„In groben Zügen weiß ich Bescheid und da ich mein Zimmer im Wohnheim nur noch bis zum Semesterende haben werde wäre das für mich natürlich die ideale Lösung.“
„Sören ist handwerklich sehr begabt und somit hätten wir schon eine große Unterstützung wenn wir renovieren müssten. Außerdem kann er gut kochen und putzen macht ihm wirklich Spaß.“
Rosalie lobte Sören in den höchsten Tönen und Judith war sicher, dass Rosalie den Jungen keine Stunden länger oder besser kannte wie sie selbst.
„Sören, sicherlich wirst du verstehen, dass ich das nochmals in Ruhe mit Rosalie besprechen muss, da wir bisher von einer reinen Mädchen WG gesprochen haben. Von männlichen Mitbewohnern war noch keine Rede.“
„Ich habe vier Schwestern und bin es gewohnt mit Mädchen unter einem Dach zu wohnen.“ warf Sören ein.
Judith sah ein, dass hier wohl ein Einwand von Ihrer Seite noch etwas bringen würde.
Rosalie hatte sie mal wieder überrannt. Warum nicht, der Junge ist ganz nett und einen Mann im Haus zu haben ist ja vielleicht gar nicht so schlecht, dachte Judith.
„In Ordnung Sören, aber wir müssen noch eine weitere Mitbewohnerin finden sonst bekommen wir das mit den Kosten nicht in den Griff. Der Preisunterschied von kleinen zu großen Wohnungen ist nicht erheblich und wir dachten eine Wohnung in einem Altbau mit vier Zimmern, Küche und Bad ist leichter zu finden als eine kleine Wohnung in einer Neubausiedlung.“
„Werde mich unter meinen Kommilitonen nochmals umhören, vielleicht sucht noch jemand ein Zimmer“, versprach Sören.
Einige Tage später stellte Sören ihnen ein Mädchen vor, das ihnen auf Anhieb sympathisch war. Hanne kam aus Dortmund, studierte ebenfalls Kunstgeschichte im zweiten Semester und war eher zurückhaltend in ihrer Art. Eine gute Mischung dachte Judith und willigte ein.
Die zehnte Wohnungsbesichtigung war ein Volltreffer.
Das Haus war keine 15 Minuten von der Uni entfernt, die Aufteilung der Zimmer genau auf ihre Bedürfnisse abgestimmt. Vier große Räume plus eine großen Wohnküche und ein Bad. Die vier waren begeistert.
Das Haus und die Wohnung waren in einem äußerst schlechten Zustand, was auch die anderen Mitbewerber wohl etwas abschreckte und am Schluss nur noch ein kleiner Kreis von wirklich Interessierten übrig war. Da die Wohnung von einer Wohnbaugesellschaft vermietet wurde hatte auch niemand ein Problem mit einer WG.
Der Mann der Wohnbaugesellschaft fragte nach Besichtigung wer denn alles ernsthaft interessiert sei, notierte sich die Namen und die Telefonnummern und versprach sich zu melden.
„Wir warten doch nicht bis der sich meldet. Ich werde mich bei dem melden“, warf Rosalie ein.
„Wir sollten nicht zu aufdringlich sein sonst kommen wir vielleicht gar nicht zum Zuge“, meinte Judith, sie hielt ein zu forscher Vorgehen nicht für sehr klug.
„Lass uns nur mal machen.“
sagten Rosalie und Sören wie aus einem Mund. Sie vereinbarten einen Termin mit dem gleichen Mitarbeiter der Wohnbaugesellschaft der bei der Wohnungsbesichtigung anwesend war.
Zum vereinbarten Termin brachten sie Zeichnungen, Kostenberechnungen und einen Zeitplan mit. Sie überzeugten den Vermieter davon, dass sie in der Lage waren, die anstehende Renovierung selbst in die Hand zu nehmen. Die Kosten sollten alle belegt werden und wurden als Kaution angerechnet die dann beim Auszug ausbezahlt werden sollte. Der Mitarbeiter der Wohnungsgesellschaft war sichtlich beeindruckt und bat sie um einen Moment Geduld, er wolle dies seinem Chef vortragen und käme gleich wieder zurück. Man bot ihnen einen Kaffee an und Rosalie platzte beinahe vor Spannung.
Nach 30 Minuten hielten sie den Mietvertrag und den Schlüssel in den Händen.
Judith hatte sich mit ihren künftigen Mitbewohnern am selben Abend verabredet und man traf sich in einer kleinen Kneipe in der Innenstadt.
