»Sport? Hah! Den einzigen Sport, den mein Göttergatte bislang betrieben hat, war Briefmarken sammeln und Angeln gehen. Ich kann nicht glauben, dass er jetzt plötzlich damit anfangen will!«
Ihren Worten war zu entnehmen, wie begeistert sie von der ganzen Sache war, und was sie wirklich davon hielt. Mit Engelszungen und weiteren drei Flaschen Wein wurde meine bessere Hälfte niedergerungen, und als wir schließlich in der Dachkammer auf den Polstern des Seglers lagen, fiel ihr auf, dass ich bislang überhaupt nichts dazu gesagt hatte.
»Alsso, hörma, wieso hassu dassu garnix ssu bemerken ssu gehabt?«, säuselte sie weinselig, und war sich nicht mehr ganz klar darüber, ob sie sich mehr über diese Tatsache als solche oder über die Lähmungserscheinungen ihrer Zunge wundern sollte. »Am Enne lässu mich den ganssen Amend diset-äh…diskudingsda, un wills garnich mitfaaahn?«
»Hmm!«, brummte ich lediglich, denn ich wusste, in diesem Zustand war jede weitere Diskussion vergebens. Mein angeheiratetes Naturereignis drehte sich träge auf meine Seite, packte mich am T-Shirt und fing an, mich heftig zu schütteln.
»Los! Sahag-hicks mir sooofort, ob du mit wissst!«
»Jahahahaha!«, schlodderte ich.
Meine Exverlobte holte tief Luft, hörte aber auf mich zu schütteln. Ganz dicht kam ihr Gesicht an meins heran und sie schaute mir mit leichtem Silberblick tief in die Augen.
»Sssso, alsso du willst mit?! Weissu, was ich dassu nur noch sahagen kann-hicks?«
»Nein!«, staunte ich, denn ich wunderte mich, dass sie überhaupt noch etwas sagen konnte. »Was denn?«
»Hähä! Allso, erstens: ess war gemein mich so unter Allolol ssu setzen! Un sweitens un du wisses nich glaum, ich erlaube dir das! Fahr mit! Aber ich sahag dir-hicks eins, komm mir nich ssurück unnu biss ertrunken. Dasss überleb ich nich! Buhuuu!«
Mit diesen fast nur noch gesäuselten Worten verdrehte sie komplett die Augen, die Lider klappten zu und leise Schnarchtöne kündigten an, dass sie den weltlichen Sorgen entfleucht war.
»Schlaf gut, mein Schatz«, murmelte ich, zog ihr die Decke über und löschte das Licht. Hoffentlich würde sie sich auch morgen noch an ihre Zusage erinnern.
Irgendwann war Ostern, und kurz darauf kam Wolfgangs Anruf. Die BEERS war seeklar und wir sollten am nächsten Wochenende hochkommen. Nichts, was wir lieber täten. Also fuhren wir an die Nordsee!
Im Hafen gab der Skipper mir den ersten Überblick über das Boot. Überrascht aber irgendwie dankbar stellte ich fest, dass Backbord und Steuerbord bei ihm auch da waren, wo ich sie bei mir an Bord zu finden pflegte. Um die Sache abzukürzen, und um ihm zu zeigen, dass er nicht bei Adam und Eva anfangen musste, sagte ich ihm wohl besser, was an Basiswissen vorhanden war.
»Zu vorne sagt man Bug, achtern ist das Heck, und gesteuert wird das Ganze mit dem Knüppel da! Wie primitiv! Oder hat es für das Ruderrad nicht mehr gereicht?«
Wolfgangs Mund klappte wieder einmal auf, die Farbe wich aus dem Gesicht des Skippers, aber er blieb ruhig. Barbara wandte sich hingegen mit einem merkwürdigen Prusten ab und entschwand in die Plicht.
»Der Knüppel da heißt Pinne und damit steuerst du das Schiff sehr viel direkter als mit einer Radsteuerung. Du fühlst den Wind, noch bevor er da ist.«
»Manche hören auch das Gras wachsen«, griente ich unverschämt, machte dann aber schnell wieder ein interessiertes Gesicht. Wir gingen zum Mast und Wolfgang klopfte auf die Bündel der aufgeschossenen Taue.
»Großfall, Vorfall, Baumniederholer, Dirk!«
»Ach! Kommt noch jemand mit?« Suchend drehte ich mich um.
»Wieso?«
»Na, du sagtest doch eben: Dirk!«
»Mensch, das ist das Tau, welches hier über den Masttopp geht und da hinten diagonal nach unten das Ende des Großbaumes hält!«
Ah, ja! Ich hatte begriffen.
»Hast du das mit den Fallen verstanden?«
»Also, ich weiß, dass aus einem Vorfall gelegentlich mal ein großer Fall werden kann. Und wenn Dirk dann die Großschot niederholt …!«
Pfeifend entwich die Luft aus Wolfgangs Lungen.
