„Du hast ihm die Angst genommen.“ Flüsterte Vitras beinahe voller Ehrfurcht.
„Nicht nur das,“ erwiderte sie: „Ich habe dem kleinen ein wenig göttlicher Energie gegeben!“
Vitras warf ihr einen Blick zu, so dass sie nicht anders konnte als belustigt zu lachen: „Er wird ein langes Leben haben mein Lieber... ein sehr langes!“ Nachdenklich blickte sie dem Kriegszauberer tief in die Augen:
„Ich habe dich immer dafür bewundert und geachtet, wie du es verstehst mit Tieren umzugehen. Wie du dich in sie hineinversetzt und behandelst. Dir gleichgestellt und nicht wie niedere Geschöpfe, wie es die meisten Menschen tun. Eine Gabe, die unsere Tochter von dir geerbt hat.“
Vitras biss sich vor Wut auf die Unterlippe. Mirna wusste genau wie er sich fühlte, wenn sie ihre gemeinsame Tochter erwähnte. Daher kam sie seiner Antwort zuvor:
„Du weißt, dass ich Astorius' Entscheidung zu keiner Zeit für gutgeheißen habe. Das du Morna niemals kennen lernen durftest war ein grausames Urteil. Ich musste schwören unsere Tochter von dir fernzuhalten. Astorius und die anderen Götter wussten wie sehr mich das schmerzen würde. Sie wollten uns beide für unsere Liebe zueinander bestrafen.“
„Du konntest sie wenigstens aufwachsen sehen.“ Stellte Vitras nüchtern fest: „Nur dass ihr sie von mir ferngehalten habt, hat ja nicht ausgereicht. Ihr musstet sie auch noch in den Schwarzen Wald verbannen.“ Die Stimme des Kriegszauberers bekam einen wütenden Unterton. Die Göttin verspürte jedoch keinerlei Zorn, dass er es als Sterblicher wagte, so mit ihr zu reden. Sie verstand ihn besser als er je erahnen würde:
„Du musst endlich begreifen, dass wir Götter unseren eigenen Regeln und Gesetzen unterworfen sind. Dass wir ein Kind gezeugt haben, hat für einen regelrechten Aufruhr im Singarium gesorgt. Astorius wollte unbedingt verhindern, dass Morna als Trägerin göttlichen Blutes, sich ebenfalls in einen Sterblichen verliebt. Daher wurde ihre Macht erdgebunden. Nur im Schwarzen Wald, oder den Wald der Götter wie wir ihn nennen, greift ihre göttliche Macht. Das kannst du nicht mit einer Verbannung oder dem Kerker vergleichen. Es konnte sich nur keiner von uns vorstellen, dass sie den schützenden Hain tatsächlich verlassen würde.“
Plötzlich musste Vitras laut auflachen:
„Na da hat die Kleine euch allen ja einen schönen Strich durch die Rechnung gezogen, und so ganz nebenbei den Beginn einer uralten Prophezeiung losgetreten. Sofern die Geburt der Zwillinge und nicht das Erwachen des Dämons den Beginn darstellt. Irgendwie bin ich stolz auf sie!“
Die Göttin der Gerechtigkeit bedachte ihn mit einem strafenden Blick:
„Unsere Tochter hat sich durch ihr Verhalten in tödliche Gefahr begeben. Hat Tantras dir das nicht verständlich gemacht? Auch die Zwillinge, unsere Enkelkinder schweben in diesem Augenblick in Lebensgefahr.“
Vitras Gesichtszüge veränderten sich, und er schien leichenblass zu werden:
„Davon hat Tantras kein Wort gesagt.“
Mirna ballte ihre Hände zu Fäusten, winkelte die Arme an und starrte zornesbebend zum Himmel empor, bevor sie sich wieder dem Kriegszauberer zu wandte:
„Hör mir gut zu mein Lieber. In diesem Augenblick befindet sich unsere Tochter in einem Verließ, tief unterhalb des Palastes des Darkanischen Herrschers. Harun Ar Sabah hat längst seine Häscher nach Darkan entsandt, um der Zwillinge habhaft zu werden.“
„Der Herrscher hat Morna ins Verließ geworfen?“ Fragte Vitras ungläubig nach: „Der Vater kerkert die Mutter ein?“ Vitras war schon so einiges über Godvere Garien zu Ohren gekommen, doch das überstieg seine schlimmsten Befürchtungen gegenüber diesem Mann.
