Am Ende der zweiten Saison feierte das ganze Dorf die Meisterschaft und campione Alessandro und eroe Luigi stiegen fortan zur regionalen Fußballprominenz auf.
Obwohl sie bessere Angebote von finanzstärkeren Vereinen vorliegen hatten, blieben sie ihrem Kumpel und dem TSV bis zu ihrer Rückkehr nach Italien treu.
Das lag vielleicht auch daran, dass unser Turbo-Opa alle 14 Tage mit seinem alten Opel Rekord nach Frankfurt zu Hertie gurkte, wo sie nicht nur italienische Waren einkaufen konnten, sondern sich auch mit Bekannten aus der alten Heimat trafen. Das war zumindest die offizielle Version. Unsere bibelfeste und weitsichtige VB-Oma vermutete da auch noch andere Aktivitäten, weshalb sie vor jeder Fahrt noch einmal mit funkelnden Augen intensiven und direkten Blickkontakt mit ihrem Gemahlen aufnahm.
Der passionierte Opel-Fahrer hatte auch dafür gesorgt, dass sie die alte Barracke (14 m², vier Mann, Etagenbetten, ein Tisch, vier Stühle) verlassen konnten und bei befreundeten Familien unterkamen. Als dann das neue Vereinshaus am Sportplatz fertig war, organisierte er auch schon einmal einen italienischen Pasta- und Filmabend. Don Camillo e l‘onorevole Peppone und die Gemüselasagne unserer eigentlich zur Kartoffelfraktion gehörenden Großmutter zählten zu den großen Favoriten.
Aber Alessandro und Luigi konnten nicht nur mit dem runden Leder gut umgehen. Ihr Spektrum reichte weit über die 100 Meter eines Fußballfeldes hinaus.
Oma Gisela erzählte immer wieder, wie die Italiener nicht nur der dörflichen Fußballmannschaft gut getan hatten. Auch außerhalb des Platzes müssen sie wohl öfters zur Höchstform aufgelaufen sein und den einen oder anderen Treffer gelandet haben.
Anfangs waren die dörflichen signorine noch sehr zurückhaltend, was ihren Umgang mit den Italienern anging. Doch das sollte sich schon bald ändern.
Die alljährlichen kulturellen Höhepunkte des Dorflebens wie Kirmes, Fasching und Vereinsfeste boten der amicizia italiana-tedesca eine willkommene Plattform. Laut Oma waren die hüftsteifen und große Töne spuckenden Dorfhelden spätestens gegen 23.00 Uhr so breit und fußlahm, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten, geschweige denn tanzen konnten. Dann schlug die große Stunde der Südeuropäer. Zunächst auf dem Parkett, später dann wohl auch anderswo.
Diese Form der Verschwisterung wurde jedoch nicht von allen begrüßt und es gab öfters böses Blut. Zum Glück verstanden die beiden kaum einen, der zum Teil unterirdischen und wenig zimperlichen Kommentare. Aber die hitzigen Wortgefechte zwischen "Itakern” und "Spaghettifressern” auf der einen Seite und crauti e wurstel auf der anderen Seite konnten schon etwas auf die Stimmung drücken. Es ging zur Sache und es wurde ganz bestimmt nicht mit Wattebäuschchen geschmissen.
Dabei gab es auch Situationen, die fast schon wieder lustig waren. Wenn Opa von seinen amici italiani spricht, vergisst er selten die sogenannte Panzergeschichte zu erwähnen. Dabei achtet die VB-Ikone jedoch immer darauf, dass Oma nicht in der Nähe ist. Sie findet die Geschichte offensichtlich nicht ganz so witzig.
Einige örtliche Weltkriegsveteranen hatten irgendwann zu fortgeschrittener Stunde den Versuch unternommen, Alessandro und Luigi Kalauer über italienische Panzer (anscheinend hatten diese einen Gang mehr: den Rückwärtsgang) zu erzählen.
Der starke oberhessische Dialekt und die vorherige Aufnahme von deutlich zu viel Hochprozentigem verhinderten allerdings, dass die Pointe zündete. Auch alle Versuche den Witz mit Gesten rückwärtslaufend und mit Panzergeräuschen untermalt, darzustellen, schlugen fehl.
Als dann einer der Komiker auch noch das Panzerrohr mit etwas zu einfachen Gesten darzustellen versuchte und beim Rückwärtslaufen zunächst die halbe Tanzfläche abräumte und anschließend die gesamte Bläserreihe der Tanzkapelle mit seiner Einlage außer Gefecht setzte, hatten die Italiener die Panzerschlacht, zumindest an diesem Abend gewonnen, ohne auch nur einen Schuss abgefeuert zu haben.
