Mein Leitspruch war schon von Kindesbeinen an:
„Bist du klein und intelligent und stehst einem gefräßigen Kater gegenüber, dann helfen dir nur Diplomatie oder ein neurotischer Hund.“
Während meiner Suche nach einem geeigneten Weg ins Parlamentshaus geriet ich auch auf den großen Politikerparkplatz. Suchend lief ich zwischen den glänzenden, schwarzen Karossen umher, als plötzlich hinter einer Panzerglasscheibe die Nase einer gelangweilten Hundedame auftauchte. Ich grüßte sie, wie es meine Art ist, mit einem kurzen Hallo, und sie bellte freudig zurück.
Ganz bestimmt hätte sie eine Unterhaltung mit mir naserümpfend abgelehnt, hätte sie sich unter ihresgleichen befunden, aber wenn man ganz allein in einer gepanzerten Staatskarosse sitzt, nimmt man jede Gelegenheit, sich die Zeit zu vertreiben, wahr.
Als sie auf die Rücksitzlehne sprang und mich in ein oberflächliches Gespräch über das Wetter verstrickte, sah ich, dass ihr Fell ordentlich frisiert war. Sie konnte also kein verwahrloster Straßenköter sein, der durch irgendeinen dummen Zufall in diese Karosse gelangt war. Ihre Ohren waren dauergewellt und im säuberlich ondulierten Schweif trug sie ein rosa Schleifchen. Durch lange, umständliche Gespräche über Gott und die Welt erfuhr ich, dass sie täglich von morgens bis mittags im Wagen saß und auf ihr Herrchen wartete. Zum Mittagsmahl wurde sie in die Kantine gebracht. Nach dem Essen brachte sie ein Bediensteter wieder zurück zum Wagen, wo sie erneut bis zum Abend wartete. Ein recht eintöniges Leben, wenn ihr mich fragt, aber was tut man nicht alles, um nur irgendwie mit dabei zu sein.
Wie ich diese Hundedame, die, wie gesagt, recht pikierlich war, dazu brachte, das zu tun, was sie getan hat, weiß ich bis heute noch nicht. Jedenfalls hat sie es getan.
Eines Abends verabredete ich mich mit ihr zur Mittagszeit. Beim Führer der Nahrungsmittelbeschaffungskolonne meldete ich mich krank, damit mein Fehlen nicht auffiel und ich wegen Arbeitsunlust des Parlaments verwiesen wurde. Immerhin konnte ja etwas schief gehen, und ich musste mich nach einer anderen Möglichkeit ins Gebäude zu kommen umsehen. Ich kam also zu unserer Verabredung, zeigte mich der Hundedame kurz, um ihr zu zeigen, dass ich da war, und verbarg mich dann hinter einem Autoreifen.
Pünktlich auf die Minute kam ein schlecht genährter, aber gut gekleideter Mensch auf die Limousine zu. Er öffnete den Schlag, das heißt die hintere Tür, und meine Hundedame sprang ins Freie. „Komm mein Mausi, gleich gibt es was zu fressen“, säuselte er mit süßer Stimme. Die Hundedame sprang an ihm hoch, wedelte wie verrückt mit ihrem rosa Seidenschleifenschwänzchen und bellte, dass mir fast das Trommelfell platzte. Als die Begrüßungszeremonie vorüber war, blieb sie verabredungsgemäß eine Sekunde länger als üblich stehen und zwinkerte mir zu.
Das war mein Zeichen. Blitzschnell schlüpfte ich hinter dem Reifen hervor und krabbelte zwischen ihre Hinterbeine. Ich krallte mich in ihren zottigen Beinhaaren fest und sie senkte ihr Schwänzchen, damit ich nicht von hinten gesehen werden konnte. Dann trabte sie los, immer neben ihrem Herrchen her. Tja, meine Freunde, auf diese Weise schmuggelte sie mich ins Parlament, was ich, ehrlich gesagt, ziemlich anrüchig fand. Lange Zeit liefen wir durch endlose Gänge, bogen in Quergänge ein, benutzten zwei Aufzüge, durchquerten eine riesige Halle. Die Pfoten wurden mir lahm und noch immer trottete die Hundedame fleißig neben ihrem Herrchen her.
„Wie zum Katzendreck soll ich jemals wieder zurückfinden?“, fragte ich mich schon, als plötzlich ein herrlicher Duft in meine Nase stieg.
Plötzlich blieb die Hundedame stehen, knurrte und hob ihr Schwänzchen. Das war wieder mein Signal. Schnell wie ich aufgesprungen war, sprang ich ab, rannte über den Gang und krabbelte in einen hölzernen Kleiderständer.
