ Die Frau schwenkte noch einmal ihr Glas. „Und den Rest der Geschichte behalte ich für mich.“
Engels nickte noch einmal und erhob sich nach einem Moment wieder. Weitere Fragen waren jetzt sinnlos. Sie gaben sich die Hand, und er ging zurück an die Theke. Oser war immer noch in sein Gespräch mit Sommer vertieft.
Engels tippte ihm auf die Schulter.
„Ich bin fertig.“
Oser erhob sich langsam. „Wir auch, und es gibt sonst keine weiteren Wortmeldungen.“
Sie verabschiedeten sich, winkten und verließen das Lokal.
„Was halten sie von dem Mann?“
„Die Trauer ist nicht gespielt“, antwortete Tom Oser, „Der Typ ist ein echter Jünger von Kaufmann.“
Engels sah ihn fragend an.
„Er hat ebenfalls zwei Töchter, im gleichen Alter wie die Kaufmann Mädels“, sagte Oser weiter. „Über die Schiene haben die sich wohl auch kennengelernt. Sommer ist geschieden, und arbeitet seit sechs Jahren für Familie Kaufmann.“
Engels machte immer noch keine Anstalten weiterzugehen.
„Wohin jetzt?“
„Fahren sie mich zur Spurensicherung.“
Als er wenig später die Autotür öffnete, begann gerade ein Telefon zu klingeln.
„Hallo.“
„Max bist du dran?“, meldete sich Till Keller.
Oser legte den ersten Gang ein und fuhr schon an.
„Du vertraust dem Schreiberling wohl immer noch?“, begann der Oberstaatsanwalt aufgebracht.
Engels behielt das BlackBerry in der Hand. Er legte seine Stirn in Falten, aber er entschied sich nicht gleich zu antworten.
„Wen meinst du?“, fragte er dann leise.
„Du weißt wen ich meine. Tänzer ist zwar ein unangenehmer Typ, aber ...“ Keller schnaubte. „Wie gut kennst du den Kerl noch?“
„Jo, ist ein uralter Bekannter“, sagte Engels und das Adrenalin floss wieder etwas schneller durch seine Adern.
„Sonst ist da nix.“
Engels setzte sich zurecht. „Warum willst du das wissen?“
„Wir haben Nachrichtensperre angeordnet“, antwortete Keller mit einer gewissen Schärfe. „Trotzdem schreibt der Kerl bereits detailliert über die Morde. Wie geht das? Das würde ich gerne wissen…“
„Was soll der Blödsinn?“, unterbrach ihn Engels gereizt. „Tänzer ist Journalist. Einer von denen, die einem immer mal über den Weg laufen.“ Er begann sich zu ärgern. „Darauf habe ich aber keinen Einfluss.“
„Ich muss gleich zur Pressekonferenz“, sagte Keller hastig, „und ich muss mich auf die Fragerei einstellen, verstehst du?“
Engels schüttelte den Kopf.
„Ich sag dir eins“, legte er los. „Tänzer ist ein erfahrener Journalist mit unzähligen Quellen. Der weiß über alles Bescheid, was in der Stadt hier von Bedeutung ist. Auch ohne mich. Da musst du dir einen anderen suchen.“
„Dann kauf dir die aktuelle Ausgabe vom Neckarblick. Du wirst staunen welche Details du schon nachlesen kannst.“
Engels hob eine Augenbraue und winkte gereizt ab.
Tom Oser hatte schweigend zugehört. „Ist doch eine spannende Geschichte“, begann er noch einmal, „finden sie nicht?“ „Doch natürlich“, schnaubte Engels, „aber jetzt müssen sie hier abbiegen.“
Kurze Zeit später bremste Tom Oser vorm Präsidium.
„Lassen sie mich aussteigen.“
Engels warf einen Blick auf sein Armgelenk. „Es ist jetzt fast zwei Uhr. Gehen sie schon mal was essen, und danach …holen sie mich einfach wieder ab.“
„Soll ich mitkommen?“
„Wozu…?“
Engels musste einmal hart schlucken.
„Nein, ich komme schon klar“, sagte er dann etwas gedehnter und tippte Oser leicht an die Schulter. Ohne ein weiteres Wort stieg er aus, schlug die Autotür hinter sich zu und stapfte über dem Bürgersteig davon.
Vorsichtig, aber Tom Oser, der ihm nachsah, entging nicht, dass der Mann sein rechtes Bein leicht nachzog und es nach jedem Schritt ganz vorsichtig aufsetzte.
Engels spürte den Blick in seinem Rücken, und ignorierte ihn. Verbissen ging er bis zu der wuchtigen Tür. Auf der Schwelle zur Einsatzzentrale blieb er kurz stehen. Er verspürte doch tatsächlich einen Anflug von Wehmut.
Nur der alltägliche Teufel war los. Angespannte Streifenpolizisten telefonierten. Wann? Wo? Was? Immer dieselben Fragen. Bildschirme flackerten, und auf langen Regalen an den Wänden standen Funkgeräte auf Ladestationen. Pausenlos schepperten Meldungen aus den Boxen über den anwesenden Köpfen.
Geht`s auch schneller?
Max Engels lächelte halbherzig, ging vor bis zum Empfangstresen, und nahm dann die Treppe nach oben. Gehetzte Blicke verfolgten ihn, aber nicht lange
Im zweiten Flur meldete sich schmerzhaft die Hüfte und er wurde langsamer. Wie interessiert starrte auf die Plakatwände ringsum, und massierte sich mit Daumen und Zeigefinger dabei den Nasenflügel.
Eine Frau kam ihm entgegen. Kurze blonde Haare und etwas mollig. Sonst war niemand zu sehen.
„Kann ich ihnen helfen?“
„Wo finde ich die Spurensicherung?“
„Da müssen sie den Flur runter bis zur Pendeltür.“ Mit dem Daumen zeigte die Frau über die Schulter. „Dahinter finden sie die Kollegen dann gleich.“
Engels nickte freundlich, lief aber einfach weiter. Das glatte Linoleum unter seinen Füßen dämpfte jeden seiner Schritte.
Die erst Tür, nach dem Flur stand tatsächlich weit offen. Abwartend blieb Engels im Türrahmen stehen. Auf den ersten Blick sah es vor ihm aus wie in einer Großküche. Unsichtbare Motoren summten und die Deckenleuchte flackerte einige Male. Ein sperriges Lichtmikroskop stand mitten im Durchgang.
Arthur Kemmer war allein. Ohne seinen weißen Schutzanzug wirkte der Mann seltsam schmal. Er hatte so dünnes Haupthaar, dass sich an vielen Stellen schon die Schädelform abzeichnete. Er stand mit dem Rücken zur Tür und hantierte an einem offenen Rollschrank.
Auf der Anrichte neben ihm, stand ein kleiner Fernseher, aber die Bilder vom Flughafen in Teheran liefen fast ohne Ton. Der aktuelle Iranbesuch einer Wirtschaftsdelegation war wohl gerade das Thema. Kemmer hörte interessiert zu, aber als er die Schritte hinter sich hörte, wirbelte er aufgeschreckt herum.
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