Der Wind trieb sie stetig nach Osten. Ein kleines Boot, einer Nussschale gleich und mehr vom finsteren Willen seiner beiden Insassen auf dem Wasser gehalten denn von seiner Festigkeit. Der Gedanke an Rache ließ es vorwärtsgleiten, hin zu jenem Ort, den sie einst als ihre Heimat kannten.
Niemand würde in den beiden Gestalten die Jungen von einst erkennen. Grausam entstellt, verhärmt vom harten Leben in der Wildnis, waren sie kaum noch als menschlich zu bezeichnen. Ihr Innerstes war es schon lange nicht mehr.
Unerkannt landete das Schiff an heimatlichen Gestaden. Unerkannt verschwanden die beiden in einer anderen Wildnis, nicht weniger hart und grausam als die, aus der sie kamen. Dort lauerten sie. Beobachteten. Warteten. Sie hatten alle Zeit der Welt.
Da war sie . Wieder ritt sie durch die Sümpfe wie schon so oft. Dieses Mal hatte sie das Ungeheuer dabei. Die beiden Schatten duckten sich tiefer zwischen das mannshohe Schilf. Das Ungeheuer hatte übernatürliche Kräfte, genauso wie sie...
Sie ..
Zuerst gehalten für einen Sklavenbastard, dann entdeckt mit zwei Welpen, die ihm so ähnlich waren, ihrem Feind...
Wüste Gedanken jagten durch die zwei Wahnsinnigen. Eines Tages würden sie sie bekommen, allein oder mit den Kleinen. Und mit ihren Mädchen. Bei dem Gedanken fletschte der eine der beiden lüstern die Zähne. Allein diese Vorstellung hielt sie am Leben, hier in den feuchten, von Krankheit und Fäulnis verseuchten Sümpfen.
Sie waren nicht allein. Weit im Süden gab es jene, die sich mit der fremden Herrschaft nicht abfinden konnten, die nur auf die Gelegenheit warteten, eine solche Geisel in die Hand zu bekommen. Unermessliche Reichtümer würden die beiden erwarten, so stellten sie es sich in ihrem Wahn vor. Ein großes Haus, warm, genug zu essen und jede Menge Sklavinnen, die ihnen zu Diensten sein mussten. Jederzeit.
Aber nicht jetzt. Nicht mit dem Ungeheuer an ihrer Seite. Sie hatten Zeit, sie konnten warten.
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Saran – 7 Jahre nach der großen Schlacht von Gilda
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»Diesmal hat ein Sedatschüler sie gesehen. Es sind wirklich zwei, und einer von ihnen ist verkrüppelt.«
»Ich wusste es! Der ganze Unsinn von den Wiedergängern war reines Seemannsgarn! Sie sind es, ganz sicher!«
Althea wechselte einen raschen Blick mit ihrer Ziehtochter Rike, bedeutete ihr mit einem Nicken, den schweren Rührlöffel zu übernehmen, und trat aus ihrer Küche in den Wohnraum, sich Hände und die verschwitzte Stirn in ihrer Schürze abwischend. Es war ein brütend heißer Sommerabend und Kochen trotz ihrer komfortablen, luftigen Küche kein Vergnügen.
Die Männer sahen bei ihrem Eintreten auf. »Es ist also wirklich wahr?«, fragte sie und setzte sich zu ihrem Mann Jeldrik. Ihr Freund Oren, Kommandant der Kämpfer Sarans, war zu Besuch und mit ihm zwei Hauptleute der Festung Sarans. Draußen hörten sie die Jungen kreischen. Sie hatten mit ihren Freunden die Pferdetränke erobert, doch die Fröhlichkeit der Kinder vermochten die Männer nicht zu teilen.
Dankbar nahm Althea einen Becher Wasser von Jeldrik entgegen. Er nickte knapp. »Scheint so, als hätten die beiden Bastarde einen Weg von der Insel herunter gefunden. Du wirst nicht mehr allein in die Sümpfe reiten, verstanden?«
Bei seinem besitzergreifenden Ton funkelte sie ihn warnend an. Sicherlich war es nur die Sorge, die ihn derart knurrig werden ließ, aber vor Dritten brauchte sie sich das nicht gefallen zu lassen. »Ich bin noch nie allein in die Sümpfe geritten, und ich weiß mich sehr wohl zu wehren!«, zischte sie und stellte ihren Becher lauter als nötig auf der Schlafbank ab.
»Du weißt genau, was ich meine! Deine Mädchen sind kein Schutz und Regnar... der wird langsam alt.«
»Und wehren kannst du dich derzeit auch nicht«, fügte Oren grinsend hinzu, was ihm einen bösen Blick von sowohl Althea als auch Jeldrik einbrachte. Die Streitereien der beiden waren in ganz Saran legendär. Wie sagte jemand so schön: ›Die Luft ist voller höllisch scharfer, fliegender Messer, und man meint, gleich fließt Blut. Dabei necken sie sich nur.‹
Sie mussten denn auch lachen. »Ich weiß«, grinste Althea und streckte ihr schmerzendes Kreuz. Nur noch wenige Wochen bis zur Geburt ihrer Tochter. Diese Schwangerschaft kam ihr länger vor als die beiden vorhergehenden. Ihre Tochter war ein richtiges Temperamentbündel und hielt sie Tag und Nacht in Atem.