„Hat Tantras dir wenigstens erklärt, dass Astorius uns verboten hat...“
Verärgert winkte Vitras ab: „Das hat er - allerdings. Daher wundert es mich, dass ihr beide vor mir erscheint.“
„Aus Angst vor einem erneuten Krieg mit den Heerscharen der Dämonen, hat Astorius uns allen zwar verboten sich in diesen Konflikt einzumischen...“ Mirnas Gesicht bekam mit einem mal wieder diesen schelmischen Ausdruck: „Er hat es jedoch nicht verboten, dass du dich einmischst. Da er kein Interesse daran hat, dass der Dämon die Welt ins Chaos stürzt, hat er mit Sicherheit auch nichts dagegen, wenn wir dich... sagen wir einmal ein wenig unterstützen.“
„Hat er nicht?“
Nun zogen sich Mirnas Mundwinkel sogar leicht nach oben und sie musste lächeln:
„Hat er nicht! Tantras davon zu überzeugen, hat jedoch etwas länger gedauert als bei dir.“
„Das Denken scheint ja eh nicht die größte Stärke deines Bruders zu sein.“ Bemerkte Vitras säuerlich, während er seine Arme abtastete, die Dank Mirna wieder vollkommen genesen waren. Ein weit entferntes Donnergrollen ließ den Kriegszauberer vermuten, dass der Kriegsgott ihr Gespräch verfolgte.
„Stimmt es...“ fragte Vitras hoffnungsvoll: „Das der Dämon noch mindestens zwanzig Jahre, wenn nicht länger braucht, um die Welt der Lebenden zu betreten?“
„Das ist richtig,“ antwortete ihm die Göttin: „Doch bis es soweit ist, hat er Harun Ar Sabah mit einer ungeheuren Machtfülle ausgestattet. Sicherlich, er ist nur ein Helfers Helfer, bis ES ihn nicht mehr braucht. Trotzdem geht von ihm im Augenblick die größte Gefahr für unsere Enkel aus.“
„Aber die Beiden werden ES besiegen?“
„Wenn sie nicht vorher getötet werden – ja! Und immer vorausgesetzt, dass sie zusammenhalten.“
„Die Zwei die Eins sind!“ Murmelte Vitras monoton einen Teil der Prophezeiung vor sich hin. Die Göttin wurde ausgesprochen ernst:
„Hör mir gut zu! Es gibt einiges das du über die Zwillinge wissen solltest. Unsere Enkel besitzen keinerlei Göttliche Fähigkeiten wie Morna. Unsere Enkeltochter ist jedoch mit gewaltigen Magischen Kräften gesegnet. Die göttliche Quelle, die jedem Zauberer innewohnt, die ihm oder ihr die Kraft der Magie verleiht, ist bei ihr dermaßen mächtig, wie du es dir nicht vorstellen kannst. Ihre Fähigkeiten werden sogar deine eines Tages bei weitem übersteigen. Doch sie wird einen Lehrer brauchen, und ich kann mir wirklich niemanden vorstellen, der dazu besser geeignet wäre, als ihr Großvater.“
„Und der Junge?“ Hakte Vitras nach.
„Mit ihm verhält es sich sehr eigenartig. Seine Fähigkeiten sind uns Göttern noch verschlossen. Selbst die Orakel der Großen Himmelsspitze waren nicht in der Lage, uns auch nur irgendetwas über ihn mitzuteilen.“
Vitras runzelte mit der Stirn und schaute sie überrascht an. Als ob er an ihren Worten zweifeln würde: „In der Prophezeiung, steht dass beide Kinder über gewaltige Kräfte verfügen.“
Mirna zuckte ratlos mit ihren Schultern: „Der Junge wird bestimmt ein großes Potenzial aufweisen. Nur es muss nicht zwangsläufig mit Magie zu tun haben. Wir wissen es einfach nicht Vitras.“
„Fakt ist, dass die beiden zusammenhalten müssen,“ merkte Vitras noch einmal an:
„Ich nehme daher an, dass sich die Fähigkeiten der beiden irgendwie ergänzen werden.“
„Was auch immer geschehen wird,“ erklärte Mirna in einem Tonfall der absolut keinen Widerspruch duldete: „Das Wichtigste besteht zunächst darin, dass du die Zwillinge zu dir holst und vor Schaden bewahrst. Bei dieser Gelegenheit solltest du alles daransetzen, unsere Tochter zu retten. Aber, so sehr es mich auch schmerzt das folgende überhaupt nur auszusprechen... unsere Enkelkinder sind wichtiger. Wenn ihnen etwas geschieht, wird das große Übel eines Tages triumphieren.“
„Damit meinst du ES !“
„Richtig!“ antwortete sie ihm und fügte erklärend hinzu: „Wir weigern uns seinen Namen auszusprechen und unter die Menschen zu tragen. Je mehr ihn beim Namen nennen, ihn eines Tages vielleicht sogar anbeten... desto größer wird seine Macht!“
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