In ihrem Bilderwahn trachtete sie stets nach meiner Bewunderung, wann immer wir uns trafen. Vor jeder Vereinigung musste ich ihrer Malerei Huldigung zollen. Ich äußerte meine gut gemeinten Ansichten zu ihren Kreationen und mitunter las ich ihr meine Gedichte vor, wobei sie mich mehr als einmal unterbrach. Dass mein Werk eine derartig schöne Zeichnung von mir schmücken würde, erfüllte mich mit Dankbarkeit. Ich gab Johanna auf der Wiese zur Belohnung einen Kuss, der sofort dahin führte, dass mein Schatz mit seiner kräftigen kleinen Hand zwischen meine Schenkel griff und in mir eine Kanonenkugel zum Einschlag brachte. Das Liebesspiel mit ihr glich einem Kampf, in dem wir beide lichterloh von Feuersbrunst übermannt wurden. All die zärtlich liebenden Frauen vor ihr hatten niemals solch verheerende Flammen in mir entzündet.
Sie sprach kaum ein Wort, nachdem wir uns angekleidet und uns auf den Heimweg begeben hatten. Vor ihrer Hütte bat sie mich, sie allein zu lassen und händigte mir ohne Abschiedskuss meine Zeichnung aus. Tote, gefühllose braune Augen blickten aus einer ernsten Miene ins Leere und ich hatte nicht die Macht, Johanna in eine schönere, wärmere Welt zu holen. Eine Welt meiner Fantasie, in welcher sie sich von mir auf Rosen betten ließ. Wohl ahnend, dass ich unerfüllbaren Träumen hinterher jagte, ließ ich ein paar Exemplare meines Gedichtbands in einer kleinen Buchdruckerei in Wedding anfertigen und löhnte dafür aus eigener Tasche.
Mit meinem neuen Büchlein unternahm ich einen Streifzug durch die Berliner Bohème. Vor aller Welt posaunte ich heraus, dass die schwarze Johanna die Zeichnung auf der Klappe fabriziert und mir damit die größte Ehre meines schnöden Dichter-Daseins erwiesen hatte.
Als ich an einem Abend mit meinem Freund Heinrich bei Wein und Gesang in einer Spelunke saß, räusperte er sich und sagte: „Ich möchte mich vor dir noch einmal in Ehrlichkeit üben, werter Kamerad. Du hast verdient, ein Weib zu finden, das deiner würdig ist, doch lasse die Finger von der schwarzen Johanna. Diese Höllenbrut ist Stammgast in den dunkelsten Opium-Höhlen von Berlin und bietet ihren Leib als Ware feil. Du treibst dich mit einem herzlosen, versoffenen Freudenmädchen herum!“
Mein Magen zog sich zusammen, mein Herz schlug schneller und mein Kopf drohte zu zerschellen. Alles, was Heinrich behauptete, traute ich Johanna auch zu. Sie war eine Vogelfreie, ein gefallenes Mädchen, das zwar eine begnadete Künstlerin, aber dem Schnaps und der Lust zu böse ausgeliefert war, um nur einen einzigen Mann zu lieben. Ich hatte mich zum Narren gemacht. Mir selbst untreu geworden, fraß ich immer wieder von den verbotenen Früchten mit dem süßen Geschmack, der sich während Johannas Abwesenheit in Bitterkeit verwandelte und mich zur mörderischen Raserei bringen konnte. Wäre ich der schönen Worte nicht fähig gewesen, hätte mich das Gift der schwarzen Johanna wahrscheinlich getötet.
