Sie hatten schon vor zwei Wochen mit den Renovierungsarbeiten in der Wohnung begonnen. Als sie das erste Mal nach der Besichtigung wieder in das Haus kamen waren sie doch etwas erschrocken. Es war wirklich in einem erbärmlichen Zustand. Im Treppenhaus war der Putz von den Wänden gebrochen, am Treppengeländer fehlten einige Stäbe, welche durch einfache Schnüre ersetzt wurden. Aus manchen Wohnungen roch es sehr eigentümlich und man entschied sich besser nicht zu wissen was hinter den Türen so alles passiert.
Die Wohnung selbst hatte lange keine frische Farbe mehr gesehen. Die Teppichböden waren mit Flecken versehen und stanken nach Urin. Die vorherigen Mieter hatten mehrere Hunde, die wohl nicht regelmäßig Gassi geführt wurden. Das Badezimmer war lange nicht mehr geputzt worden und man konnte die Originalfarbe der Sanitärgegenstände nicht mehr wirklich erkennen.
Die Mädchen waren schockiert und verstanden nicht, dass ihnen das in diesem Maß bei der Besichtigung nicht aufgefallen war.
Sören fand als erster wieder seine Sprache:
„Mädels, alles kein Problem, das schaffen wir.“
Was sich wirklich als Problem herausstellte und woran eigentlich keiner gedacht hatte, waren die Kosten für das Material welches sie zur Renovierung brauchten. Den Mädchen war es nicht möglich, viel von ihrem Taschengeld beizusteuern.
Sören bot sich an, die Kosten vorerst zu übernehmen und die Mädchen sollten es ihm nach und nach zurückbezahlen. Sörens Vater war wohl nicht unvermögend und schickte seinem Sohn jeden Monat einen großzügigen „Überlebensscheck“, wie er es nannte.
Die Renovierungsabreiten nahmen sehr viel Zeit in Anspruch und sie mussten einen Zeitplan erstellen wer wann Sören zur Seite stehen musste.
Judith musste sich dringend einen Job suchen, was sich als sehr schwierig herausstellte da ja gerade Semesterferien waren und alle Job bereits vergeben waren.
Sie las jeden Tag die Anzeigen in der Zeitung und hielt sich nicht damit auf über das Telefon Kontakt aufzunehmen sondern machte sich gleich auf den Weg um persönlich vorzusprechen. Sie hatte inzwischen bei ca. 15 Firmen vorgesprochen, leider immer ohne Erfolg.
Sie hoffte auf die Wochenendausgabe mit einer größeren Auswahl an Stellenangeboten.
Am Samstagmorgen holte sie sich in aller Früh die Tageszeitung und studierte die Stellenanzeigen.
Juweliergeschäft in der Innenstadt sucht freundliche Aushilfe mit Freude an kreativer Arbeit zur Gestaltung der Schaufenster, Mithilfe in der Werkstatt und zur Kundenbetreuung. Interessenten bitten wir sich direkt bei uns im Geschäft vorzustellen.Juwelier Hoffmann, Marienplatz.
Judith machte sich sofort auf den Weg zur S-Bahn, dort angekommen fuhr gerade die Bahn ein die sie weiter bringen sollte, sie wertet das als gute Omen.
Sie fand die angegebene Adresse sofort und betrat das Geschäft.
Eine Frau mittleren Alters kam auf sie zu und fragte nach Ihren Wünschen
„ Ich habe Ihre Stellenanzeige gelesen und wollte mich gerne darauf bewerben.“
„Einen kleinen Moment bitte ich werde meinen Mann holen“,
ein freundliches Lächeln und die Frau begab sich in den hinteren Bereich des Ladens.
Judith schaute sich die Auslagen an und war wirklich beeindruckt. Das war kein Schmuck von der Stange sondern ausschließlich sehr gute Goldschmiedearbeiten. In solch einer schönen Umgebung zu arbeiten würde ihr schon sehr gut gefallen.
Nach ein paar Minuten kam Herr Hoffmann in den Laden.
Herr Hoffmann war ein großer Mann mit grauen, etwas längeren Haaren wie es gerade Mode war und einem warmen und herzlichen Lächeln im Gesicht. Er trug nicht wie erwartet einen dunklen Anzug, wie es dem Ambiente des Ladens entsprochen hätte, sondern Jeans und ein kariertes Hemd.
