1 ...8 9 10 12 13 14 ...58 Godvere Garien – der Herrscher des Darkanischen Reiches, war ein stattlicher, gutaussehender Mann Mitte dreißig. Nach dem gewaltsamen Tod seines Vaters Sorarius Garien, bestieg er den Thron im frühen Alter von sechzehn Jahren. Die harte Erziehung machte sich schnell bezahlt, da es dem jungen Herrscher gelang, etliche Intrigen gegen ihn zu erkennen, aufzudecken und mehreren Mordanschlägen zu entgehen. Somit begann er, sein Reich mit unnachgiebiger Härte zu regieren. Auch als Stratege war er weithin gefürchtet. Godvere unterwarf nahezu alle umliegenden Königreiche. Erst der Hochlandbund im Osten, später auch die freie Stadt Prem im tiefen Süden waren in der Lage den Eroberungen des Herrschers Einhalt zu gebieten. Godvere Garien war jedoch nicht nur ein absoluter Machtmensch, er war auch ausgesprochen intelligent. Er schloss Frieden mit dem Hochlandbund sowie mit der Stadt Prem und konzentrierte sich darauf, seine Macht im riesigen Reich zu festigen. Der schwarze Wald, auch der Wald der Götter genannt, der die Westgrenze seines Reiches bildete, war allerdings ein bohrender Stachel in seinem Fleisch. Die schwer gerüsteten Darkanischen Soldaten waren den Amazonenstämmen in den Weiten des dichten Waldes hoffnungslos unterlegen. Der Kommandant der Leibwache des Herrschers begann frühzeitig zu ergrauen, da Sein Herr regelmäßig darauf bestand, in den Ausläufern des Waldes zu jagen. Die Jagdausflüge boten häufig das Ziel eines Amazonenangriffs, da die Kriegerinnen ihren heiligen Boden mit aller Macht verteidigten. Bei einem dieser Angriffe, scheute das Pferd des Herrschers und warf ihn ab. Godvere stürzte und schlitterte einen Abhang hinunter. Dabei rauschte er durch dutzende Büsche bis er bewusstlos gegen einen Baum krachte.
Morna konnte sich gut an diesen Tag erinnern. Sie fand ihn mehr tot als lebendig und verliebte sich augenblicklich in die edlen Gesichtszüge des Mannes, der blutend und hilflos am Boden lag. Sein Gefolge, das ihn lautstark suchte, hatte nun nicht die geringste Chance mehr, ihn zu finden. Einfach weil Morna es nicht wollte. Sie legte einen Unsichtbarkeitszauber auf sich und den Fremden und brachte ihn zu ihrem Baumschloss. Während sie vorweg ging, schwebte sein bewusstloser Körper mehrere Schritte über dem Boden hinter ihr her. Mornas Zuhause war ein gewaltiger Gebäudekomplex aus Holz, der hoch oben in den Baumkronen zu finden war und sich über dutzende Bäume erstreckte. Wunderschön anzusehen, wäre es jedem Betrachter sofort bewusst geworden, dass es sich um ein Bauwerk handelte, das nicht von Menschenhand erschaffen sein konnte. Hier pflegte Morna den Herrscher gesund wobei sie seinem Charme endgültig unterlag. Da Morna die Schönheit ihrer Mutter geerbt hatte, verliebte sich Godvere ebenfalls und brachte seine gesamte Überredungskunst auf, damit sie ihn nach Darkan begleitete. Sie erzählte ihm selbstverständlich nicht wer sie war und belegte ihn sogar mit einem Zauber, damit er diesen verwunschenen Ort in den Baumkronen vergaß. Alle anderen Warnungen ihrer Mutter schlug sie jedoch in den Wind. Sie war verliebt und wollte sein Reich kennenlernen. Somit verließ Morna mit ihm den Wald der Götter, der ihr nur Macht und Unsterblichkeit verlieh, wenn sie sich in ihm aufhielt.
Die Rückkehr des Herrschers war ein freudiges Ereignis in ganz Darkan. Godvere war Witwer und Kinderlos. Somit trat man Morna am Hofe zuerst mit Argwohn gegenüber. Doch es gelang ihr schnell mit ihrem angenehmen Wesen jedes Misstrauen zu zerstreuen. Als ihre Schwangerschaft bekannt wurde, war man dermaßen entzückt, dass man selbst über ihre scheinbar nicht standesgemäße Herkunft den Mantel des Schweigens legte. Die höfischen Zwänge und Rituale allerdings, engten die junge Halbgöttin zu sehr ein. Sie war das freie Leben im Wald der Götter gewohnt, der von den Menschen nur der schwarze Wald genannt wurde. Sie konnte mit dem Leben am Hofe einfach nichts anfangen. Das einfache Leben der Amazonen Stämme, die sie als Göttin verehrten, die Tiere des Waldes mit denen sie sprechen konnte... all das vermisste sie.