Natürlich konnten sich Alessandro und Luigi bei diesen Anekdoten ebenfalls feste auf die Oberschenkel klopfen. Derlei Geschichten gab es einige und das Vogelsberger Original macht es sich heute noch zu seiner Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sie in unregelmäßigen Abständen immer mal wieder aufs Tablett kommen.
Auch wenn es manchmal knirschte und trotz aller germanischer und italo Machospielchen, am Sonntag auf dem Sportplatz war (fast) alles vergessen. Ein Doppelpack von Alessandro, ein Abstauber von Strafraumschreck Luigi und das ganze Dorf lag ihnen wieder eine Woche zu Füßen. Forza TSV!
Opa und Oma waren es auch, die das zarte Pflänzchen der amicizia italiana-tedesca schon früh auf eine neue Ebene gehoben hatten. Zusammen mit einigen Freunden hatten sie einen Verein gegründet, es gab ja auch so wenige in Stockfeld, dessen Ziel nicht nur "die Aufnahme und Pflege aufrichtiger deutsch-italienischer Freundschaftsbeziehungen” war. Auch die Sprache sollte laut Satzung erlernt und gepflegt werden sowie Kunst und Kultur bei den monatlichen Treffen vermittelt und ausgetauscht werden. So steht es heute noch auf der Hompepage.
So richtig Fahrt nahm die Geschichte aber erst auf, als der Bürgermeister von der Idee hatte begeistert werden können. Danach dauerte es nicht mehr lange und Stockfeld konnte sich die Verschwisterung mit Poggibonsi, dem Heimatort der beiden italienischen Spaßvögel in der Nähe von Siena, auf das Ortsschild drucken.
Es folgten Kochkurse, Weinseminare, Vorträge und Sprachkurse, Omas und Opas noch heute berühmter Lichtbildvortrag von ihrer Reise Milano – Roma – Napoli (angeblich hatte Opa ein paar Dias eingebaut, die vorher nicht mit seiner Gattin abgesprochen waren) und, und, und. Die lokale und überregionale Presse schwärmte von den Italienbummlern aus der Oase in der Kulturwüste Oberhessens und vom Dolce Vita al volcano .
Bis heute hat sich die Tradition gehalten, dass man sich abwechselnd jedes Jahr entweder in Italien oder im Vorderen Vogelsberg für ein langes Wochenende trifft und die Freundschaft hochleben lässt.
Mein Cousin Roland ist seit fast 2 Jahren der Präsident des Vereins und kann sich immer darauf verlassen, dass ihm Opa noch ein paar gut gemeinte Ratschläge mit auf den Weg gibt. Dabei wird auch öfters das eine oder andere Hühnchen gerupft. Nicht-los-lassen-können, auch so eine Alte-Männer Krankheit.
Allerdings hat Roland bereits den ultimativen Loyalitätsbeweis für sein Amt geliefert. Seit seinem 21. Lebensjahr ist er mit Isabella, einer entfernten Verwandten von Luigi, verheiratet und zusammen mit ihren beiden Töchtern gelten sie als das Musterbeispiel der gelebten Völkerverständigung.
Darüber freuten sich besonders unsere Eltern, denn damit hatten sie ihren Titel als deutsch-italienisches Glamourpaar endlich abgeben können. Zumindest in Stockfeld.
Ich hatte mich noch gewundert, dass am Sportplatz, der noch deutlich vor dem Ort liegt, sämtliche Parkplätze belegt waren, ohne auch nur einen Zuschauer erkennen zu können. Aber der Groschen fiel erst als ich am Ortseingang das über die Straße gespannte Banner mit der Aufschrift: "Poggibonsi – Stockfeld: 4 5 anni d‘amicizia italiana – tedesca" las und rechts und links am Straßenrand die Fußgänger Richtung Dorfmitte strömten.
"Hej, hier ist ja richtig wat los? Und det allet wejen uns. Det nenn ick ene Bejrüßung!”
Auch ohne das Banner gelesen zu haben, war meinen gut gelaunten Passagieren gleich aufgefallen, dass sich hier etwas abspielte, was aus dem dörflichen Alltagsrahmen fiel.
Es ging nur im Schritttempo voran und während meine Sportsfreunde das Fußvolk winkend aus dem Minibus grüßten, Sir Hape und Königin Beatrix wären stolz auf sie gewesen, versuchte ich Opa Herbert zu erreichen. Es dauerte etwas bis ich ihn am Handy hatte und er mir in bester Laune kurz mitteilte in welcher Garageneinfahrt ich den Minibus parken sollte. Seine Stimme konnte sein Grinsen nicht verbergen. Tatsächlich war an ein Weiterfahren wegen der Menschenmassen nicht mehr zu denken.
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