„Ich meine es nur gut“, unterbrach Heinrich leicht zögerlich mein Schweigen. „Ich selbst war töricht genug, mich von dieser Schlange beißen zu lassen. Sie hat einen teuflischen Charme, dem sich kein Mann lange entziehen kann. Nur wenn sie alle haben und demütigen kann, ist sie glücklich.“
Was hörten meine gekränkten Ohren da? Meine Hände ballten sich zu Fäusten, mit der rechten schlug ich Heinrich mitten ins Gesicht. Er kippte nach hinten mit dem Stuhl über und stürzte mit dem Hinterkopf auf den Fußboden. Ein Aufschrei schwappte durch unser Stammlokal, wo wir einst ausgelassen gelacht und über die Dichtkunst sinniert hatten. Nun eilten die anderen Gäste meinem Freund zu Hilfe. Viele kannten uns und erahnten längst, wer mich immer wieder zum Schreiben inspirierte und mich Stück für Stück dem Wahnsinn verfallen ließ. Schreckerfüllt beugten sich die Leute über Heinrich, der sich dank glücklicher Fügung in diesem Unglück noch rührte und schmerzverzerrt stöhnte. Ich selbst bereute meine Tat zutiefst und versuchte ebenfalls, den Geschlagenen aufzurichten. Wie konnte ich meine Schuld jemals begleichen? Worte allein würden dafür nicht ausreichen, dachte ich verzweifelt, während ich schrie: „Heinrich, das hab' ich nicht gewollt! Bitte verzeih' mir!“
Es half nichts. Der Wirt packte mich von hinten, zerrte mich an meinem Hemdkragen in die Höhe und warf mich vor die Tür. Der Hüne mit dem ewig geröteten Gesicht war mir an Kraft weitaus überlegen. Er schleuderte mich mit Wucht aufs Kopfsteinpflaster und brüllte mir nach: „Lass dich nie wieder blicken, Flitzpiepe!“
Fast wäre ich vor ein fahrendes Fuhrwerk gestürzt und den Pferden unter die Hufe geraten, doch ich konnte mich gerade noch rechtzeitig zur Seite rollen. Am Ende meiner seelischen und körperlichen Kräfte, zog ich mich aus dem Straßendreck und brüllte meinen Schmerz in die Sommernacht. Ein einziger gellender Schrei, welcher das Volk zwang, sich nach mir umzudrehen. Geschwind bog ich in die nächste dunkle Gasse ab und ließ mich von der Stadt verschlucken. Auf tausend Umwegen irrte ich heim, sorgte mich schuldbewusst um Heinrich und verfluchte Johanna bis in alle Ewigkeit. Meine Liebe für diese Dirne war dem Tode geweiht. Das wusste ich jetzt.
Heinrich hatte den Sturz überlebt, wie ich einige Tage später von unserem gemeinsamen Buchdruckmeister erfuhr. Dennoch gab es für ihn keinen Grund mehr, mir weiter in Freundschaft zugewandt zu sein. Ich sah mich als kompletten Versager – im Leben, in der Schreiberei und ganz besonders in der Liebe!
Aber was sollte ich machen, das Leben musste weitergehen! So betrat ich eines Abends ein Wirtshaus im Nikolaiviertel, wo immer reichlich Künstler- und Gauklervolk zugegen war. In meiner Tasche steckte mein Büchlein mit dem Titel „ Die Feuermauer von Berlin “. Obgleich ich Johanna als Mensch verdammt hatte, hielt ich ihre Zeichnung auf dem Gedichtband immer noch hoch in Ehren. Ich wollte mich unter die Leute mischen und meine Verse vorlesen. Dafür hatte ich mir in mehreren Spelunken Stippvisiten organisiert. Der Taler wollte zwar nicht recht rollen, doch wenn die anderen dem Wein frönten und an meiner Dichtung Gefallen fanden, blühte mir wenigstens das Herz auf. Um die 20 Zuhörer saßen vor dem Tisch, an dem ich las, als plötzlich ein kalter Wind durch die Gastwirtschaft wehte:
Ich liebte dich, Mädchen aus der Hölle
Ich liebte dich auch, als Satan deinen Leib bestieg
Kurz hielt ich inne, atmete tief durch und blickte dabei von meiner Schrift auf. An meinem Platz vorbei schritt Johanna im Arm eines preußischen Generals. Der Kragen ihres Sackkleides war bis zum Ansatz ihrer Brust aufgeknöpft und bot einen unzüchtigen Anblick. Zusammen fläzten sich die beiden auf die einzigen noch freien Stühle vor meiner Nase, wobei die Satansbraut mich regelrecht mit ihren dunklen Glutaugen aufspießte und mich dabei mit Kreide porträtierte. Offensichtlich versuchte sie, mich aus der Façon zu bringen. Im Innern revoltierte ich, dennoch bemühte ich mich, weiter ruhig und besonnen vorzutragen. Ich rezitierte mit ihr und dem Kerl in den Augenwinkeln meine Verse und schmetterte ganz am Ende eine Lobeshymne auf die Illustratorin: „Besten Dank muss ich nun der brillanten Zeichnerin Johanna zollen. Johanna, ich freue mich, dass Ihr gekommen seid. Ihr seid eine große Künstlerin. Ich werde Euch auf ewig dankbar sein.“
Johanna grinste mich spöttisch an, während sich das eine oder andere Gesicht ein Lachen nicht verkneifen konnte und laut applaudierte. Aus dem Klatschen heraus warf sich mir plötzlich meine Geliebte in die Arme, küsste mich so zärtlich wie ein junges Mädchen und schwor mir vor den Ohren aller ihre Liebe und Treue bis zu unserem Ende.
Nein, liebe Leser, die Ihr mich tapfer bis zu dieser Stelle begleitet habt! So süß und schön sollte unsere Geschichte nicht enden. Ein ganz anderes Los war für Johanna und mich vorbestimmt. Dieser harten Macht des Schicksals beugten wir uns sogar freiwillig!
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