So lehnte sie den Wunsch des Herrschers, ihn zu heiraten, jedes Mal ab. Godvere war am Hofe auch längst nicht mehr der Mann, den sie in ihrem Wald kennen und lieben gelernt hatte. Er fiel in seinen alten Rhythmus zurück, und sie erkannte schnell, dass er sein Reich mit unnachgiebiger Härte führte. Dabei war er zu einem Jähzorn fähig, den sie an ihm noch nicht kannte. Als die Hof Ärzte ihr offenbarten, dass sie Zwillinge zur Welt bringen würde, entschloss sie sich, in ihren Wald zurückzukehren. Sie wollte ihren Kindern nicht ihr göttliches Erbe verwehren. Viel wichtiger aber war ihr, dass die Zwillinge glücklich und ohne Zwänge aufwachsen sollten. Naiv wie sie war, erzählte sie dem Herrscher umgehend von ihrem Vorhaben. Godvere Garien bekam einen Tobsuchtsanfall, der seines gleichen suchte. Nicht nur dass sie seine Heiratsanträge durchgehend ablehnte und ihn damit zutiefst in seinem Stolz verletzte, jetzt sollte er auch auf seine Kinder und sein Reich auf einen Thronfolger verzichten. Er ließ Morna umgehend in ihre Gemächer bringen, die sie von nun an nicht mehr verlassen durfte. Schwer bewaffnete Wachen kontrollierten jeden, der ihre Räume betreten wollte. Nach der Geburt der Zwillinge brachte man Morna in den Kerker und Godvere verbot jedem am Hofe, ihren Namen jemals wieder zu erwähnen. Offiziell ließ man verlautbaren, die junge Mutter sei bei der Geburt verstorben und der Herrscher hatte vor, seine Kinder in diesem Glauben aufzuziehen.
Obwohl die Entbindung erst wenige Wochen zurücklag, kam es Morna inzwischen vor als läge dies Ereignis eine Ewigkeit zurück. Trauer, Wut und Verzweiflung beherrschten sie und waren auf dem besten Wege, sie in den Wahnsinn zu treiben. Der schwache Schein der Fackeln, wenn die Wachen nach dem Rechten sahen, reichte inzwischen völlig aus, ihren Augen Schmerzen zuzufügen, so dass sie diese zusammenkneifen musste. Doch der Klang der Schritte, der sich jetzt ihrer Zelle näherte, hörte sich anders an. Morna kannte inzwischen jedes Geräusch, dessen sie hier unten habhaft werden konnte. Dies waren nicht die schweren Schritte der bulligen Wärter, die sich langsam näherten. Es klang eher wie ein tapsen, wie die Schritte einer zierlichen Person. Dann hörte sie das Flüstern einer Frauenstimme. Mornas Herz begann wie wild zu rasen, als sie die Stimme erkannte.
„Elze? Elze, bist du das wirklich?“ Brachte die Halbgöttin aufgeregt hervor und bewegte sich auf die Zellentür zu. Dabei erschrak sie sich über den Tonfall der eigenen Stimme, die sich dumpf und krächzend anhörte. Der Lichtschein der Fackel, der sich an den feuchten Wänden wieder spiegelte, wurde immer heller. Als Elze endlich die Zellentür erreichte musste sich Morna eine Hand schützend vor ihre Augen halten. Die alte Dienerin war eine der wenigen Personen im Palast, die Morna sofort in ihr Herz geschlossen hatte. Elze fing augenblicklich an zu weinen, als sie realisierte, dass sie ihre Herrin endlich gefunden hatte. Umständlich begann sie mit dem klobigen Schlüssel im Schloss zu hantieren, wobei sie immer wieder eine graue Haarsträhne aus ihrem Gesicht wischte. Nach einer Weile hatte sie den Dreh raus, und mit einem lauten Klacken sprang das Schloss auf. Nur zu zweit und mit größter Mühe schafften die beiden es, die schwere Tür einen Spalt weit zu öffnen, so dass Morna sich hindurchzwängen konnte. Überglücklich fiel sie der alten Dienerin in die Arme und wurde dabei von heftigen Weinkrämpfen geschüttelt. Mit ihrer ruhigen und unglaublich einfühlsamen Art gelang es Elze, Morna zu beruhigen. Dann drückte sie sie vorsichtig von sich und betrachtete sie. Die ältere Frau war erstaunt und beeindruckt zugleich, als sie in Mornas Augen blickte. Trotz der Tränen konnte sie in ihnen noch immer den Stolz erkennen, den sie stets so bewundert hatte. Auch nach vier Wochen in diesen dunklen und kalten Verließ, der Trennung von ihren Kindern sowie der Angst vor dem eigenen ungewissen Schicksal, hatte Morna nichts von ihrer Würde und Eleganz verloren. Ihr inzwischen völlig verdrecktes zerschlissenes Kleid, die langen ungepflegten braunen Haare und selbst die vielen Kratzer oder Schürfwunden, schienen ihre Erhabenheit nur trotzend zu unterstreichen. In all den Jahren, als Dienerin von drei verschiedenen Herrschern, hatte Elze nie auch nur eine Person kennengelernt, die sie so freundlich und warmherzig behandelte wie Morna.
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