Ganz am Ende waren diese Menschen wieder dort angekommen, wo vor Jahrhunderten ihre Vorfahren aufbrachen, in Deutschland. Zufall oder Schicksal, und wie es Katharina ergeht, werden wir im Roman erfahren.
Der Winter in den Waldkarpaten ist eine große Herausforderung für die Natur und für die Tiere in den Wäldern, aber auch für die Menschen. Und trotzdem lieben ihn ihre Bewohner in den Bergdörfern. Trotz meterhohem Schnee und starken Minusgraden. Sie kennen es nicht anders, sie leben naturverbunden.
Wir schreiben das Jahr 1939. Früh legt sich eine meterhohe Schneedecke über das Dorf. Der Frost treibt die Menschen in den tiefen und schattigen Tälern in ihre Häuser. Die gemauerten Öfen in den Wohnküchen erwärmen ihre Häuser. Holzhäuser, die mit Holzschindeln gedeckt sind, vertragen sehr viel Wärme. In den Steinhäusern mit Ziegeldächern ist es nicht gemütlicher. Erst wenn es drinnen warm wird tauen die Eisblumen an den Fenstern ab. Petroleumlampen geben in den dunklen Tagen nur schwaches Licht. Holz knistert im gemauerten Küchenherd. Durch Ritzen in der Herdplatte flackert der Feuerschein an die Decke.
Katharinas Familie hat es sich gemütlich gemacht. Heute wird nicht Wolle gesponnen oder Stoff gewebt, heute erzählen sie ihre Geschichten. Ob wahr oder unwahr, ob von früher oder von heute, sie sind spannend, gruselig und manchmal auch fröhlich. Meist erzählen sie ein Stück aus ihrem Leben oder dem ihrer Vorfahren. Geben also Erzähltes wieder. Spontan wird gelacht, gesungen und manchmal auch geweint. So sind die Menschen in den Karpaten.
Die Natur und das Leben haben sie einfach, fleißig und gläubig geformt. Reichtum ist woanders. Hier leben sie eng mit Nachbarn zusammen, von denen sie Hilfe erwarten können. Dabei kommt es nicht auf die Sprache oder Religion an. Man braucht sich und das schweißt zusammen.
Die unterschiedlichen Lebensgewohnheiten und Bräuche sehen sie als Bereicherung. Sie gehen in andere Häuser und blicken auch in die Küchen. Sie wissen wie es Böhmisch, Rumänisch oder Jüdisch schmeckt, denn sie probieren es selbst aus. Jede Jahreszeit hat ihren eigenen Speiseplan. Respekt und Toleranz ist ihnen in die Wiege gelegt. Die Natur hat die Bewohner bescheiden und gläubig gemacht. Das Leben ist einfach und schön. Krankheiten werden nur mit Haus- und der Naturmitteln behandelt.
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Nach einem gemütlichen Abend folgt am Morgen das böse Erwachen. Die ganze Nacht über hat es geschneit und der Wind hat hohe Schneeberge vor Türen und Fenster gefegt. Aufgeregt ist nur Katharina, den sie will zur Arbeit. Sie lebt mit ihren Eltern und Geschwistern in Poschoritta bei Kimpulung, in der Südbukowina. Das Dorf in den Waldkarpaten wird eingerahmt von den Bergen Adam und Eva, dem Rarau und Giumalau. Auch die Moldova fließt an dem Ort vorbei.
Katharinas Vater ist Sprengmeister und hat schon vor einiger Zeit seine Arbeiten im Steinbruch abgebrochen und die Arbeiter nach Hause geschickt. Zwei Kisten mit Sprengstoff, Zündern und Zündschnüren hat er auf einem Schlitten nach Hause gebracht und im Schuppen eingelagert. Seit dem diese gefährliche Fracht dort liegt sind sie unruhig.
Im Augenblick haben sie aber andere Sorgen. Der Schnee lässt sie nicht aus dem Haus und Katharina will trotzdem zur Arbeit. Der Schnee, der sie in diesem Jahr früh überrascht hat, erfordert nun ihre ganzen Kräfte. Gespenstisch heult die ganze Nacht der Wind um das Haus. Gemeinsam mit den Wölfen, die immer näher kommen.
Niemand in der Familie versteht, dass Katharina jetzt zur Arbeit will. Sie hat sich einer Gruppe von Weberinnen angeschlossen, die unten im Dorf Teppiche weben. Jetzt vor Weihnachten ist die Auftragsliste besonders lang.
