Ich fragte sie nicht, was ihre verlassene Tochter von solchen Manieren halten möge, denn insgeheim wollte ich mit Johanna das gleiche anstellen.
Sie servierte mir nach der Suppe ein schwarzes Gebräu, das süß und gleichzeitig bitter schmeckte. Schon nach einem Glas fühlte ich mich wohlig berauscht und fragte meine neue Bekanntschaft nach den Zutaten.
„Nun, mein Lieber, das bleibt mein Geheimnis. Erinnere dich einfach an 'Schwarze Johanna', sobald dieser Abend Vergangenheit ist“, sagte sie keck. Sie schenkte mir sofort nach. Weit feuriger als der Schnaps brannte auf meiner Zunge das Verlangen, Johanna hemmungslos zu küssen. Bevor sie selbst mich in ihren Zaum nahm, zeigte sie mir ihre Gemälde – eines nach dem anderen – und wollte meine Meinung zu ihrer Kunst wissen. Johanna malte die Stadt in all ihrer Verderbtheit, portraitierte kopulierende Ratten zwischen Mülltonnen und sogar einen Soldaten mit offener Wunde am Bein. Vor allem aber fand sie Gefallen am männlichen Akt mit prall aufgerichteter Männlichkeit.
„Wer steht dir dafür Modell?“, schoss es aus mir heraus.
Johanna behauptete frech grinsend: „Jeder, den ich für hübsch genug befinde. Tagelöhner, des Kaisers Gesandte, Soldaten ...“
Im Schein der Kerzen zog sie mich an ihre Brust und rammte mir hungrig ihre Zunge in den Mund. Sie küsste mich so leidenschaftlich wie sie malte und riss mir sogleich das Hemd vom Leib. Angesteckt durch dieses Feuer, zog ich Johanna mit fiebrigen Händen das Sackkleid über den Kopf und erstarrte angesichts ihrer prallen Brüste, welche ihr gewelltes Ebenholz-Haar zärtlich umspielte. In ihr lebte die Schönheit einer spanischen Esmeralda, ein Feuer, dessen Brunst mich schon bald verbrennen würde. Ich dürstete danach, in den Armen dieser Frau zu dichten. Sie hatte die inspirierende Kraft, meine Kunst zu voller Blüte zu bringen.
„Nimm mich!“, zischte sie wie die Schlange im Paradies. Ihre Küsse schmeckten nach heißem Apfel und ich kostete und kostete, wollte mehr davon.
Am nächsten Morgen erwachten wir eng umschlungen, Johannas schwarzes Haupt ruhte an meiner Schulter. Ihre „Schwarze Johanna“ hatte uns trunken gemacht und mir dennoch die Kraft verliehen, sie zu lieben. Das Feuer, das in mir zum Leben erweckt worden war, erfüllte mich jedoch plötzlich mit Furcht. Irgendwo weit weg von unserem Geschehen schrie ein einsames Kind nach seiner Mutter. Ein verlassener Gemahl grämte sich, während ich mich mit der untreuen Gattin verlustierte. Wie zuvor der fahrende Fuselhändler oder die anderen schlimmen Männer, die zu Gemälden geworden waren und unser Liebesnest von Johannas Leinwänden aus beobachteten. Ich würde ihnen bald als Ansammlung von Pinselstrichen Gesellschaft leisten und nicht mehr sehen, wie meine nächtliche Flamme dem nächsten Herrn ihr Süppchen kocht. So löste ich mich aus ihren Fängen und schlich mich fort, ehe das Tageslicht Johannas Augen kitzelte.
Ich rannte in die kühle Morgendämmerung. In meinem Kopf stiegen heiße Worte auf. Oh Trugbild einer Nacht, das meine Lippen mit Gift benetzte, töte mich in der Folterkammer deiner lodernden Lust …
Der Duft meiner Muse benebelte noch immer meine Sinne und wollte meiner Nase gar nicht mehr entweichen. Sie roch wie aus 1001 Nacht, nach Blüten und Gewürzen, deren betörend schwere Note ich nie zuvor inhaliert hatte. Johannas mannigfaltiges Parfum brachte mich zum Taumeln. Träumerisch wanderte ich über Stunden von Rixdorf nach Wedding, unschlüssig, ob ich umkehren oder zurück in sichere Gefilde marschieren sollte. Ich folgte an jenem Tag der schützenden Stimme in meinem Bauch, die mich geradewegs in meine Kammer begleitete wie eine Mutter ihr auf Irrwege geratenes Kind. Warum nahm ich mir nicht endlich ein treues Weib? Eines von vielen, das meine Strümpfe stopfte, mir das Essen bereitete und meinen Kindern das Leben schenkte? Aus welchem Grunde ließen mich solche Frauen kalt? Ich war doch selbst nur ein einfältiger Dichter, der sich sein tägliches Brot mit niederen Schreibarbeiten verdienen musste. Vielleicht ein Mann mit Gefühl, aber kein Ernährer für Weib und Kinderschar. Ich hatte schon so manche Frau beglückt, die meisten waren leichte Mädchen, von denen einige mich in meiner Schreiberei beflügelten. Keine jedoch inspirierte mich mit solch dichterischem Reichtum wie Johanna. Ich schrieb mir die Seele aus dem Leib. Mein Geist und mein Körper verlangten ungeachtet meiner Furcht, bald wieder aus dieser warmen Quelle zu schöpfen.
