Abendbrottisch. Sie haben den ganzen Nachmittag im Schnee herumgetollt.
»Willst du heute wieder weben? Ich habe den Webstuhl zur Seite geschoben und die Nähmaschine rausgestellt, weil ich noch etwas für Weihnachten vorbereiten muss?«, fragt ihre Mutter. »Dann können wir heute ja zusammen arbeiten«, antwortet Katharina gutgelaunt.
Langsam kommt wieder Ordnung ins häusliche Leben. Sie haben gut vorgesorgt. Das Vieh im Stall kann versorgt werden und Brennholz ist vorhanden. Auch den Keller haben sie im Herbst mit Proviant vollgestopft.
Schon früh haben sie in diesem Jahr ein Schwein geschlachtet. Im Herbst haben sie das Gemüse aus dem Garten verarbeitet und in Holzfässern eingelegt.
Fast alles machen sie selbst. Brot, Nudeln, Butter, Käse und noch mehr. Für den langen Winter müssen sie vorsorgen. Schinken und Speck wird im Kamin geräuchert.
»Morgen wird das Haus voll werden « , erzählt Katharinas Mutter, »dann werden wir gemeinsam arbeiten. Die Nachbarinnen freuen sich schon darauf « . »Schön, dann sind wir nicht allein « , witzelt Katharina. Katharina bemüht sich ihren Hosenanzug bis zum Kathreinfest fertigt zu bekommen.
An solchen Frauenabenden sind die Männer und Kinder abgemeldet. Ihr Vater hört dann zu, was die Frauen erzählen und holt vielleicht ein Schnäpschen aus dem Regal.
Für die Männer findet schon im Spätherbst das Kukuruzrippeln statt. Wenn die auf der Veranda aufgehängten Maiskolben trocken sind, werden sie mit den Händen gegeneinander gerieben bis die Maiskörner herausfallen. Später werden die Säcke mit Maiskörnern zum Mahlen in die Mühle gebracht. Im ganzen Jahre ist die Mamaliga aus Maismehl eine wichtige Mahlzeit.
Das Kathreinfest steht vor der Tür. Rosanah möchte unbedingt dabei sein, obwohl sie Rumänin ist.
Am 25. November gedenken die katholischen und evangelischen Christen in der Bukowina der Märtyrerin Katharina. Katharinas Bruder Otto soll auch an dem Fest teilnehmen. Ihre Mutter legt Wert darauf, dass er dabei ist, vielleicht um nach dem Schicksalsjahr auf Katharina aufzupassen.
Jetzt stellen sich alle die Frage, ob die Musiker durch den Schnee hier ankommen werden. »Wenn alle Stricke reißen, nehmen wir den Dorfmusiker mit seinem Akkordeon « , denkt Katharina. Katharina erinnert sich derweil an den weiten Weg, den Rosanah vom Ende des Dorfs vor sich hat.
Sie werden ihre schönen Kleider anziehen, vielleicht sogar ihre Trachtenröcke. Katharinas Mutter sucht etwas Passendes aus ihrem Kleiderschrank.
»Hier, schau mal, ist der Rock nicht schön, der wird dir bestimmt passen? « , fragt sie, als sie ihre alte böhmische Tracht hervorholt.
»Meinst du Mama? « , und schon probiert ihn Katharina an. Als ihre Mutter sie sieht, sagt sie verschmitzt: »Gut schaust aus, jetzt fehlt noch à fescher Bursch! « . Daraufhin lenkt sie ab: »Rosanah wird die Bauerntracht ihrer Mutter anziehen « .
Dick angezogen und mit roten Wangen klopft Rosanah etwas später an die Haustür. Sie hat einen langen Weg hinter sich. »Du siehst gut aus « , kommt ihr entgegen. Die Rumäninnen haben traditionell warme Winterbekleidung. Weiße Fellstiefel, braun-rote Wollstrümpfe, darüber ein dunkles Wollkleid und eine weiße Jacke aus Schaffell.
»Ich werde noch den Mantel überziehen, denn Rosanah hat eine dicke Felljacke an « , sagt sie aufgeregt, bevor sie mit ihrem Bruder und Rosanah losmarschieren. Katharina ist mit langen weißen Strümpfen, einem langen Rock mit Schürze und einer Strickjacke ausgestattet.
Unterwegs treffen sie Nachbarn, die mit ihnen durch den Schnee stapften. Rosanah geht mit der Petroleumlampe vorweg. Da es keinen Strom gibt, gibt es auch keine Straßenbeleuchtung.
»Die Lampe habe ich für den Rückweg mitgenommen « , meint Rosanah.
Schon aus der Ferne hören sie Musik. Jetzt sind sie erleichtert. Ein gutes Zeichen, denn die Kapelle ist durch den Schnee hier angekommen.
