»Wirklich?« Sie sah ihn unsicher an.
Er lachte. »Ich bringe dich damit scheinbar aus der Fassung.«
Er umfasste ihre schlanke Taille und zog sie dicht zu sich heran. Dann gab er ihr einen sanften Kuss, den sie erwiderte.
Plötzlich stieß sie ihn leicht von sich und sagte lachend: »Na, dann los.«
Er griff sich die elektronische Zimmerkarte vom Tisch. Sie hatten die Suite im ›The Nines‹ in Portland für eine Woche gebucht, ein Fünf Sterne Hotel mit einem Restaurant in der obersten Etage und angeschlossener Dachterrasse. Connor Roony hatte sie beide unter falschem Namen eingecheckt, was ihn bei dem Herrn mit dem schmalen Oberlippenbart an der Rezeption ein nicht unerhebliches zusätzliches Sümmchen gekostet hatte. Er hoffte, dass sich die Angelegenheit, wegen der er sich unter falschem Namen in diesem Hotel eingemietet hatte, in einer, spätestens aber in zwei Wochen erledigt hatte. Bis dahin wollte er es so luxuriös wie möglich haben. Und dann war da noch Clarisse.
»Dann wollen wir mal. Wo möchtest du hin?«, fragte er.
»Wir könnten die Morrison oder die SW 5th Avenue hinunterlaufen. Da soll es einige gute Geschäfte geben.«
Er hob die Augenbrauen. »Sagt wer?«
»Eine Freundin.«
»Hört sich kostspielig an.«
Sie verzog ihre rot geschminkten Lippen zu einem Schmollmund.
»Okay, ich steck genug Geld ein«, sagte er lachend und ging zum Safe, der im Wandschrank versteckt untergebracht war, und nahm ein Bündel Geldscheine heraus.
»Wir können doch die Kreditkarten nehmen.« Sie sah ihren Freund erstaunt an.
»Nur Bares ist Wahres«, antwortete er ihr ausweichend. Sie zuckte gleichgültig mit der Schulter. Was für ein blöder Spruch. Eigentlich war es ihr egal, womit er ihre Ausgaben beglich. Und wenn es für ihn Bargeld sein soll, dann war es eben so. Sie drehte sich beschwingt um und öffnete die Zimmertür.
Nach einer Stunde und zwei Geschäften hatte Connor Roony die Nase voll. Er musste zugeben, Clarisse hatte recht gehabt. Er hasste shoppen. Er ging zu Clarisse, die sich gerade ein dünnes Kleid vor ihren schlanken Körper hielt und sagte: »Schatz, ich hoffe, du hast nichts dagegen...«
»Du willst schon gehen?«, unterbrach sie ihn. Ihre Augen blitzten.
»Ja, ich muss noch ein paar Telefonate erledigen«, log er. Sie konnte es ihm an der Nasenspitze ansehen. Er zog das Bündel Geldscheine aus der Hosentasche und reichte es ihr.
»Das dürfte für eine vergnügliche Shoppingtour reichen.«
Sie jauchzte auf, nahm das Geld und stopfte es in ihre kleine, mit Perlen besetzte Handtasche. Dann schlang sie die Arme um seinen Hals und küsste ihn.
»Ich werd nach den Telefonaten in der Bar im Hotel auf dich warten, mir dort ein, zwei Drinks genehmigen.«
»Es ist erst Mittag.«
»Bis du zurück bist nicht mehr«, lachte er und löste sich von ihr. Sie entließ ihn mit einem koketten Augenaufschlag.