Schon bald lungerte ich am Landwehrkanal herum – genau an jener Stelle, wo Johanna mein Porträt gemalt hatte. Ob sie sich an mich erinnerte, falls sie dem Bild in ihrer Hütte noch Beachtung schenkte? Zu meinem Bedauern hielt sie sich fern von dem Ort, wo ich auf neue dichterische Eingaben wartete. Ich wurde rasend vor Sehnsucht und begab mich auf Wanderschaft nach Rixdorf. Vielleicht sollte ich Johanna den Hof machen. Als Eheleute könnten wir uns für den Rest unserer Tage gemeinsam der Kunst widmen, jeder auf seine persönliche Weise, fantasierte ich, während mich meine Füße bis zur Schwelle ihrer Baracke trugen. Ich klopfte und spitzte die Ohren. Zuerst vernahm ich nichts, dann ein leises Wimmern.
„Johanna!“, rief ich. „Bitte öffne die Türe!“
Das Geheul nahm an Lautstärke zu. Ohne abzuwarten, drang ich in die Hütte ein und wurde von einer Wolke aus Schnaps- und Terpentin-Dämpfen erschlagen. Auf ihrem Nachtlager krümmte sich Johanna wie ein verwundetes Tier, das lange Haar hing wirr in ihr kreidebleiches Gesicht.
„Was ist mit dir?!“, tat ich fast einen Aufschrei und kniete in meinem Schreck an ihrer Seite nieder.
„Du bist zurückgekommen!“, schluchzte sie. „Dann bleib' jetzt bei mir!“
„Solange du es wünschst“, sagte ich, legte mich neben Johanna und schloss sie in meine Arme.
Von ihren selbst gebrannten Schnäpsen berauscht, war meine Geliebte von einem fahrenden Pferdewagen auf einen Stein am Wegesrand gestürzt und hatte sich dabei die Rippen gebrochen. Zu ihrem Glück kam wenig später ein fahrender Heiler des Weges, lud sie auf seinen Karren und brachte sie zurück in ihr bescheidenes Heim, wo sie seitdem ihre Schmerzen mit noch mehr Schnäpsen betäubte.
„Ihr braucht Ruhe und müsst Euch dreimal täglich mit meiner Kräuter-Tinktur die Rippen eincremen“, hatte der Heiler ihr verordnet.
Johanna bat mich, den Tiegel vom Tisch zu holen und ihr zu helfen, die Anweisung zu befolgen. „Entkleide mich und creme damit meinen Leib ein“, flüsterte sie. „Ich kann mich ja selbst kaum rühren.“
Es erfüllte mich mit Wohlgefallen, erneut ihre Haut berühren zu dürfen, obwohl Johanna krank auf ihrer Matratze kauerte. Ihre Hilflosigkeit war wie Wasser auf meine Mühlen. Ich spürte den Drang, für sie da zu sein, sie zu hegen und zu pflegen wie die schönste und teuerste aller Rosen. Achtsam zog ich ihr das nach Schnaps stinkende Sackkleid über die Ohren, tauchte meine Fingerspitzen in die Heiltinktur und cremte damit die weiche Haut über ihren lädierten Rippen ein. Johanna begann wie ein Kätzchen zu schnurren.
„Oh ja! Zum Teufel, dass wir jetzt nicht der Lust untertan werden können!“
Wahrlich, ich hatte genau den gleichen Wunsch wie Johanna. Ihre Liebeslaute klangen noch immer wie Musik in meinen Ohren. Nun würde sie unter mir Todesqualen erleiden. Nein, meine schwarze Johanna tat besser, an meiner Seite zu ruhen. Wir schmiegten uns aneinander und ließen unsere Münder miteinander verschmelzen. Nach unzähligen Minuten voller heißer Küsse gruben sich ihre Zähne in meine Lippen. Wie ein gieriges Tier biss sie sich an mir fest. Ich meinte, mein eigenes Blut zu schmecken und wurde von ungezähmter Leidenschaft heimgesucht. Johanna fügte sich ein in meinen Liebestaumel, bis ein Schmerzensschrei aus ihrem Munde unserem Treiben ein jähes Ende bescherte.
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