Als Katharina Rosanah fragt: »Ich bin gespannt, ob auch rumänische Burschen kommen? « , gibt Rosanah kleinlaut zu: »Mein Bruder wird für uns einen Tisch freihalten « . »Aha! « denkt Katharina.
Sie kommen in den Saal und sehen Viorel an einem großen Tisch sitzen, als er auf die leeren Stühle hinweist. Katharina hat Hemmungen und setzt sich nicht in die Nähe von Viorel.
Später flüstert ihr Bruder ihr zu: »Ich glaube Viorel hat ein Auge auf dich geworfen? « . Sie bekommt einen roten Kopf und versucht ihre Verlegenheit zu überspielen.
Inzwischen spielt die Musik ein Lied nach dem anderen. Alle tanzen, nur Viorel und Katharina bleiben sitzen.
Erst später stellt Katharina fest, dass Viorel genauso schüchtern ist wie sie. Während die Anderen tanzen, kommen die beiden ins Gespräch. Seine Geschichten und seine Gestik gefallen ihr. Im Laufe des Abends wagen sie sich auch auf die Tanzfläche und kommen sich einwenig näher.
Katharina ist stolz auf dieses Fest. Sie fragt Viorel verlegen: »Ist das nicht ein schönes Fest, es hat meinen Namen? « Dieses Mal wurde Viorel verlegen und stammelte nur ein »da « (für ja).
Sie haben sich gerade etwas angenähert, als ihr Bruder sie an den Heimweg erinnert. Notgedrungen verabschieden sie sich von Rosanah und Viorel. Rosanah zündet vor der Tür die Laterne für den Heimweg an.
»Das war also das Kathreinfest, mein Namenstag? « , sagt Katharina auf dem Heimweg zu ihrem Bruder und denkt dabei an das Fest im letzten Jahr. .
Die Tage sind kürzer geworden. Im Tal wird es schon früh dunkel. Schnee und Kälte bestimmen im Winter das Leben in den Karpaten.
Es kostet viel Kraft die Wege freizuhalten. Die meiste Arbeit haben die Männer mit ihren Pferden, um mit dem Schneepflug die Wege im Dorf befahrbar zu machen.
Die Menschen bleiben lieber in ihren warmen Häusern und hoffen, dass die Vorräte ausreichen. Die Jahreszeiten und die Natur bestimmen ihren Lebensrhythmus.
Katharinas Familie ist vor Weihnachten stark beschäftigt. Es gilt viel vorzubereiten. In der Adventszeit sind die langen Abende am warmen Ofen dafür genau das Richtige.
In den Häusern kehrt Ruhe ein. In diesem Jahr wird Katharinas Tante und ihre Familie aus Czernowitz zum Weihnachtsfest anreisen. »Dann erfahren wir wieder Neues aus Stadt « , denkt Katharina. Sie ist sehr gespannt, weil sie irgendwann selbst in die Stadt ziehen wird.
Durch die häufigen Besuche in der Stadt hat sie ein gespaltenes Verhältnis zum Dorfleben. In Czernowitz gibt es Vieles, was es hier im Dorf nicht gibt.
Dort gibt es Straßenbahnen, eine Universität und ein wunderschönes Theater. Die vielen modernen Geschäfte haben Katharina stark beeindruckt. Viele kluge Köpfe leben in der Stadt.
Czernowitz ist nicht nur die Hauptstadt der Bukowina, Czernowitz hat auch internationales Flair. Czernowitz ist ein Mikrokosmos mit vielen Völkern. Leben und leben lassen lautet die Devise. Die alte Habsburger Atmosphäre müssen die Machthaber mittragen, ob sie wollen oder nicht. Wien ist den Menschen dort näher als Bukarest.
Tiefsinnig denkt Katharina über ihr Leben auf dem Lande nach. Sie hat am eigenen Leib die Veränderungen erfahren. Obwohl sie mit den Rumänen gut auskommen, fallen ihr immer wieder die Veränderungen auf.
Seit einem Jahr haben sich die rumänischen und deutschen Regierungen angenähert. Plötzlich schlägt ein Stimmungsumschwung bis zu den Menschen durch.
Die rumänische Regierung hat ihre nationale Rumänisierungspolitik gegenüber der deutschen Minderheit deutlich abgeschwächt. Man redet jetzt über Nazideutschland und Hitler.
Bislang fühlte sich die deutsche Minderheit allein gelassen. Katharina versteht diesen Stimmungswandel nicht, obwohl sie hofft, dass sich gerade für die jungen Deutschen in der Bukowina etwas zum Besseren verändert. In ihren Gedanken lässt sie die vergangenen Jahre Revue passieren.
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