Ein lauter Schrei und gleich darauf das durchdringende ansteigende Geheul eines kleinen Kindes erinnerte sie daran, dass ihr übriger Nachwuchs auch nicht gerade harmlos zu nennen war. »Herrje!« Althea hievte sich hoch und eilte nach draußen. Die Art des Geheuls sagte ihr, dass es schmerzhaft war.
»Was ist hier los?«, rief sie in den Garten und stemmte die Arme in die Hüften. Ein Haufen Kinder sprengte auseinander und gab den Blick auf ihren Jüngsten frei. Die ‚Ich-war’s-nicht-Mienen’ der anderen sagten ihr genug. »Bjarne! Was ist passiert? Was habt ihr nun schon wieder angestellt?« Sie eilte zu ihm.
Bjarne rappelte sich gerade wieder auf. Blut schoss aus seiner Nase. »Kjell hat mich gesuuhuuubst!«, heulte er.
»Stimmt doch gar nicht!«, protestierte sein älterer Bruder, und die anderen Kinder nickten eilfertig. »Bani ist auf den Rand geklettert und ausgerutscht. Ich hab’ ihm gesagt, dass er das nicht...«
Althea brachte ihm mit einem Blick zum Schweigen. »Ihr geht jetzt besser nach Hause, es ist eh gleich Zeit zum Essen«, sagte sie und half ihrem Jüngsten auf. »Zieh dir trockene Sachen an, Kjell, und dann hilfst du Rike, verstanden?« Mit hängenden Schultern trollten sich die anderen, und Althea konnte sich in Ruhe Bjarne widmen. »Warum machst du auch immer wieder solche Sachen? Kopf runter!«, befahl sie und legte ihm ein kühles Tuch auf den Nacken. Innerlich seufzte sie. Ihren Jüngsten konnte sie kaum aus den Augen lassen. Seit er laufen konnte, kletterte er auf alles rauf, riss alles herunter, machte Dinge kaputt, einfach so. Ein Übermaß an Kraft hatte er und wollte mit aller Macht beweisen, dass auch er besondere Dinge konnte wie sein wortgewandter, blitzgescheiter älterer Bruder.
»Siehst du, es hat schon aufgehört zu bluten«, tröstete Althea und drückte ihn an sich, auch wenn sie damit höchst wahrscheinlich ihr Hemd voller blutiger Flecken machte. Er schlang seine kleinen Arme um sie und kuschelte sich an sie. Noch suchte er die Nähe seiner Mutter, aber damit wäre es wohl schnell vorbei, das ahnte sie. Während der sechsjährige Kjell das Ebenbild seines Vaters war, glich der vierjährige Bjarne, den alle bis auf seine Eltern nur Bani nannten, mit Altheas langen Zügen und Augen und Jeldriks blonden Haaren eher seinem Urgroßvater Regnar, dem alten Seeräuber. Sein Temperament hatte er auf jeden Fall geerbt, dachte sie, drückte ihm noch einen dicken Kuss auf die Stirn und schickte ihn mit einem Klaps nach drinnen. Sie selbst aber setzte sich auf die Bank neben der Stalltür und gönnte sich einen ungestörten Augenblick in ihrem schönen üppigen Garten.
Heerführer Bajans ehemalige Hütte war mittlerweile ein richtiger Hof geworden. Auf einem angrenzenden Stück Land hatten Althea und Rike einen Gemüsegarten angelegt, etwas weiter fort hielten sie Kühe, Ziegen und Schafe. Es gab neben dem Küchenanbau einen für ihre Sklaven – das Wort mied Althea und nannte sie lieber Diener -, Lagerräume und einen Anbau, wo sie ihre Patienten empfing. Ein eher bescheidenes Haus sei es immer noch, hörte sie die Saraner hinter vorgehaltener Hand flüstern, gemessen an dem sagenhaften Reichtum, den sie Jeldrik und ihr zuschrieben. Nun, sagenhaft war er nicht, aber sie konnten gut davon leben. Das meiste von Jeldriks Vermögen steckte in Schiffen und Lagerhäusern, in seinem stetig größer werdenden Handelshaus, wie es ein Gildaer bezeichnet hätte. Allein von ihrer Heilerinnentätigkeit und den Pachteinnahmen des florierenden Hurenviertels konnte sie ihre Familie gut ernähren, und Jeldrik war nicht zu stolz, sich auf seine Frau zu stützen. Es verschaffte ihm Spielraum für riskantere Unternehmungen, so wie die Expedition, die der alte Seeräuber Regnar und Schiffsführer Ohin, Orens Vater, gerade in den hohen Norden unternahmen, wo sie nachforschen wollten, ob dort Völker SEINEM Ansturm entkommen waren. Mehrere von Jeldriks Schiffen begleiteten sie, und sollte auch nur eines verloren gehen, wäre ein Vermögen fort. Umgekehrt aber auch gewonnen, wenn sie mit kostbaren Pelzen und Fellen oder auch nur mit neuen Erkenntnissen für ihre stetig größer werdende Karte der Welt jenseits des Meeres heimkehrten. Sie erwarteten sie frühestens im Herbst zurück, vielleicht würden sie aber auch gleich weiter nach Westen segeln und erst im nächsten Frühjahr zurückkehren.
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