Fragen, die kein Mensch braucht, erst recht kein Teenager.
Schuld an diesem Reizklima und ständigen Countdown-Stimmung war unsere Mutter, oder besser gesagt ihr Beruf im Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik Deutschland. "Frau Dr. Dagmar Zimmermann-Piero – Leiterin Kulturabteilung” so oder so ähnlich stand es für ein paar Jahre auf ihrer schmucken Visitenkarte.
Dabei, so erzählte sie es jedenfalls, war sie eher zufällig beim "Amt” gelandet. Nach ihrem Abitur, für das sie trotz NATO-Doppelbeschluss, Wackersdorf, Startbahn West und Waldsterben noch Zeit gefunden hatte und welches ihren alten Herrn kurz an seiner Vaterschaft hatte zweifeln lassen, hatte sie in Gießen Tiermedizin studiert und auch eine kurze Zeit als Tierärztin gearbeitet.
Opa, er plaudert heute noch gerne und oft aus dem Nähkästchen, erzählte später immer wieder, dass Black Beauty, das Pony vom Nachbarn, entscheidend für Mamas Studienwahl gewesen sei. Angeblich verbrachte sie als Schülerin jede freie Minute mit Blacky und erzählte bereits als Zwölfjährige jedem, dass sie Tierärztin werden wollte.
Opa Herbert hatte bis zum Schluss gehofft, dass sie in seine Fußstapfen treten würde und sich für ein Lehramtsstudium entscheiden würde. Nicht nur, weil damit die große Lehrertradition der Familie Zimmermann hätte fortgeschrieben werden können. Für Opa war es vermutlich noch wichtiger, dass sein Spross damit auch Beamtin werden konnte. Das Berufsbeamtentum ist für ihn so etwas wie die höchste irdische Weihe, die die Republik zu vergeben hat und für seine Tochter konnte er sich das richtig gut vorstellen.
Aber Mama war hart geblieben und hatte ihr Ding gemacht. Daher war die Aufgabe des Berufs als Tierärztin auch so etwas wie eine kleine Schlappe Opa gegenüber und der Schritt ist ihr wohl auch deshalb nicht leicht gefallen.
Irgendwann hatte sie dann keinen Bock mehr auf armlange Latexhandschuhe und unzählige Bereitschaften und Wochenenddienste. Von einer ehemaligen Freundin aus gemeinsamen Tagen im Studentenwohnheim hatte sie vom Auswärtigen Dienst erfahren und sich wohl auch aus einem Stück Verzweiflung heraus dort beworben.
Ihr großer Pluspunkt waren eindeutig ihre Fremdsprachenkenntnisse. Neben Englisch und Französisch war sie auch in Schwedisch und Portugiesisch nahezu perfekt. Ja, und natürlich Italienisch.
Laut Oma Gisela sind ihr die Sprachen früher "nur so zugeflogen” und noch heute erzählt sie auf Familienfesten stolz davon, wie die Tochter in jedem Urlaub nach wenigen Tagen zur perfekten Dolmetscherin mutierte.
Für den Vater mit den Spezialinstinkten war der Berufswechsel seiner Tochter die verspätete Krönung seiner Erziehungsarbeit. Der Spross aus der oberhessischen Beamtendynastie war jetzt nicht nur Staatsdienerin sondern konnte auch Besoldungsstufen erreichen, von denen er nur hatte träumen können. Stolz wie Oskar erzählte er damals jedem, der es wissen wollte und natürlich auch allen, die es nicht wissen wollten, wie hart das Auswahlverfahren gewesen sei und dass nur die top fünf Prozent und, und … Er sorgte auch dafür, dass bei jedem noch so untauglichen Anlass die gesamte Sippschaft und sein riesiger Bekanntenkreis über die berufliche Laufbahn der Kronprinzessin " upgedatet" wurden.
Mutter und Tochter hatten mehrfach versucht, den Tyrannosaurus Rex davon zu überzeugen, "nicht so auf die Pauke zu hauen”, zumal einige Sachen auch einfach nicht zutrafen. Ihr Wunsch war so verständlich wie aussichtslos. Sehr wahrscheinlich hatten sie jedoch selbst nicht daran geglaubt, dass der Mann mit dem Sieger-Gen sich davon beeindrucken lassen würde. Ein Mangel an Wissen hält ihn auch heute noch nicht davon ab, Meinungen als Fakten auszugeben. Zu seinen Stärken gehörte zweifelslos auch anderen zu erklären, was sie alles falsch machen.
Laut Oma fehlt es dem Sprüchemacher, der sich immer sehr stark für die eigene Meinungsfreiheit einsetzt, in solchen Momenten ein bisschen an intellektueller Beweglichkeit und Elastizität.
