1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Sie bat Coline, dass sie ihr folgen sollte. Bereitwillig nahm sie an. Der Weg führte durch weitere Gänge, bis zu einem beheizten Raum. Dort hausten sie. So langsam kamen sie ins Gespräch. Nadja wollte einiges wissen. „Du bist bestimmt die Neue! Das Biest hat viel von dir geredet.“ Coline fragte verwirrt: „Welches Biest?“ „Na du weißt schon, die Köhler!“ „Ach du meinst die Ratte.“ „Ratte, Biest! Wo ist der Unterschied? Jetzt sag mir doch erst mal, warum du hier bist.“ Coline versuchte ihr auszuweichen. „Ich? Ich habe nur einen kleinen Fehler gemacht. Wer sind eigentlich deine Mitbewohner?“ Nadja drehte sich ihnen zu und sagte: „Das sind meine Kumpels. Kommt raus. Das ist Steffen, Markus und sie heißt Belinda. Dann ist da noch Sven. Wir sind sozusagen der Abschaum der Anstalt.“ Coline sah sie sich genauer an. Jeder von ihnen schien schon viel Leid erfahren zu haben. Coline fragte: „Warum versteckt ihr euch hier unten?“ Nadja bot Coline einen Platz an und meinte: „Wenn du etwas Zeit hast, dann erzähle ich es dir.“ Gespannt setzte sich Coline auf eine staubige Matratze und lauschte.
„Es war nicht immer so schlimm wie jetzt. Als ich hierher kam, machten sie sich noch die Mühe uns was beizubringen. Dann tauchte plötzlich dieses Weib auf und alles wurde anders. Es dauerte nur zwei Monate, bis wir gar nichts mehr durften. Sie stellte so viele Regeln auf, dass sich keiner daran halten konnte. Und wenn einer etwas angestellt hat, dann hat sie ihn regelrecht gefoltert.“ Coline wollte Gewissheit und fragte: „Wie hat sie euch bestraft?“ Nadja stand auf und machte ihren Rücken frei. Dann drehte sie ihn Coline zu. „Sieh es dir genau an. Das wird deine Zukunft sein.“ Coline erschrak. Nadjas Rücken färbte sich von Gelb über Rot bis hin zu tiefem Schwarz. Blutergüsse ohne gleichen. Dazwischen verteilten sich blutige Striemen und Narben älterer Verletzungen.
Nadja fragte: „Kannst du dir das vorstellen?“ Coline wurde bleich. Sie hakte nach: „Was hast du getan?“ Nadja sah sie verwundert an. „Getan? Ich habe gar nichts getan. Ich habe ihre Befehle ignoriert. Es war einfach zu viel. Ich wollte nicht jede Sekunde meines Lebens arbeiten. Ich habe nur einen Trumpf. Kurz bevor ich hierher kam, habe ich meinem Freund über die Schulter gesehen. Er hat hier die Renovierung geleitet. Da habe ich mir auch mal die Pläne ansehen können und daher weiß ich von dem Labyrinth.“ Colines Neugier wuchs. „Und jetzt versteckt ihr euch hier unten? Warum suchen sie euch nicht?“ Nadja schmunzelte ein wenig. „Das hat einen einfachen Grund. Deine sogenannte Ratte fürchtet sich vor dem Labyrinth. Sie behauptet immer, es würde ein Monster in diesen Gängen lauern und es würde alle Eindringlinge zerfleischen.“ Coline fiel sofort der Name zu diesem Monster ein. „Arantino!“ „Was? Woher kennst du diesen Namen?“ rief Nadja erschrocken und Coline lenkte ab. „Habt ihr dieses Monster schon Mal gesehen oder gehört?“ Alle schüttelten die Köpfe. Nadja spürte, dass Coline mehr darüber wusste und fragte: „Woher weißt du von diesem Dämon. Du bist doch grade erst gekommen?“ Coline antwortete trocken: „Sagen wir einfach, dass ich ihn kenne. Ich habe ihn gerufen, wegen mir wandelt er in diesen Gängen.“ Ungläubige Blicke musterten Coline und sie wusste, jetzt musste sie vieles erklären. Coline versuchte wieder abzulenken. „Wenn sich die Ratte nicht hier runter traut, warum holt euch dann nicht ihr Gorilla David?“ Steffen gab ihr darauf eine einfache Antwort. „Bestechung und Gefälligkeiten.“
Plötzlich fühlte Coline einen bestialischen Schmerz. Ihre Schulter brannte wie Feuer. Sie fasste an diese Stelle und verzerrte ihr Gesicht. Nadja sprang auf, um ihr zu helfen. Coline wehrte sich heftig und dabei riss ihr Nadja das Hemd von der Schulter. Sofort entdeckte sie die Tätowierung und rief: „Du bist das? Deinetwegen müssen wir uns verstecken!“ Coline starrte erschrocken in die grimmigen Gesichter. Sie fragte kleinlaut nach, was sie meinte und Nadja machte es ihr unmissverständlich klar. „Mit dem Tag, als diese Ratte hier auftauchte, hielt sie jedem das Buch mit deinem Zeichen unter die Nase. Sie drohte uns mit tausend Qualen, wenn wir nicht gehorchten. Wir wussten nicht, was sie wollte, und machten weiter wie vorher. Schnell lagen wir auf der Folterbank, nur weil sie wütend auf den Schreiberling war. Sie schwor, dass es kein Ende gibt, bis sie ihn gefunden hat.“
Coline wusste, dass das Leid der anderen nur beendet werden konnte, wenn sie vor Johanna auf die Knie fiel. Doch das wollte sie auf keinem Fall. Da ließ sie nicht mit sich reden.
