„Tom“, sagte ich mir, „das kann nicht sein. Diese Frau ist keine potentielle Mörderin. Die Fallen sind Abschreckung. In diesem Haus gibt es so viel zu futtern, dass es keine Maus nötig hat an die Fallen zu gehen.“
Man fand es übrigens früher oft, dass Mausefallen zur Abschreckung aufgestellt wurden. Eine besonders grausame Art der Abschreckung war es, wenn die Menschen eine Mäuseleiche in der Falle hängen ließen, und die dann langsam vor sich hin moderte. Widerlich, sage ich euch, - wiiiderlich!
Ich habe schon Mäuse kotzen sehen, wenn sie unvermittelt auf so eine Abschreckungsfalle gestoßen sind. Gut, ich beschloss also, bei der nächsten Gelegenheit in die Wohnung zu schlüpfen.
Kein Problem für mich. In dem Haus gab es weder Katze noch Hund, noch fest verschlossene Türen. Zwei Stunden später saß ich behaglich hinter der Schrankwand des Wohnzimmers. Schlau wie eine Politikermaus sein muss, besorgte ich mir in der Speisekammer rasch Vorräte für die nächsten Tage, so dass ich mein Versteck nicht unnötig zu gefährlichen Streifzügen verlassen musste.
Die Vorsorge war überflüssig. Schon am nächsten Abend erfuhr ich alles was ich wissen musste. Dazu sollt ihr wissen, dass die Menschen die seltsame Angewohnheit haben, sich abends vor einem Kasten, den sie Fernseher nennen, zu versammeln, um sich vom Geschehen in der Welt berichten zu lassen. Das tat natürlich auch meine Gastfamilie. So erfuhr ich an einem Abend weit mehr, als mein unerfahrenes, junges Gehirn verkraften konnte. Das wichtigste merkte ich mir und verließ das Haus. Natürlich nicht, ohne mich vorher kräftig mit frischem Reiseproviant versorgt zu haben. Ich wanderte gen Berlin.
Berlin, so heißt die Stadt, in der sie die hohe Politik verkaufen.
Nach gut einer Woche Wanderschaft gelang es mir, mich einem Obsthändler anzuschließen. Zwischen Salatköpfen versteckt, die voller Würmer waren, wurde ich direkt zur Berliner Großmarkthalle gefahren. Vom Großmarkt zum Parlament, so heißt der Ort der Politik, war ein Jungmäusespiel. Einen Tag trieb ich mich auf dem Großmarkt herum. Übrigens für Mäuse ein sehr, sehr gefährlicher Ort, es wimmelt dort nur so von Katzen und Fallen, sehr, sehr hinterhältigen Fallen. Ich brachte in Erfahrung welcher Gemüsehändler das Parlament belieferte, und sprang auf seinen Kleinlaster.
An den Toren zum Parlament wurden der Gemüsehändler und sein Beifahrer strengstens kontrolliert. Nahezu zehn Minuten verbrachten die beiden in einem Kontrollhaus. Während dieser Zeit sahen sich auch zwei Uniformierte den Laderaum an und stocherten mit langen Stäben in den Gemüsekisten herum. Was sie suchten weiß ich bis heute nicht. Als sie genug gestochert hatten, nickten sie, sagten „OK“, und gingen.
Auf eine kleine Maus achtete natürlich keiner.
Der Gemüsetransporter fuhr durch das gesicherte Parlamentsgelände und hielt an einer Laderampe.
„Tom“, sagte ich mir, „es ist Zeit dein Taxi zu verlassen.“ Ich hatte nicht die geringste Lust in einem Kühlhaus eingesperrt zu werden. Mit einem Kühlhaus hatte ich in meiner jüngsten Jugend eine innige Bekanntschaft gemacht. Damals duftete es so verlockend und intensiv aus einer offenen Kühlhaustüre, dass ich kurz entschlossen hineinschlüpfte und drei ganze Tage in der eisigen Kälte verbringen musste. Beinahe wäre ich dabei erfroren.
Einmal und nie wieder, sagte ich mir und sprang vom LKW. Gleich neben der Auffahrt befand sich eine säuberlich gestutzte Hecke. Ich schlüpfte hinein, hockte mich auf ein abgebrochenes Ästchen, verschnaufte ein wenig und dachte über mein weiteres Vorgehen nach. Schließlich war ich nach Berlin gekommen, um Politik zu lernen, und nicht, um in einer Hecke auf einem Ästchen zu sitzen.
Dass ich ohne Schwierigkeiten in den heiligen Tempel der Politik gekommen war, kam mir nicht in den Sinn. Zu meiner Entschuldigung muss ich wohl sagen, dass ich damals noch nicht wusste, dass dies wahrscheinlich der bestgesicherte Ort im ganzen Land ist. Ziemlich ratlos, wie ich weiter vorgehen sollte, saß ich in der Hecke. Zum Nachdenken blieb mir allerdings keine Zeit. Plötzlich tappte mir eine Pfote von hinten auf die Schulter und eine ziemlich unfreundliche Mäusestimme fragte:
„Was zum Katzenauge machst du denn hier?“
Stocksteif saß ich auf meinem Ästchen und hielt die Luft an.