Als sie früh in die Küche kommt, sitzen die Eltern wortlos mit ernsten Gesichtern am Küchentisch. Es ist anders als sonst. Weil der Tisch nicht gedeckt ist, fragt Katharina: »Was ist geschehen? «. »Wir sind eingeschneit, der Schnee hat uns eingeschlossen! « , jammert ihre Mutter. »So schlimm kann es doch nicht sein, wir müssen den Schnee einfach wegräumen « , versucht sie ihre Eltern aufzumuntern.
Als sie an das Fenster geht, sieht sie die ganze Bescherung. Der Schnee hat die Fenster zugeweht. »Wir müssen uns befreien. Wird uns denn niemand helfen. Auch Onkel Johann nicht? « . Sie erntet nur ein mildes Lächeln. »Du hast wohl noch nicht gesehen wie viel Schnee draußen liegt. Wir bekommen die Haustür nicht auf « .
Langsam scheint auch Katharina die Situation zu begreifen. Sie weckt ihren großen Bruder aus dem Schlaf: »Otto, du musst jetzt aufstehen, wir kommen nicht aus dem Haus! « . Grimmig zieht er sich an und kommt in die Küche. Ihre kleineren Geschwister schlafen seelenruhig weiter.
»Das kann doch nicht so schlimm sein? « , bringt er mühsam heraus. Bald begreift auch er die Situation und schlägt vor: »Wir müssen aus dem Fenster klettern! « . »Endlich ein guter Gedanke « , denkt Katharina. »Mal sehen, ob ich hier rauskomme? « , witzelte er, als er das Fenster öffnet.
Im nu wehen Schnee und Kälte in die Küche. Otto kämpft sich durch den Schnee ins Freie. Seine Mutter holt Handfeger und Fegeblech und fegt den hereingewehten Schnee zusammen. »Mit bloßen Händen wird das nicht gehen « , ruft sein Vater hinterher und reicht ihm die Kohleschaufel vom Herd raus. Katharinas Mutter gibt freiwillig ihr gutes Fegeblech hinterher.
Schnell machen sie das Fenster zu und legen Brennholz nach. Während Otto draußen mit den beiden Schippen machtlos gegen den Schnee ankämpft, deckt Katharina mit ihrer Mutter den Frühstückstisch.
Bald klopft ihr Bruder an das Fenster: »Dass schaffe ich nicht allein! « . Trotzdem kümmern sie sich nicht um ihn, denn sie haben alle Hunger. »Kummer macht hungrig « , sagt Katharinas Mutter und holt den heißen Milchkaffee vom Herd.
Während die Kleinen noch in ihren Betten liegen, fangen die drei an zu frühstücken. »Der arme Junge « , stöhnt jetzt Katharinas Mutter. »Der wird schon nicht verhungern oder erfrieren « , kommentiert Katharina bissig. Den strafenden Blick ihrer Mutter bekommt sie nicht mit. »Otto braucht jetzt keinen heißen Kaffee, dem ist so schon warm « , schiebt Katharina nach.
Eine Stunde sitzen sie schon am Frühstückstisch, als Otto wieder ans Fenster klopft: »Ich bin jetzt vor dem Schuppen « , ruft er durch die Scheibe. »Dann hol die großen Schaufeln, damit wir die Haustür frei räumen können « , ruft der Vater zurück.
Katharina und ihre Mutter schauen sich nur an, als auch der Vater mit den Worten: »So schlimm hab ich mir das nicht vorgestellt «, aus dem Fenster steigt. Nach einer Stunde haben die Männer die Haustür freigeräumt. Als die beiden Frauen vor die Tür gehen, stehen sie in großen Schneebergen.
Spätestens jetzt wird ihnen klar, was hier geschehen ist. Den ganzen Tag über schaufeln sie Schnee, um an die Straße und an den Stall zu gelangen. »Wann können wir die Tiere versorgen? « , jammert Katharinas Mutter.
Dumpfe Geräusche von den Nachbarn beruhigen sie. »Hallo, hört ihr mich! « , ruft Katharina raus. Aber niemand hört sie. Alle haben das gleiche Problem. Erst am Nachmittag sind sie ein wenig weiter. Später versuchen sie zusammen mit den Nachbarn einen schmalen Weg zur Straße freizuräumen. »Bis an die Bahnstrecke werden sie es nicht mehr schaffen « , fällt Katharina ein.
Inzwischen muss auch Katharina einsehen, dass sie so schnell nicht zur Arbeit kommen wird.
Am nächsten Tag versuchen die Männer mit Pferden und Schneepflug den Schnee auf der Straße beiseite zu schaffen. Katharina macht sich Sorgen, wie es im Dorf aussieht.
Nachbarn machen Katharina klar, dass sie nicht so schnell in ihre Webstube kommen wird. Sie berichten, dass Dächer von Stallungen und Häusern unter der Schneelast eingebrochen sind.
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