Sie trat den Rückzug an. Nadja brüllte ihr noch hinterher: „Wo willst du hin? Hier sind überall Bewegungsmelder und Fallen.“ Doch Coline hörte sie nicht mehr. Sie wollte so schnell wie möglich weg. Eilig stürmte sie durch die Gänge und kletterte über viele Leitern nach oben. Sie stolperte über einen Draht und stürzte. Erschrocken rappelte sie sich auf und lief weiter. Sie erreichte eine dicke Holztür mit Eisenbeschlag. Sie ging hindurch und stand plötzlich auf einer Dachterrasse. Unten im Hof regte sich etwas und Coline wollte es genauer wissen. Sie näherte sich der Brüstung. Da stieß sie gegen ein Podest aus Metall. Sie betrat es und ging einen Schritt weiter. Als sie in der Mitte ankam, stand es plötzlich unter Strom. Schwache Stromstöße durchfuhren Colines Leib. Wie gebannt blieb sie auf der Platte stehen. Sie konnte sich nicht mehr bewegen. So sehr sie sich auch bemühte. Der Strom wurde immer stärker und plötzlich durchzuckte sie ein so starker Stoß, dass sie zusammenbrach. Sie klebte förmlich darauf.
Nur wenige Sekunden später kam Nadja zu ihr und sah das Unglück. Nadja kannte die Folgen und verschwand so schnell es ging. Sie hatte schon am eigenen Leib erfahren, was passierte, wenn David kam. Schon tauchte er auf. Er schaltete den Strom ab und wartete, bis Coline wieder zu sich kam. Dann hockte er sich neben sie und legte seine Hand unter ihr Kinn. Er hob ihren Kopf an und sagte ihr direkt ins Gesicht: „Wieso tust du so etwas? Du hast gegen Paragraph 41 verstoßen. Weißt du, welche Strafe darauf steht?“ Er baute sich vor ihr auf, streckte ihr die offene Hand entgegen und forderte: „Gib mir die Ringe!“ Coline wich ihm aus. Er trat einen Schritt näher, packte zu und beförderte sie unsanft zu einer winzigen Kammer, gefüllt mit stinkendem Abfall und totem Ungeziefer. Nur ein Luftloch gab es, das wenig nützte. Er stieß Coline hinein und verriegelte die Tür. Der Sauerstoff wurde immer knapper, dann tauchten auch noch ein paar Ratten auf und fraßen den Dreck. Coline spürte ihre Körper und hörte das Quieken. Immer widerlicher wurde der Gestank. So extrem, dass sich Coline mehrmals übergab. Das hastig verschlungen Essen spritzte auf den Abfallhaufen. Gleich darauf überkam Coline ein starkes Verlangen nach Flüssigkeit. Doch in dieser Kammer gab es kein Wasser. Coline sah überhaupt nichts, sie roch nur den fauligen Gestank.
Ihr Durst wurde immer quälender. Wieder tauchte eine Ratte auf und Coline schnappte zu. Sie erwischte sie am Schwanz. Das erschrockene Tier biss nach ihr, doch Coline ließ nicht los. Mit der anderen Hand packte sie die kreischenden Ratte am Kopf und drehte ihr den Hals um. Jetzt zögerte sie keine Sekunde mehr und rammte ihre Zähne in das Tier. Sie riss ein Stück heraus und saugte sie aus. Es schmeckte widerlich, doch es half nichts. Sie brauchte etwas Flüssigkeit. Coline ließ den leblosen Körper fallen. Sie legte ihre Stirn auf die Knie und weinte sich in den Schlaf. Sie bemerkte nicht, dass David zurückkam. Mit finsterer Miene stand er in der Tür. Seine Arme lagen vor seiner starken Brust und er grinste schadenfroh. David beugte sich runter und griff nach Colines Arm. Er wollte sie hochziehen, doch da merkte er, dass sie eiskalt war. Er ließ sie los und im gleichen Moment fiel sie um, blieb aber so zusammen gekauert, wie sie saß. David erschrak. Sein erster Gedanke war, dass Coline an Unterkühlung starb. Doch sie lebte noch. Er hob sie auf und schleppte die steif gefrorene Frau in ein Krankenzimmer, zwei Etagen unter der Erde. Dort legte er sie auf eine Pritsche und deckte sie zu.
Читать дальше