Als er den Laden verließ, drehte er sich noch einmal zu ihr um. Sie stand schon beim nächsten Kleid und ließ den leichten Stoff durch ihre Finger gleiten. Lächelnd trat er auf die Morrison Street. Es war ein sonniger Tag. Er starrte kurz mit zusammengekniffenen Augen in den strahlendblauen Himmel, dann sah er die Straße hinauf. Er stellte fest, dass sie wirklich nicht weit gekommen waren. Gerade mal zwei Blocks. Gemächlich schlenderte er im Schatten der Bäume dem Hotel entgegen. Er freute sich auf einen kühlen Drink. An der nächsten Kreuzung musste er kurz stehen bleiben, bis die Fußgängerampel auf Go schaltete. Eine Trimet Bahn fuhr an ihm vorbei. Er fragte sich, in wie viele Geschäften Clarisse wohl noch einkehren würde. Er musste schmunzeln. Wie immer würde sie erst ins Hotel zurückkommen, wenn alles Geld ausgegeben war. So war sie einfach. Er hatte damit kein Problem. Sein Vater besaß genug Geld. Die Ampel schaltete um. Er ging über die Straße. Es waren nur noch wenige Meter. Vor dem Hotel bemerkte er einen Mann mit grauen Haarstoppeln, der eine Zigarette im Mundwinkel stecken hatte und nervös seine Jackentaschen abklopfte. Scheinbar suchte er sein Feuerzeug und fand es nicht. Connor Roony trat auf ihn zu, holte sein Zippo aus der Jacketttasche und reichte es ihm. Der Mann nahm es mit einem dankbaren Lächeln und ließ das Zippo klicken. Die Flamme hielt er an seine Zigarette. Während er an ihr zog, glimmte sie auf. Zufrieden nahm der Mann einen ersten Zug und blies den Rauch in die Luft. Connor Roony hielt seine Hand hin, um das Zippo entgegenzunehmen. Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung wahr, einen dunklen Schatten. Er wollte sich umdrehen, doch dazu kam er nicht mehr. Ihm wurde plötzlich schwarz vor Augen. Dann fühlte er nichts mehr.
***
Connor Roony wachte mit schwerem Schädel auf. Sein Kopf schmerzte. Ihm war heiß und er schwitzte. Der Raum war dunkel. Es drang nur spärliches Licht durch die Ritzen des heruntergelassenen Fensterrollos. Erst langsam gewöhnten sich seine Augen an die Umgebung. Das Zimmer war kahl. Es beherbergte nur das Bett, auf dem er lag. Langsam erinnerte er sich. An den Mann mit dem hageren Gesicht und der Zigarette im Mund. Er hatte ihm sein Feuerzeug gereicht, dann war ihm schwarz vor Augen geworden. Und jetzt lag er hier. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Wie lange war er schon hier? Seine Zunge fuhr über die trockenen Lippen, den pelzigen Geschmack wurde er dadurch nicht los. Plötzlich hörte er es knarren. Es kam nicht aus dem Zimmer. Er vermutete, es waren die Fußbodendielen im Flur. Scheinbar ein altes Haus. Er sah zur Tür, in der Erwartung, dass sie sich öffnen würde. Das tat sie auch. Ein Mann betrat das Zimmer und betätigte den Lichtschalter. Connor Roony blinzelte. Das Licht der nackten Glühlampe, die an der Decke hing, blendete ihn. Es dauerte einen Moment, bis er sich an die Helligkeit gewöhnt hatte. Ein Mann mit einer Clownsmaske hatte den Raum betreten. Er war untersetzt, kräftig gebaut und dunkel gekleidet. Schwarze Hose, dunkelblauer Rollkragenpullover. Connor dachte unwillkürlich, der muss doch schwitzen bei der Wärme. Der Mann blieb in der Tür stehen. Dumpf kam es unter der Maske hervor: »Und, ausgeschlafen?«
Connor antwortete nicht darauf. Er sah zu dem Mann hin und fragte: »Wo ist Clarisse?«
»Du meinst das hübsche Ding«, stellte der Clown fest. »Ihr geht es gut, keine Angst.«
Connor Roony sah zweifelnd in die grauen Augen hinter der Clownsmaske.
»Du glaubst mir nicht? Tot nützt sie uns nicht. Sie ist wieder zu Hause bei ihren Eltern, nachdem du sie verlassen hast.«
»Ich hab sie nicht verlassen«, erwiderte Connor matt.
»Das hat dein Schätzchen wohl nach dem Lesen deines Abschiedsbriefes im Hotel anders empfunden.«
Roony jr. sah die Clownsmaske verwirrt an.
»Was für ein Brief?«
Der Clown antwortete nicht. Die dunklen Augen hinter der Maske musterten ihn interessiert.
»Sei froh, dass sie lebt. Wenn alles sauber über die Bühne gegangen ist, kannst du ihr alles erklären und jede Menge Kinder mit ihr machen. Wenn nicht…«
Der Mann musste es nicht aussprechen. Connor Roony konnte sich vorstellen, was dann passieren würde.
»Wie lange bin ich schon hier?«, fragte er.
»Einen halben Tag.«
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