Die Frau denkt mit, dachte ich noch, als ihr Herrchen auch schon so erbarmungslos an der Leine zog, dass sie quietschend weiterging. Ich wartete eine Weile bis die Luft rein war, dann streckte ich vorsichtig die Nasenspitze auf den Gang.
Schnuppernd versuchte ich herauszufinden, aus welcher Richtung dieser herrliche Duft kam und zog mich dann rasch wieder in mein Versteck zurück.
„Zu gefährlich“, dachte ich.
Plötzlich pochte mir das Herz bis zum Hals. Die Beine knickten mir weg und ich musste mich setzen. Erst jetzt wurde mir bewusst, was geschehen war.
„Thimotheus“, dachte ich bei mir, „jetzt bist du eine innere politische Maus!“
Tom wäre wohl noch immer am erzählen, wenn die Mütze ihm nicht das Wort abgeschnitten hätte.
„Deine Geschichte in Ehren“, sprach sie, „aber meinst du nicht dass es Zeit wäre, an den Fluss zu denken?“
Tom blickte irritiert auf.
„An den Fluss denken?“
„An den Fluss“, nickte die Mütze.
„An den Fluss“, Tom kratzte sich die Nase.
„An den Fluss, so - ach ja -“, murmelte er vor sich hin, „aber nicht ohne Koalition!“
„Meinetwegen auch Koalition“, sprach die Mütze, „aber zuvor möchte ich wissen, wie deine Koalition aussieht.“
„Äh, wie ich vorhin schon sagte, jeder hat eine ganz spezielle…“
„Konkret“, unterbrach die Mütze ihn unwirsch.
„Konkret- ähh.“
Tom stellte sich auf die Hinterpfoten.
„Also ich dachte daran - äh - dass der Stiefel und du - äh...“
Die Mütze hatte keine Lust sich Tom’s Gestammel anzuhören.
„Du willst also, dass wir dir helfen, auf die andere Seite zu kommen.“
„So gesehen hast du nicht ganz Unrecht“, sprach er leicht verlegen.
Die Mütze wollte Tom reizen. Sie wollte wissen, was der Bursche vorhatte.
„Wir sind also nur Mittel zum Zweck. Wo ist dein Beitrag zur Koalition? Oder hat etwa jede Koalition einen Schmarotzer, der sich von den anderen durchziehen lässt?“
Langsam erwachte Tom’s Politikergeist. Er setzte zum Spre-chen an, doch die Mütze schnitt ihm das Wort ab.
„Damit DEIN Frack nicht nass wird sollen WIR DICH übers Wasser fahren.“
Das war zuviel. Tom explodierte:
„Oh nein, Herr Mütz! Beileibe nicht ,Herr Mütz!
Diese Vorwürfe muss ich unbesehen zurückgeben. Es liegt weit unter meiner Würde auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, mich solchen Äußerungen gegenüber rechtfertigen zu wollen. Im Gegenteil! Ich frage ganz unverblümt zurück:
Wo ist Euer Beitrag zur Koalition, Herr Mütz?
Um deutlicher zu werden, wie kommt Ihr auf die andere Seite?“
Die Mütze wollte antworten, doch der einmal in Redefluss gekommene Tom winkte nur mit der Pfote.
„Es sieht doch in der Tat so aus, dass Ihr eigentlich nichts weiter könnt, als euch übers Wasser treiben zu lassen.
Im Gegensatz zu Euch kann ich jedoch schwimmen und lenken. Es wäre für einen durchtrainierten Mäuserich wie mich ein Leichtes, den Fluss zu überqueren. Nebenbei möchte ich bemerken, dass ich in meiner Jugend allerlei Wassersport betrieben habe. In einem Punkt gebe ich Euch allerdings Recht. Mein Frack, wie Ihr meinen Fellsmoking nennt, ist in der Tat zu kostbar, als dass ich ihn mir durch schmutziges Flusswasser versauen möchte.
Doch noch einmal zu Euch, Herr Mütz. Seht Euch den Fluss genau an. Am Ufer fließt er langsam und träge, doch in der Mitte wird die Strömung reißend. Seht dort hin, leicht rechts von uns. Dieser Strudel dort würde Sie auf alle Ewigkeit im Kreise herum drehen. Wenn Ihr überhaupt so weit kämet. Ich vermute eher, dass die Strömung Euch einfach mitreißen würde und Ihr irgendwo weit ab wieder an Land gespült würdet. Mit etwas Glück wäre es sogar das richtige Ufer.“
Tom machte eine kleine Pause.
„Es wäre aber auch denkbar", sprach er leiser weiter, „dass der Stiefel in der starken Strömung einfach kentert. Und was dann, Herr Mütz? - Was dann?
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