„Woher kommt die Maus?“, fragte ich mich. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es außer mir noch andere Mäuse im Parlament gab.
„Weit gefehlt“, sage ich euch. Selten einmal habe ich mich so getäuscht wie damals. Es gab tausende von mehr oder minder politischen Mäusen. Aber längst nicht alle waren daran interessiert, die hohe Kunst der Politik zu lernen. In der großen Mäusekolonie des Parlaments waren alle politischen Schattierungen vertreten. Es gab linke Mäuse, rechte Mäuse, reinrassige Politikermäuse, teilweise schon in der zehnten Generation, politische Clans, Cliquen und Sekten und sogar ein voll funktionierendes Mäuseparlament, mit frei gewählten Abgeordneten, das alle Instanzen von Recht und Gesetz in der Mäusepolitik vertrat.
Daneben gab es haufenweise Schmarotzer, die die hohen Politiker umschwärmten wie die Fliegen den Kuhfladen. Sie lebten von den Brocken, die die hochpolitischen fallen ließen. Es gab ein ganzes Heer von Wachpersonal, das darüber wachte, dass das Parlament, das Mäuseparlament, bei seiner Arbeit nicht gestört wurde. Besonders beliebt war der Beruf des Textschreibers für die hochpolitischen. Die alten erhabenen Politikermäuse waren oft derart in ihre Arbeit vertieft, dass sie einfach keine Zeit für ihre Reden hatten. Sie verpflichteten dann eine treu ergebene Maus dazu, ihnen die Reden nach den Barthaaren zu schreiben, und zwar so, dass sie ohne vorherige Kontrolle im Parlament vom Blatt gelesen werden konnte.
Als politisch ungebildeter Jungmäuserich kam ich also in diese hohe Welt der Politik. Der Posten, der mich in der Hecke aufgestöbert hatte, brachte mich ohne Umschweife zur Arbeitseinteilungskommission. Die A.K., so wurde sie kurz genannt, teilt alle rangniederen Arbeiten ein und überwacht die zuverlässige Ausführung der zugeteilten Arbeit.
Der zuständige Beamte musterte mich mit geschultem Blick, stellte fest, dass ich jung, kräftig und durchtrainiert war und steckte mich als Tragemaus in die Nahrungsmittel-beschaffungskolonne.
Wie ich schon erwähnte, ist die Welt innerhalb des Parlamentsgeländes vollständig nach außen hin abgeschirmt. Auf dem Gelände selbst findet man so gut wie keine Lebensmittel, es sei denn, man geht direkt in die Höhle des Löwen, in das Parlamentsgebäude. Um den reibungslosen Tagesablauf und das Überleben von tausenden von Mäusen zu sichern, hatte man ein selbstständig arbeitendes Nahrungsmittelbeschaffungskommando gebildet. Drei Wochen blieb ich in der Kolonne, verrichtete von morgens sieben Uhr bis nachmittags um fünf meinen Dienst und sah mich dann, nach Dienstschluss auf dem Gelände um. Mein Ziel war, so schnell und so gefahrlos wie möglich in das Zentrum der Politik, nämlich ins Parlamentsgebäude, zu kommen.
Freilich hatte ich zuerst ins Auge gefasst, mich von unseren eigenen hochkarätigen Politikern unterrichten zu lassen, aber für die innermäusliche Ausbildung gab es lange Wartelisten, und auch dann war es noch höchst ungewiss, ob man so eine Ausbildung absolvieren konnte, denn die Prüfung, die man ablegen musste war hart. Der diensthabende Ausbildungsleiter erklärte mir, dass ich mindestens drei Jahre warten müsste, wenn ich mich sofort mit Dringlichkeitsstufe eins anmeldete. Und das wäre dann nur die Vorschule zur Grundausbildung gewesen. Dazu kam noch, dass ich keinerlei Referenzen besaß, ich hätte mich also gar nicht mit Dringlichkeitsstufe eins anmelden können.
Also entschloss ich mich, es auf direktem Wege zu versuchen. Nach drei Wochen also, und etlichen intimen Gesprächen mit einer ziemlich pikierlichen Hundedame hatte ich zumindest den Weg ins Parlamentsgebäude gefunden. Meine angeborene diplomatische Ader und meine Redegewandtheit halfen mir, den Weg zu finden. Schon immer hatte ich mich mit Hunden ausgesprochen gut verstanden. Nicht zuletzt deshalb, weil sie mir mehr als einmal aus peinlichen Situationen mit Katzen herausgeholfen hatten.
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