"Nicht alle Latten am Zaun!"
Wie dem auch sei, in den Augen des VB-Buddhas war die Tochter jetzt eine richtig große Nummer und es zählte zu den Aufgaben des meinungsstarken Seniors, dies in unregelmäßigen Abständen bei passender und unpassender Gelegenheit immer wieder einmal an die große Glocke zu hängen.
Noch während Mamas Zeit im Studentenwohnheim hatte es für sie einen anderen " live changing moment" gegeben (O-Ton Opa Herbert). Natürlich ist auch der Spiritus Rector der Zimmermann-Horde mehrsprachig. Nicht ganz so flüssig wie seine Tochter aber nach ein paar Kümmel und Korn meistert er Sprachbarrieren, die Minuten vorher noch als unüberwindbar galten.
Im Nachbarflur hatte sich ein Italiener für ein Semester einquartiert. Ihre Freundin hatte sie gebeten doch einmal rüber zu kommen und etwas zu dolmetschen. Es würde sich lohnen. Ja, und das hat es sich dann auch an jenem schicksalshaften Tag.
Der Architekturstudent aus Pisa, Giuliano Piero, der so überraschend in ihr Leben getreten war, hängte noch spontan zwei "Forschungssemester” dran, wurde von Opa Herbert auf der Stelle zu seinem neuen Lieblingsitaliener befördert und hätte sich dem, was danach noch alles kommen sollte, wahrscheinlich nur noch durch Selbstmord entziehen können.
Das junge Glück mit den Schmetterlingen und sprühenden Funken wurde jedoch für ein gutes Jahr noch einmal auf eine harte Probe gestellt. Papa flüsterte "Arrivederci" und bretterte mit seiner Sardinenbüchse zurück in den Stiefelstaat, um sein Studium zu beenden. Bei dieser Entscheidung hatten nonna Emilia und nonno Dino etwas nachgeholfen. Die Tatsache, dass das Dorfkind damals schon schwanger mit Chiara war, machte die Sache nicht einfacher. Im Schatten des Pisaer Wahrzeichens überraschte der Italiener die Frau mit dem legendenumwobenen VB-Autokennzeichen mit der Frage aller Fragen und Holter-die-Polter wurden noch die Ringe getauscht.
Herbert "Hannibal” Zimmermann führte den Konvoi aus einem Reisebus und etlichen Pkws sicher über die Alpen und muss auch in seiner Rede während der Hochzeit wieder intuitiv die richtigen Worte gefunden haben. Obwohl ich unsere Großfamilie als überdurchschnittlich kommunikativ bezeichnen würde, ist es mir bis heute nicht gelungen, etwas Näheres über Opas Auftritt zu erfahren. Auch er selbst reagierte auf meine Nachfragen ungewöhnlich zurückhaltend und nuschelte sich kleinlaut etwas von ”Alles Kokolores … sollen sich nicht so anstellen … und konnte auch nicht wissen, dass der Traubensaft so rein haut …” in die Spaghetti.
Das Einzige, was durchsickerte war, dass der mündige Senior wohl wieder versucht hatte, seinen uralten Sätzen ein Zeitgeist-Mäntelein überzustülpen, und bei dem Vorhaben, dabei soll es um Architekten und Pisa gegangen sein, die Pointe sensationell vergeigte. Einzig sein Bruder Leo hätte für einen kleinen Moment laut gelacht und mit der flachen Hand auf den Tisch gehämmert. Aber auch nur bis er den Ellbogen von Tante Beate in seinem Brustkorb spürte. Ansonsten Totenstille.
Ich kann mir die Situation lebhaft vorstellen, denn die mit reichlich viel schlüpfrigem Altherrenhumor ausgestatteten Witze und Schüttelreime der selbst ernannten Spaßgranate sind heute noch Glückssache. Da gibt es gute und, naja, nicht so gute.
Hatte unser Familiensprachrohr während der Hochzeit ordentlich auf die Pauke gehauen, war es unsere tief im protestantischen Glauben verwurzelte Muster-Oma Gisela gewesen, die den Hochzeitsvorbereitungen ihren Stempel aufgedrückt hatte.
Als ein wahres Problem hatten sich die unterschiedlichen Konfessionen der Brautleute erwiesen. In dem Glaubenskrieg wurde mit harten Bandagen gekämpft und es ging so weit, dass die oberhessische Familienhirtin, die Seele des Zimmermann-Clans und eigentlich ein engelsguter und besinnlicher Mensch, damit drohte, der Verehelichung fernzubleiben. Der Haussegen war gewaltig in Schieflage geraten. Es war offensichtlich, dass i sposi diese Geschichte gnadenlos unterschätzt hatten.
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