„Guten Tag, junge Frau, wie ich höre wollen sie sich um die von uns ausgeschriebene Stelle bewerben. Was machen Sie denn, wenn sie nicht auf Jobsuche sind?“
„Ich studiere Kunstgeschichte und Malerei an der Uni hier in München.“
„Interessantes Studium, könnte mir auch gefallen.“
„Wenn es sie interessiert zeige ich Ihnen die Werkstatt und erkläre ihnen welche Aufgaben zu erledigen sind. Dann können sie entscheiden ob ihnen die Arbeit gefallen könnte“
„Ja sehr gerne.“
Herr Hoffmann ging voraus und wie Judith vermutet hatte, befand sich hinter der Tür im hinteren Teil des Ladens die Werkstatt und das Büro.
„Wissen sie ich bin der Handwerker und meine Frau betreut den Laden. Jeder von uns macht seine Aufgabe mit Liebe und somit sind wir das ideale Team. Was uns fehlt ist eine Kraft, die hier und da einspringen kann, wenn es viel zu tun gibt. Das würde heißen, der Job wäre keine Tätigkeit mit einer regelmäßigen Stundenzahl. In den Wochen vor Weihnachten gibt es natürlich bedeutend mehr zu tun als zum Beispiel in den Sommermonaten.“
„Ich denke, das sollte gehen wenn es möglich ist, dass wir uns zeitlich absprechen können.“
Herr Hoffmann zeigte Judith die Werkstatt, das angrenzende Büro und erzählte ihr, dass er überwiegend Auftragsarbeiten anfertigte. Die Kunden konnten ihre Vorstellungen äußern und er fertigte Skizzen an, machte Materialvorschläge und errechnete den Preis.
Man einigte sich auf einen Stundenlohn der für Judith akzeptabel war und auf Arbeitsbeginn zu Beginn des nächsten Monats. Sie gingen wieder nach vorne in den Laden
„Darf ich dir unsere neue Mitarbeiterin vorstellen“,
sagte Herr Hoffmann zu seiner Frau.
„Herzlich willkommen, ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen“,
sagte diese und reichte Judith zum Abschied die Hand.
Guter Laune verließ Judith den Laden. Eigentlich wäre ihr jetzt nach einem Einkaufsbummel gewesen aber ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass sie sich beeilen musste um Sören beim Streichen zu helfen.
In der Wohnung angekommen war sie überrascht wie weit die Renovierung schon fortgeschritten war. Sören hatte sich wirklich unglaublich viel Mühe gegeben und sehr viel Zeit investiert.
„Ob wir das jemals wieder gut machen können bei dir?“
fragte Judith
„ Mach dir nur mal keine Gedanken, mit drei Mädels die Wohnung zu teilen ist doch schon wie der erste Preis. Aber jetzt ran an die Tapete, wir haben besprochen, dass jeder sein Zimmer selbst streicht. Ist das o.k. für dich?“
„Ja gerne, ich bin zwar nicht unbedingt der Profi aber wenn du mir ein paar Tipps gibst, werde ich das bestimmt hinbekommen.“
Sören gab Judith eine Kurzeinweisung in die Kunst des Streichens und sie legte los.
Am Abend kamen Rosalie und Hanne dazu und brachten Brezeln und eine Flasche Rotwein mit. Hanne funktionierte den Tapeziertisch zum Esstisch um und sie genossen den ersten, gemeinsamen Abend in ihrer Wohnung auch wenn hier noch alles Baustelle war, wusste Judith, es war die richtige Entscheidung.
Sie erzählte von ihrem gelungenen Vorstellungsgespräch und die anderen gratulierten ihr zu dem neuen Job.
Nach vier Wochen harter Renovierungsarbeit war die Wohnung fertig und hatte sich zu einem echten Schmuckstück verändert.
Judiths Vater hatte mit der Tante Marie gesprochen und diese hat nach anfänglichem Grollen angeboten, dass Judith sich einige Möbel aussuchen könnte für ihr neues Zimmer und somit war ein Möbeltransport aus Heidelberg auch hinfällig.
Judith war Tante Marie sehr dankbar für ihre Großzügigkeit und hat sich vorgenommen, sie mindestens alle 14 Tage zu besuchen.
Die Arbeit bei Hoffmanns machte ihr sehr viel Spaß, außerdem war es ein gutes Gefühl eigenes Geld zu verdienen. Die Welt war in Ordnung und sie war dankbar, so viel Glück gehabt zu haben.
Rosalie und Hanne hatten während der Semesterferien auch die Stundenzahl ihrer Jobs erhöht, das hatte natürlich zur Folge, dass die Mädchen sich immer nur zwischen Tür und Angel sahen.
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