1 ...6 7 8 10 11 12 ...24 „Beim letzten Punkt stimme ich Ihnen zu.“, erwiderte Reimler giftig. „Sie erreichen in der Tat immer weniger Jugendliche. Ob Sie immer mehr machen, weiß ich nicht, aber offensichtlich ist es nicht das Richtige. Fakt ist jedenfalls, dass Sie sich auf dem Markt behaupten müssen und dazu gehören sicher auch attraktive, zeitgemäße Angebote, die natürlich etwas mehr Arbeit machen als ein gemütlicher Jugendkreis, wo fünf Leute Tee trinken und Kekse essen. Die Mittel werden knapper und die Kirchenleitung wird zunehmend gezwungen, Schwerpunkte zu setzen. Arbeitsbereiche, die nicht von nennenswertem Nutzen sind, wird man aufgeben. Sie müssen also schon deutlich machen, dass Ihre Arbeit unverzichtbar ist und welcher Hinsicht.“
„Ich glaube, wir schweifen gerade vom Thema ab.“, mischte Kai-Uwe sich ein. „Vielleicht sollten wir die Reflexion des Jugend-Gottesdienstes abschließen, bevor wir auf die Finanzsituation zu sprechen kommen. Ich muss sagen, dass ich die Veranstaltung trotz der bescheidenen Teilnahme sehr ermutigend fand. Von den Jugendlichen aus dem Bereich Innenstadt war die Rückmeldung durchweg positiv und sie meinten auch, dass ihnen die überschaubare Teilnehmerzahl gerade richtig erschienen sei. Wäre es in den Hunderter-Bereich gegangen, wäre es viel zu unruhig geworden. Vielleicht müssen wir uns damit abfinden, dass wir mit einem Angebot nicht die Massen erreichen und statt dessen auf Vielfalt setzen.“
„Mit dem kleinen Personalstab wird das aber schwierig.“, widersprach Jens Carstensen. „Wir stemmen zu viert die Jugendarbeit für den gesamten Kirchenkreis, weite Teile sind schon völlig unterversorgt. Wenn wir gemeinsam eine zeit- und finanzaufwändige Großveranstaltung auf die Beine stellen, dann muss sich das lohnen, sonst gebe ich Katharina recht, dass es besser ist, in Beziehungsarbeit zu investieren als in mittelmäßige Events, wo keiner hin geht. Die Jugendlichen, die ich am Sonntag mobilisieren konnte, meinten, dafür hätten sie nicht extra in die Stadt fahren müssen, das hätten wir auch in Neesen machen können. Und statt die peinliche Band zu bezahlen, hätten wir hinterher zusammen essen können. Wenn das so weiter geht, kommen die gar nicht mehr zu unseren Jugendangeboten, sondern treffen sich statt dessen zum Kiffen in irgendeiner Scheune, lesen Hesse und beschäftigen sich mit Esotherik.“
„Also, die Jugendlichen aus den Stadtrandgebieten haben durchweg positive Rückmeldungen gegeben.“, sagte Hilke. „Es gibt eben unterschiedliche Jugendkulturen, auch in geistlicher Hinsicht und was die einen anspricht, ist für die anderen kaum zu ertragen.Worüber wir uns klar werden müssen, ist, ob wir eine bestimmte Szene verlässlich bedienen und damit stabilisieren wollen oder ob wir versuchen, die kulturelle Ausrichtung breiter zu streuen, um möglichst viele zu erreichen, wobei wir dann aber in Kauf nehmen müssen, dass vieles an der Oberfläche verharrt.“
„Das können wir heute Morgen aber sicher nicht abschließend klären, dafür sollten wir einen extra Termin ansetzen.“, gab Paul-Gerhard Solms zu bedenken.
