Während die Trachtengilde Stockfeld anschließend fulminant über das aufgebaute Holzparkett fegte, marschierten die geehrten Wegbereiter der deutsch-italienischen Freundschaft von der Tanzfläche durch das Zelt. Das gemeine Volk huldigte ihnen mit Händeklatschen, Händeschütteln und Schulterklopfen.
Dafür dass man glauben konnte bei einer Probe für das Musikantenstadl zu sein, sorgte auch der Spielmannszug aus der Partnergemeinde, der erneut mit einem Wummtata-Marsch glänzte.
Auch die Berliner Tanzbären waren sich schnell der besonderen Bedeutung der Situation bewusst, nahmen sofort wieder die Produktion von Glückshormonen auf und zelebrierten ihre rhythmischen Ovationen schwuppdiwupp abermals stehend in luftiger Höhe.
Zwei Nanosekunden nach dem 100 Dezibel-Triumphzug müssen dann die oberhessische Integrationsfigur, Alessandro, Luigi und einige andere Vertreter des harten deutsch-italienischen Kerns in der Sektbar gelandet sein. Oma schwört heute noch, sie seien schnurstracks von der Tanzfläche mit den Urkunden in der Hand Richtung champagne bar verschwunden. Und hier nahm das Drama dann seinen Lauf. Unser frisch gekürter Großvater legte seine eh schon nicht besonders stark ausgeprägte protestantische Askese wieder einmal extrem schnell ab und ließ die Puppen tanzen. Von wegen ein Gläschen in Ehren. Für ihn ist das auch eine Form von Größe.
Auch einige der Berliner Trinksportfreunde hatten mittlerweile einen Stellungswechsel vorgenommen und die schummrige Barbeleuchtung dem hell erleuchteten Festzelt vorgezogen. Und wie im normalen Leben auch, hatten sich dann dort auch gleich holterdiepolter die Richtigen gefunden.
Im Laufe der Nacht und der frühen Morgenstunden gaben die drei Hasardeure den jungen Hüpfern unter anderem eine umfangreiche und mit zahllosen Räubergeschichten gespickte Einführung in die komplexe deutsch-italienische Fußballgeschichte, deren Ursprünge streng genommen irgendwie auch in Stockfeld liegen ("Wida wat jelernt!"), und der Vogelsbergfürst hatte sehr wahrscheinlich abermals etwas zu ausführlich vom Jahrhundertspiel in Mexico-City während der Fußballweltmeisterschaft 1970 geschwärmt.
Das Halbfinale gegen die Azzurri war ein Hochamt des Fußballs gewesen und die Dramen dieser Begegnung wurden Legenden.
Der damals für den A. C. Milan spielende Schnellinger genoss so etwas wie einen Kultstatus unter den Italienfreunden in Stockfeld und hatte mit seinem zwischenzeitlichen Ausgleich die deutsche Niederlage noch etwas aufschieben können. Bei den emotionalen und mit viel Herzblut angerührten Schilderungen des wandelnden Fußballlexikons konnte man den Eindruck gewinnen, das Spiel sei erst letzte Woche gewesen und habe ein Trauma bei ihm ausgelöst. Fakt ist jedenfalls, wann immer der Vogelsbergbaron den Joker Schnellinger aus der Erzählkiste zieht, wird es intensiv, sehr intensiv.
Ja, und so war es auch in dieser Nacht. Der gelernte Vorstopper, für den Fußball Arbeit, Maloche, Grass fressen, Birne hinhalten, Kampf Mann gegen Mann ist, landete noch einige Treffer in der Sektbar, aber auch meine Jungs hielten mit einer Mischung aus Härte und Herzlichkeit ordentlich dagegen. Zu später Stunde kramte der Nestor der deutsch-italienischen Freundschaft noch einmal das Pappschild hervor und es durften sich noch einige Liebhaber der berauschenden Substanz in die Torschützenliste eintragen. Man einigte sich auf ein Unentschieden und stimmte darüber überein, dass die überragenden Leistungen beider Teams ein Rückspiel in Berlin verdient hätten. Danach kroch man auf dem Zahnfleisch nach Hause beziehungsweise in die Garage.
Das Pappschild hat übrigens einen Ehrenplatz in unserer Berliner Stammkneipe und noch heute wird in der Mannschaft unterschieden in diejenigen, die dabei waren und diejenigen, die sich die Geschichte bereits zum xten Male anhören mussten. Überflüssig zu erwähnen, dass der Handlungsablauf natürlich jedes Mal atemberaubender wird und die drallen Landfrauen knackiger und wilder.
Apropos Kultstatus.
Noch vor unserer Weiterfahrt nach Berlin hatte es Klaus, trotz erhöhtem Cholesterinbierspiegel, kleinem Filmriss und riesigem Kater noch geschafft, dem Fußball-Junkie die Ehrenmitgliedschaft beim FC Glasvoll anzubieten. Für Opa mit seinem traditionellen Verständnis von Teambuilding sind derartige Nächte überaus wichtig für sein System von Vertrauens- und Netzwerkbildung. Danach kann er ungehemmt menschliche Wärme zulassen. Eine symphatische Einstellung.
Natürlich zögerte er keinen Moment und nahm dankend an.
Bei unserem letzten Pfingstturnier wurde der bunte Hund als Ehren-Ranger begrüßt und durfte anschließend bei bestem Fritz-Walter-Wetter mit sichtbarer Rührung die Pokale während der Siegerehrung überreichen. Der "Schnellinger aus dem Vojelsberg” mit seinem Senioren-Street-Style hat in Berlin einen richtigen kleinen Fanclub und es vergeht kaum ein Training oder Spiel, ohne dass ich auf den Jux-und-Ulk-Senior angesprochen werde.
Auch bei ehemaligen Schulfreunden, die mit mir früher einen Teil ihrer Ferien oder ein Wochenende bei Opa und Oma verbrachten und die oberhessische Gastfreundschaft erleben durften, steht der Tausendsassa mit seiner großväterlichen Robustheit auch nach etlichen Jahren immer noch unter Denkmalschutz. Und das wird hoffentlich auch noch eine Weile so bleiben.
Es ist müßig darüber zu spekulieren, aber für mich steht fest, dass Mamas und damit auch unsere etwas aus der Rolle fallenden Lebensentwürfe, die uns über den gesamten Globus führten, ihren Ursprung im Vogelsberg haben. Die gelebte Völkerverständigung meiner Großeltern, wenn auch etwas Italien lastig, ist fester Bestandteil der Zimmermann-Piero DNA.
Dafür, dass dies auch so blieb, sorgte vor allem einer. Die passgenauen genetischen Wurzelbehandlungen des Leitwolfs des Zimmermann-Rudels stellen heute noch sicher, dass die Erdung unserer Familie nie verloren geht und keiner auch nur auf die Idee kommt, die Bodenhaftung zu verlieren.
"Ball flach halten”, heißt das in den Worten des VB-Fußballgotts, der die Füße und Knöchel seiner Gegenspieler gelegentlich heute noch malträtiert und auch zwischen den Ohren noch ausgesprochen beweglich ist. Mit diesem oberhessischen Merksatz im Container konnte eigentlich auch in Brasilien nichts mehr schief gehen.
Theoretisch jedenfalls.
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