Für Judith begann nun der schwierige Teil. Sie hatte noch zu niemanden etwas von dem geplanten Umzug gesagt und musste nun Farbe bekennen. Sie beschloss zuerst mit ihrem Vater zu reden und sich dann bei Tante Marie zu offenbaren.
Am Samstagmorgen nahm Judith den ersten Zug nach Heidelberg um das Wochenende bei ihren Eltern zu verbringen und bei dieser Gelegenheit den Umzug zur Sprache zu bringen.
Ihre Mutter holte sie vom Bahnhof ab um mit ihr auf den Markt zu gehen und die Einkäufe fürs Wochenende tätigen. Judith wurde es ganz warm ums Herz als sie ihre Mutter am Bahnsteig stehen sah. Wie sie sich wohl fühlte, jetzt wo ihre Mädchen flügge wurden und sie mit Vater in der großen Wohnung alleine lebte?
Judiths Schwester war an diesem Wochenende mit Freunden zum Skifahren. Wenn sie auch traurig war die Schwester nicht zu sehen war sie doch ganz froh eine Meinung weniger zu ihrer Entscheidung hören zu müssen.
Ihre Mutter übertraf sich selbst bei der Zubereitung des Abendessens und es schmeckte köstlich.
Hans Kühnen war glücklich seine älteste Tochter wieder einmal zu Hause zu haben und Judith musste versprechen gleich morgen nach dem Frühstück mit in den Garten zu gehen.
Judith beobachtete den Vater und erinnerte sich an das Gespräch mit der Tante. Tatsächlich schien er unkonzentriert und fahrig. Während des Gespräches verlor er den Faden oder er lief durch die Wohnung und suchte irgendwelche Gegenstände die er gerade noch in der Hand hatte.
Nach dem Essen half Judith die Küche wieder in Ordnung zu bringen und nutzte die Gelegenheit die Mutter darauf anzusprechen:
„ Ist mit Vater alles in Ordnung?“
„Was meinst du?“
Der Ton der Mutter war ungewöhnlich scharf.
„Ich habe das Gefühl, dass er etwas zerstreut ist.“
„Judith, das bildest du dir ein. Es ist alles in Ordnung. Vielleicht ist er nur etwas überarbeitet.“
Judith sah ihre Mutter an und wusste, dass sie ihr nicht alles sagte. Sie wollte mit ihrer Schwester bei Gelegenheit nochmals darüber reden.
Ihr Vater hatte sich schon in seine Raucherecke zurückgezogen und Judith bat die Mutter sich dazu zu setzen.
„Ich wollte eine Sache mit euch besprechen. Also ich würde gerne bei Tante Marie ausziehen und mit drei Freunden eine gemeinsame Wohnung nehmen. Um genau zu sein haben wir die Wohnung schon angemietet.“
Schweigen….
„Und du willst nun unsere Meinung dazu von uns hören, nachdem du die Wohnung ja schon angemietet hast?“
fragte ihr Vater.
„Ich finde es gut, dass du in der Lage bist, deine Entscheidungen selbst zu treffen, schließlich bist du ja erwachsen. Ich gehe davon aus, dass du dir auch Gedanken darüber gemacht hast wie du das finanzieren wirst.“
„In zwei Wochen beginnen die Semesterferien und ich werde mich nach einem Job umsehen, den ich dann vielleicht auch während des Semesters beibehalten kann. Wenn ich von euch weiterhin mein Taschengeld bekomme werde ich für die Miete alleine aufkommen können.“
Judith war selbst überrascht wie ihr die Worte über die Lippen gingen. Sie hatte sich bis heute nicht im Mindesten um einen Job gekümmert.
Die Eltern wechselten einen Blick und gaben ihr Einverständnis.
„Eine Bedingung habe ich“,
sagte ihr Vater.
„Wir möchten die Leute kennen lernen mit denen du unter einem Dach wohnst.“
„Das ist kein Problem. Was haltet ihr davon wenn ihr in den nächsten Wochen nach München kommt, dann könnt ihr meine Mitbewohner kennen lernen und euch auch gleich die Wohnung ansehen.“
Den Sonntag verbrachten sie im Garten in dem jetzt alles anfing zu blühen und der einen wunderschönen Anblick bot. Judith fühlte sich rundum wohl und bedauerte es am Abend schon wieder nach München zu müssen.
Die nächsten Wochen waren mit sehr viel Arbeit ausgefüllt. Die letzten Klausuren wurden geschrieben und sie schloss das erste Semester mit gutem Erfolg ab.
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