»Also, alles noch mal von vorn!«
»Zu vorne sagt man Bug!«
Wolfgang winkte ab und wankte ins Cockpit. Mit leisem Tuckern und blubbern erwachte der Diesel irgendwo in den unendlichen Tiefen des Schiffsrumpfes und Bärbel ging sofort auf Manöverstation. Als alle Leinen klar und die Fender geborgen und verstaut waren, glitt der schmucke Backsegler aus dem Otterndorfer Hafen. Wolfgang fuhr grundsätzlich bis zum Ende des Prickenweges, er handelte nach dem Grundsatz: »Bei Einmeterachtzig Tiefgang ist jede Abkürzung ein Risiko.«
Irgendwann übernahm Wolfgangs weiblicher Bestmann die Pinne und der Skipper machte sich ans Segelsetzen. Dabei erklärte er mir noch einmal, wie alles funktionierte. Im Grunde genommen ganz einfach! Alle Leinen, an denen was hochgezogen wurde hießen logischerweise Fall. Nicht Ups oder Zugs, nein, Fall. Und alle Leinen, die zum Cockpit führten und an denen ich schon so oft die Skipper verzweifelt zupfen sah, nennt man Schot. Also entsprechend Großschot oder Vorschot für die entsprechenden Segel. Nun denn, wenn ich mir diese Schote mit den ganzen Schoten und Fallen so durch den Kopf gehen ließ, musste ich gestehen, dass das nicht mein Fall war. Alles klar? Und wenn dann noch der Rigg mit dem Dirk …! Mensch was hatten die beiden denn nun noch miteinander zu tun gehabt?
Ich war froh, dass ich ein Motorboot hatte. Wenn ich mir schon kaum die Namen der tausend Strippen merken konnte, wie sollte ich jemals damit klarkommen, wer mit wem für was zuständig und verantwortlich war. An diesem Tag hörte ich noch irgendwas über einen Engländer namens Cunningham, den ich aber auch nicht zu Gesicht bekam. Der überdimensionale Zahnstocher, der in den Wanten hing war angeblich ein Spibaum, mit dem man den Spinnacker besser durchsetzen konnte. Was ein Spinnacker war, wusste ich wieder, aber wo sollte sich der denn hinsetzen? Alle Segler, die ich bisher getroffen hatte, waren immer froh, wenn die Blase ordentlich stramm im Wind stand. Wieso also setzen? Und dass man den Holepunkt auf der Genua-Schiene in bestimmten Situationen verändern musste, erzählte mir der gnadenlose Skipper auch noch. Ich wäre froh gewesen, wenn hier irgendwo ein Bringepunkt gewesen wäre, der meinem verwirrten Geist die Erleuchtung gebracht hätte.
Mein holdes Eheweib beobachtete von der Plicht aus meine Bemühungen um mehr Verständnis der Sache. Allerdings zeigte sich in ihrem Gesicht ein breites Grinsen, als ich ihr in Gebärdensprache zu verstehen gab, was ich von der Sache hielt. Ich machte die Bewegung des Zündschlüsseldrehens, und dann hob ich einen Daumen hoch. Sie nickte lachend. Wolfgang machte auch irgendein Zeichen nach hinten, das sie aber nicht verstand.
Gurgelnd erstarb der Diesel und im nächsten Moment herrschte absolute Stille.
»Oh, Schiet! Muss der Motor gerade jetzt seinen Geist aufgeben? Wir sind ja mitten im Fahrwasser!«, stellte ich fest und rannte nach hinten. Barbara bekam mich gerade noch am Hemdsärmel zu fassen, sonst wäre ich in Nullkommanix im Niedergang verschwunden gewesen.
»He, wo willst du hin?«, fragte sie erstaunt.
»Maschinenschaden! Nicht gehört? Motor ist aus, mal sehen, ob ich ihn wieder in Gang krieg!«
»Kein Problem! Brauchst nur den Schlüssel zu drehen, dann springt er wieder an. Mann! Das hier ist ein Segelschiff und wir segeln jetzt. Da brauchen wir keinen Motor!«
»Hier an Bord sagt einem ja auch keiner was«, maulte ich und ließ mich auf die Backbordbank fallen.
Wolfgang kam jetzt ebenfalls ins Cockpit und sah mich augenzwinkernd an.
»Na? Ist schon ein Unterschied, was?«
Allerdings! Ich musste zugeben, dass sich Motorboot und Segler in ihrem Fahrverhalten ganz beträchtlich voneinander unterschieden. Hatte ich auf der DODI lediglich ein heftiges Vibrieren im Hintern, spürte man mit dem Achtersteven hier tatsächlich jede sich ankündigende Schiffsbewegung im Voraus. Aus Gewohnheit fing ich auch an, in den Knien zu federn, wenn die BEERS durch eine Welle schnitt. Erst nach einer Weile stellte ich fest, dass sie dabei nicht wippte und meine Knie also auch nichts abzufedern hatten. Stur und beinahe ohne sich zu rühren, ging der Segler durch Wellenkämme, die meine DODI wie einen Spielball hätten hüpfen lassen. Mit mehreren Tonnen Blei tief unter dem Rumpf und der Windlast im Segel lag das Schiff derart stabil im Wasser, da hätte schon mehr passieren müssen, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen.
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