„Einige Physiker behaupten, dass bei den Teilchenkollisionen unter bestimmten Umständen Schwarze Löcher entstehen könnten.“
Delandre setzte wieder sein arrogantes Lächeln auf. „Diese Argumentation wurde bereits 2007 überzeugend widerlegt. Wenn tatsächlich winzige Schwarze Löcher entstehen würden, was extrem unwahrscheinlich ist, so wären diese instabil und würden innerhalb von Nanosekunden zerstrahlen.“
„Was ist mit Seltsamer Materie?“, fragte Alex, dem die Argumente ausgingen.
Delandre zog eine Augenbraue hoch. „Wie kommen Sie darauf, dass hier Seltsame Materie entstehen könnte?“
„Es ist eine Theorie, die die Gegner der Versuche vertreten.“
„Sie meinen die Pamphlete von diesem Scharlatan Richard Forster? Sie wollen ernsthaft, dass wir uns mit diesem Unfug auseinandersetzen? Dr. Forster hat hier am CERN gearbeitet. Es gab einige Unregelmäßigkeiten, daraufhin wurde er entlassen. Seitdem führt er einen persönlichen Rachefeldzug gegen uns. Seine Argumente halten einer wissenschaftlichen Prüfung nicht stand. Sehen Sie, es ist nämlich so …“
Delandre ging zum Flipchart und schrieb ein paar komplizierte Formeln auf. Er begann in einem langen Monolog die physikalischen Grundlagen der Seltsamen Materie zu erläutern und darzulegen, warum es völlig unmöglich sei, dass sie bei Teilchenkollisionen mit einer Energie von maximal 14 Teraelektronenvolt entstehen könne. Alex, der als Journalist nur über Grundkenntnisse der theoretischen Physik verfügte, konnte den Ausführungen kaum folgen, schwieg jedoch. Er wusste, dass Delandre hier bloß eine Show abzog, um ihn mit seinem Wissen zu beeindrucken.
„Ich hoffe, damit ist alles geklärt“, sagte der Pressesprecher schließlich. „Haben Sie noch weitere Fragen? Ansonsten schlage ich vor, dass Sie den Globe of Science and Innovation, unser populärwissenschaftliches Museum, besuchen. Dort erhalten Sie detaillierte Informationen über die Experimente, die wir hier durchführen. Ich habe jetzt leider den nächsten Termin. Herzlichen Dank, dass Sie sich herbemüht haben, Monsieur Mars. Auf Wiedersehen.“
Alex bedankte sich für das Gespräch. Als Delandre gegangen war, sah er auf die Uhr. Der Termin hatte kaum mehr als eine halbe Stunde gedauert. Sein Rückflug ging erst am späten Nachmittag. Was für eine Geld- und Zeitverschwendung!
Auch wenn ihm der Mann unsympathisch war, wusste Alex, dass der Pressesprecher mit seinen Argumenten recht hatte. Es gab nichts zu sagen, was nicht schon gesagt worden war. Wie er aus dieser Lappalie einen spannenden Artikel machen sollte, war ihm schleierhaft.
Als Alex aus dem Besucherzentrum heraus trat, hatte der Regen aufgehört. Die Demonstranten diskutierten mit ein paar in Jeans und T-Shirts gekleideten jungen Leuten, wahrscheinlich Studenten oder Mitarbeiter des CERN. Der englische Physiker textete gerade einen bärtigen Mann zu, wobei er seine Ausführungen mit ausladenden Armbewegungen unterstrich.
Die Frau, mit der Alex vorhin hatte sprechen wollen, stand etwas abseits, ohne sich an den Gesprächen zu beteiligen. Sie wirkte gelangweilt.
Alex ging auf sie zu. Sie lächelte, als sie ihn wiedererkannte. „Haben Sie Antworten auf Ihre Fragen bekommen?“
„Noch nicht auf alle“, sagte er. „Haben Sie Lust, einen Kaffee mit mir zu trinken?“
Die Frau erschrak ein wenig und blickte sich hilfesuchend um, doch alle ihre Mitstreiter waren in Diskussionen vertieft. Gerade lachte einer der Studenten laut über eine Behauptung eines CERN-Gegners und tippte sich an die Stirn.
„Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht viel erzählen“, sagte sie. „Ich verstehe ehrlich gesagt kaum etwas von Physik.“
„Umso besser“, erwiderte Alex. „Kommen Sie, ich glaube, hier wird Sie bis auf Weiteres niemand vermissen.“
Sie lächelte. „Da haben Sie wohl recht. Also schön.“
Sie gingen ins Besucherzentrum, in dem es eine kleine für die Öffentlichkeit zugängliche Cafeteria gab. Alex holte an der Theke für sich einen Latte Macchiato und für seine Gesprächspartnerin einen schwarzen Tee. „Ich habe mich noch nicht vorgestellt“, sagte er, während er die Getränke auf den Tisch stellte. „Mein Name ist Alex Mars. Wie gesagt bin ich Redakteur bei Abenteuer Universum.“
„Maja Rützi. Ich bin Autorin.“ Sie blickte ein wenig verlegen, als sei das etwas Unanständiges.
„Autorin? Was schreiben Sie?“
„Kinderbücher hauptsächlich. Vielleicht haben Sie schon einmal von Carlo, dem grünen Umweltelefanten gehört?“
„Ja, ich glaube schon“, log Alex. „Und Sie wollen ein Kinderbuch über die Gefahren des LHC schreiben?“
Sie schüttelte heftig den Kopf, so dass ihr langes kastanienbraunes Haar hin und her wogte. „Nein, nein. Wie schon gesagt, ich verstehe nicht viel von Physik.“
„Warum sind Sie dann hier?“
„Eigentlich bloß wegen eines Freundes. Er ist Physiker.“
„Doch nicht dieser Richard Forster?“
Sie lächelte. „Nein. Richard ist eigentlich ganz nett, aber wenn er in Fahrt gerät, ist er kaum zu bremsen.“
„Das habe ich gemerkt.“
„Ich wohne in Cessy, kurz hinter der französischen Grenze. Da gibt es ein paar Deutsche, mit denen ich befreundet bin. Einer davon ist Heiner Krombach. Er hat einige Jahre am CERN gearbeitet, doch dann hat er sich mit dem wissenschaftlichen Leiter überworfen. Seitdem ist er so eine Art Wissenschaftsphilosoph.“
„Ist er heute hier?“
„Nein. Er hält diese Aktion für sinnlos und glaubt, dass wir uns bloß lächerlich machen.“
„Da könnte er recht haben. Aber warum machen Sie dann mit?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Heiner hat mich mit den anderen zusammengebracht, Leute, die wie er selbst dem klassischen Wissenschaftsbetrieb kritisch gegenüberstehen. Aber es gab einen Streit über die Ausrichtung der Gruppe zwischen Heiner und Richard. Schließlich hat Heiner die Gruppe verlassen. Ich habe nicht wirklich verstanden, worum es in dem Streit ging, aber am Ende bin ich in der Gruppe geblieben. Als sie mich dann gefragt haben, ob ich heute mitmache, da konnte ich einfach nicht nein sagen.“
„Machen Sie sich denn Sorgen, dass durch die Experimente hier tatsächlich die Welt vernichtet werden könnte?“
„Wie schon gesagt, ich verstehe nicht allzu viel davon. Aber eigentlich geht es mir gar nicht um den LHC und das CERN. Es stört mich, dass sich die Wissenschaftler so wenig Gedanken über die Folgen dessen machen, was sie tun.“
„Dem würde ich nicht zustimmen. Es gab sehr ausführliche Diskussionen über das, was hier am LHC passieren könnte, und umfangreiche Risikoabschätzungen. Sie sind alle öffentlich einsehbar.“
„Das meine ich nicht. Ich meine die Folgen der Erkenntnisse, die hier gewonnen werden. Als Fermi und sein Team den ersten Atomreaktor bauten, haben sie nicht bedacht, dass sie damit eine Technik schufen, die die Menschheit in die Lage versetzen würde, sich selbst zu vernichten.“
„Sie verstehen ja doch was von Physik. Jedenfalls kenne ich nicht viele Frauen, die wissen, wer Enrico Fermi war.“
Sie lächelte. „Namen kann ich mir merken, Formeln nicht.“
„Und Sie haben Angst, dass die Physiker hier die Grundlagen für neue Waffen entwickeln?“
„Das wäre doch möglich, oder? Heiner Krombach hat da eine Theorie entwickelt, er nennt es die Physikalische Falle. Als er mir davon erzählt hat, konnte ich eine Nacht lang nicht schlafen.“
„Was ist das für eine Theorie?“
„Vereinfacht gesagt vermutet er, dass es ein physikalisches Prinzip gibt, dessen Entdeckung zwangsläufig zur Vernichtung der Spezies führt, die es entdeckt. Er sagt, das könnte auch eine Erklärung für das Fermi-Paradoxon sein. Das ist der eigentliche Grund, weshalb ich heute hier bin: Ich möchte, dass die Leute am CERN uns zuhören, dass sie zumindest über diese Möglichkeit nachdenken.“
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