»Und da brauchst du mich, Junge? Hast du bei dir da oben keine Quelle?«
»Keine, die so clever ist wie du. Du hast den richtigen Riecher und weißt, wo du suchen musst.«
»Schleimer«, lachte Castille »So hat mich dein Vater auch immer gekriegt. Ich schau mal, was ich in den Archiven von euren Tageszeitungen so finde. Was habt ihr da? Den Portland Observer? Welche ist noch wichtig?«
Sullivan dachte kurz nach. »Die Portland Tribune, denk ich mal, und dann gibt’s noch kleinere Zeitungen, wie die ›Willamette Week‹ oder ›The BEE!‹ und verschiedene Internet-Blogs wie ›The Oregonian‹ und so.«
»Okay, bis wann brauchst du die Informationen?«
»Bis gestern!«
Castille lachte. »Alles klar, Großer«, dann legte er auf.
Einen kurzen Moment später wurde die Eingangstür aufgestoßen und Bart, mit verkatertem Schädel, tauchte im Türrahmen auf. Kurze weiße Stoppelhaare zierten seinen runden bayrischen Schädel. Er hatte früher für eine deutsche Firma Brauanlagen in alle Welt verkauft, bis er vor einigen Jahren durch Heirat hier gestrandet war. Die Ehe scheiterte. Seine Frau zog weg. Nach Seattle. Bart ist geblieben. Wie auch sein Rufname, die Kurzform von Bartholomäus, weil den keiner so richtig aussprechen konnte.
»Was treibst du heute?«, fragte Sullivan Bart, als der an den Tresen trat. Er schenkte es sich, ihn auf sein ›Mal wieder montags Zuspätkommen‹ anzusprechen. Bart hielt es mittlerweile für die montägliche Selbstverständlichkeit. Es war zu einem Ritual geworden. Und Carl Sullivan hat es hingenommen.
Bart grummelte nur: »Mahlzeit.« Er sah Sullivan mit seiner miesen Montagslaune an und fragte mürrisch: »Was meinst du mit, was treibst du heute so?«
Sullivan war nicht klar, was daran nicht zu verstehen war. »Na gut«, sagte er und seufzte. »Dann stell ich die Frage anders: Setzt du heute endlich den Sud an?«
»Was soll ich sonst machen, Sully?«, brauste Bart auf. »Ohne Brauen kein Bier, ohne Bier kein ›Pints‹.«
Sullivan zählte innerlich bis drei. Dann sagte er friedfertig: »Ist ja gut. In welchem Klub hast du gestern gespielt?«
Bart war Bassist in einer Amateur Bluesband. Sie musizierten aus Spaß an der Freude, konnten von ihren Auftritten nicht leben.
»Im Mississippi Studio.«
»Alles klar. Und danach warst du noch wo?«
Bart sah schuldbewusst drein. Sullivan hatte ihn mal wieder durchschaut.
»Bei den beiden Jungs von Stormbreaker Brewing. Ist ja nur zwei Blocks die Straße runter. Bin quasi dran vorbeigelaufen.«
»Na das bist wohl eher nicht.«
Bart ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Wir haben nett gequatscht. Bin dann dort versackt. Sie wollten eine fachkundige Meinung zu ihrem Stormtoberfestbier.«
»Und da kamst du als Bayer natürlich gerade recht«, stellte Sullivan fest. »Wie war’s?«
»Das Bier? Kann mich nicht mehr erinnern. Ich glaub, es war schön süffig.« Er lächelte verschmitzt.
„Ich muss weg, brauche hier eine Vertretung.“, wechselte Sullivan unvermittelt das Thema.
Bart sah ihn finster an. »Und warum nicht Pete?«
Carl Sullivan antwortete nicht. Er wusste, Bart tat sich schwer mit neuen Gesichtern. Dann fiel bei Bart der Groschen.
»Wo ist Pete?«
»Hat zwei, drei Gigs in Colorado«, antwortete Sullivan. Er versuchte, es so beiläufig wie möglich klingen zu lassen.