„Wir gehen demnächst ohnehin drei Tage in Klausur.“, erklärte Kai-Uwe Kehrer. „Dann nehmen wir uns dafür Zeit. Damit würde ich diesen Punkt gern abschließen und Herrn Reimler bitten, über die aktuelle Finanzlage zu berichten.“
Sebastian Reimler räusperte sich und veränderte seine Sitzposition von leger zurück gelehnt zu wach, nach vorn gewandt, die Ellbogen auf dem Tisch und Papiere vor sich ausbreitend. Er hielt einen todlangweiligen Vortrag über die Entwicklung des Kirchensteueraufkommens, den sich Katharina gefühlt alle zwei Wochen anhören musste. Weil ihr das alles längst zu den Ohren heraus kam, hörte sie nicht wirklich zu, sondern beobachtete statt dessen aufmerksam die Körpersprache des Assessors und voraussichtlich neuen Superintendenten. Man konnte förmlich riechen, wie er sich in seiner neuen Rolle gefiel; und es war nur eine Rolle, die er spielte, denn er besaß nicht das Format, um dieses Amt auszufüllen. Er gab an, mit seinem angelesenen Halbwissen und plapperte nach, was er von seinem Vorgänger aufgeschnappt hatte. Er spielte den hochmotivierten, Initiative ergreifenden Vorgesetzten, der entschlossen war, die Karre aus dem Dreck zu ziehen. Dass er daran beteiligt gewesen war, sie in denselben zu befördern, ließ er dabei außer Acht. Seine Rede wurde begleitet mal von zackigen, mal ausladenden Gesten, die Professionalität und Stärke suggerieren sollten, jedoch merkwürdig einstudiert wirkten, wie vor dem Spiegel geübt und nach Lehrbuch gezielt platziert. Er war ein elender Wurm, dieser Reimler, der vor vier lächerlichen, kleinen Jugendreferenten und einem überarbeiteten Gemeinde- und ehrenamtlichen Synodal-Jugendpfarrer eine derartige Show abziehen musste. Sicher hatten ihm seine Mitschüler im Schulbus immer auf den Tornister gehauen und ihn ausgelacht, wenn er sich tapsig und viel zu langsam nach dem Übeltäter umgesehen hatte. Und dann konnte er den spottenden Blicken nicht standhalten, denn auch heute konnte er niemandem länger als zwei Sekunden in die Augen sehen. Das Einzige, was ihn seine Kindheit hatte überleben lassen, waren die tröstenden Worte seiner Mutter gewesen: „Stör dich nicht an den Rabauken. Aus denen werden nur Maurer oder Hilfsarbeiter. Und du wirst mal Arzt oder Anwalt oder Pastor und dann sehen die alle zu dir auf.“
Ja, Sebastian Reimler wollte jemand ganz Besonderes sein, das war ihm sehr wichtig. Und da er als Mann weder über anatomische Vorzüge noch über eine animalische Ausstrahlung verfügte, die ihm Attraktivität verliehen hätte, musste er eine attraktive Rolle spielen, wenn er sein Ziel erreichen wollte. Ob er wohl Volkmann abgestochen hatte, um sein Ziel zu erreichen? Assessor klang ja fast wie Assassino, die italienische Vokabel für Mörder. Aber um einem Abgestochenen auch noch die Hose herunter zu ziehen und ein Stück von seiner kleinen Nudel abzuschneiden, während jederzeit die Vorzimmerdame in der Tür stehen konnte, dafür fehlte ihm sicher der Schneid. Und um einen Auftragskiller zu bezahlen, dafür war Reimler zu geizig. Er fuhr ein dickes Auto, trug feine Anzüge, benutzte versilberte Schreibutensilien und steckte auch sonst sicher sein ganzes Gehalt in seine Außenwirkung. Und so üppig war das Einkommen eines Theologen nun auch wieder nicht. Man konnte damit vortäuschen, vermögend zu sein, aber dann war es auch aufgebraucht.
Reimler schloss seinen öden Vortrag mit den Worten: „Sie sehen, auch in der Jugendarbeit werden erneut notwendige Personaleinsparungen auf uns zukommen. Herr Superintendent Volkmann und ich waren uns darin einig, dass die beste und sozial verträglichste Lösung die wäre, für den Fall, dass jemand von Ihnen kündigt, die Stelle nicht in vollem Umfang wieder zu besetzen. Das würde dann aber bedeuten, dass die Arbeit selbstverständlich neu verteilt werden müsste, denn es kann ja nicht sein, wenn beispielsweise Frau Förster geht, dass die Region Hille in die Röhre guckt, während alle anderen weiter arbeiten wie bisher. Vielleicht denken Sie da in ihrer Klausur in naher Zukunft mal drüber nach, wie Sie die Arbeit im Synodal-Jugendreferat noch zentraler und effektiver gestalten können. Von kleinräumlichem Kirchturmdenken müssen Sie sich sicher verabschieden. Und ich verabschiede mich jetzt von Ihnen, denn ich muss in einer Stunde in Bielefeld beim Präses sein. Frohes Schaffen noch.“
Sprach's und verschwand und ließ die Anwesenden mit offenen Mündern zurück.
„Möge ihn der Blitz beim Kacken erwischen.“, zischte Katharina und Hilke lachte laut auf. „Ich danke dir für deine Deutlichkeit.“, sagte sie. „Ich glaube, was der hier von sich gegeben hat, müssen wir nicht wirklich ernst nehmen. Ich glaube, das wird weder vom KSV noch von der Kreis-Synode getragen und wenn in zwei Jahren der neue Sup gewählt wird, ist er sowieso weg vom Fenster.“
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