»Colorado?«
»Ja, ich war genauso überrascht wie du.«
»Ist er etwa mit seiner alten Rostkarre losgefahren?«
Carl Sullivan nickte.
»Das sind doch…« Bart überlegte kurz. »… bestimmt zwanzig Stunden Fahrzeit.«
»Na, er wird die garantiert nicht durchfahren, sondern irgendwo auf halber Strecke in Idaho oder Utah übernachten.«
Bart sah Carl niedergeschlagen an und fragte: »Zapfst du mir ein Bier?«
»Klar, welches willst du?«
»Das Missglückte.«
Sullivan machte sich an das Bierzapfen, während sich Bart auf einen der Hocker vor dem Tresen setzte. Sullivan verstand, was in Barts Kopf vorging. Natürlich gönnte Bart Pete jeden Gig. Genauso, wie er ihm eine große Musikerkarriere gönnen würde. Andererseits würde er dann vielleicht einen Freund verlieren. Die beiden waren wie ein altes Ehepaar.
»Es ist nur eine Woche. Dann ist er wieder hier«,sagte Sullivan mit fester Stimme. Er war sich nicht sicher ob er Bart damit trösten, oder er nur seine eigenen Zweifel vertreiben wollte. Er reichte Bart das Weißbier hinüber, welches für Bart keines war. Deswegen die Bezeichnung ›das Missglückte‹. Ihm fehlte der typische Geruch von Banane. Etwas beim Brauvorgang war schiefgelaufen. Bart hatte den Fehler schnell ausgemacht, doch da war es bereits zu spät. Bart hatte den Temperaturregler im Gärkeller falsch eingestellt. Was ihn richtig wütend gemacht hat. Über sich selber. Er wollte die ganze Chose wegkippen. Sullivan konnte es gerade noch verhindern, indem er sagte: »Wir nennen es einfach anders, Blondie zum Beispiel.«
Bart hatte gelacht und gemeint: »Sully, an dir ist ein Marketingexperte verloren gegangen.«
Seine Wut war genauso schnell verflogen, wie sie gekommen war. Das war Bart.
Sullivan ließ ihn in Ruhe die ersten Schlucke trinken, dann fragte er vorsichtig: »Und du machst dich heute an das Brauen des IPA?«
Bart fing an zu fluchen. »Du und dein verschissenes IPA.«
»Ja, und du braust es jetzt endlich!«
»Ja doch!«
»Es ist fast alle. Nur noch zwei Fässer und die Leute erwarten einfach, dass wir es am Hahn haben.«
»Du erwartest es«, brauste er wieder auf. »Ich hab doch gesagt, ich mach es.«
»Wirklich?«
»Geh mir nicht auf den Sack, Sully. Ich habs gesagt. In einer halben Stunde geht es los. Lass mich in Ruhe noch das Bier trinken, dann brau ich dir deine verkackte Hopfenbombe.«
»Halt dich an mein Rezept«, sagte Sullivan ernst.
»Ja, Boss«, entgegnete Bart und drehte ihm den Rücken zu.
»Du kannst manchmal so ein beschissener Sturkopf sein.«
»Nur manchmal? Da kennst du mich aber schlecht«, erwiderte Bart und drehte sich wieder zu ihm um. Ein Lächeln spielte um seinen Mund. Sullivan registrierte es erleichtert.
»Hast du nun eine Idee, wo ich von heute auf jetzt eine Tresenkraft herbekomme?«
»Am besten du fährst zum Safeway Market in der 13th Avenue. Da hängen ständig Stellenangebote. Und Gesuche auch.«
Er grinste schon wieder.
Connor Roony wurde durch das Öffnen der quietschenden Tür geweckt. Er lag auf dem Bett und fühlte sich schwach. Er nahm alles wie durch einen Schleier wahr. Der Clown kam auf ihn zu und stellte einen Karton mit Pizza und eine gut gekühlte PET-Flasche Cola vor ihm auf dem Fußboden ab. Dann trat er zwei Schritte zurück. Der Clown war ein vorsichtiger Mann.
»Abendessen. Morgen früh geht es los, also stärk dich. Ihr werdet sehr früh starten.«
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