1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Laut Fahrplan sollten wir bereits am 9. März in Seattle ankommen. Doch das war das übliche Wunschdenken der Schiffsplaner in der Reederei und der Agentur in Hamburg. Tatsächlich liefen wir erst am 7. März aus Wilmington / Long Beach aus, und bedingt durch die Wetterentwicklung hatten wir gegenüber dem Fahrplan sogar sieben Tage Verspätung, denn es wackelte unangenehm vor der Küste Kaliforniens. Damit hatte sogar der Alte nicht gerechnet. Wir machten auf unserem Kurs nach Seattle zeitweilig weniger als 7 Knoten Fahrt. Zu unserem Glück im Unglück hatten wir Wind und See direkt von vorn. Und da das Schiff nicht gerade abgeladen war, machte es fürchterliche Stampfbewegungen, so dass Kapitän Herbst unter Absprache mit dem Chiefingenieur, Herrn Thun, die Umdrehungen zurückfahren musste. Wir wollten nicht die restlichen Käfer in Gefahr bringen. Am 14. März hatte sich der Kuhsturm fast ausgetobt, wir hatten verrückterweise fast spiegelglatte See. Nur der Schwell war immer noch hoch, und die olle KARPFANGER fiel in jedes Loch, das sich vor ihr auftat. Während des Kuhsturms hatten wir zeitweise auf einer Wache nur 27 Seemeilen gemacht. Als wir am 16. März Cape Flattery umrundeten und in die Strait of Juan de Fuca einliefen, gab es noch einmal eine kurze wüste Rollerei, doch dann mit Wind und See von achtern lag das Schiff ruhig wie ein Bügeleisen. Unsere Fahrt verlief bis Port Townsend, von dort am Admirality Inlet vorbei bis Edmonds bis in den Puget Sound. Unser Zielhafen Seattle war erreicht. Ende der Reise Long Beach – Seattle.
Der Seelotse, der schon querab von Port Angeles an Bord gekommen war, übergab uns dem Hafenlotsen, der uns mit zwei Hafenschleppern erwartete und zu unseren Terminal bugsierte. Nach dem Festmachen wurden wir wie überall in den Häfen auf der Welt von einer Abordnung Immigration Officers, Custom Officers, Port Health Officers und Shipagency erwartet und abgefertigt, ehe die Stevedoring Company an Bord erschien und von dem Ladungsoffizier, also dem 1. Offizier, Herrn Deak, ihre Ladungspapiere erhielt und ihre Arbeitsgänge einteilen konnte. Wie schon in Los Angeles, die Luken wurden von den Hafenarbeitern selbst geöffnet. Eine Entlaschgang löste alle Laschings von den für Seattle bestimmten Käfern, und dann ging der Löschbetrieb los. Aber alles piano piano. Nicht so verrückt wie in Hamburg, Bremen, Rotterdam oder Antwerpen. Für die longshoremen war es wichtiger, dass ein Sicherheitsnetz unter dem Fallreep angebracht war. Die Stückzahl der Käfer, die an Land gelöscht wurden, war für sie uninteressant.
Ein Waterclak unserer Agentur Williams Dimond & Co. im Hoge Building, in der 2nd & Cherry Street, überbrachte Kapitän Herbst die Ladungspapiere für die kommende Reise nach Hawaii Islands. Hier in Seattle war die Linienfahrt aus dem Gemeinschaftsdienst mit der Finline zu Ende. Die neue Charter lief unter der Regie der Hanseatischen Reederei Emil Offen & Co. KG, soll heißen, für die ungewöhnliche Zwischenreise nach Honolulu und Kahului auf Maui, eine der Hawaiian Islands, wurde bereits in Seattle die erste Ladung, Stückgüter, meistens Holzprodukte wie Sperrholz in großen Paketen für den Hausbau auf den Hawaiian islands, an Bord genommen. Am 19. März hatten wir unsere erste Teilladung an Bord und am gleichen Tag verholten wir noch nach Vancouver.
Die Verholreise von Seattle nach Vancouver dauerte um die vier Stunden. Ich erinnere mich noch genau, dass wir zunächst unter der Lions-Gate-Bridge hindurch am Stanley-Park vorbei erst im Hafen von Vancouver an einem Terminal festmachten und dort die ganze Einklarierungsprozedur auf „kanadisch“ über uns ergehen lassen mussten. Denn jetzt waren wir im very british West-Canada gelandet. USA war gestern. Die Shipping Agency hieß jetzt auch Dingwall, Cotts & Co. in der West Hastings Street. Wahrscheinlich ist sie dort auch heute noch zu finden.
Wie gesagt, es war der 19. März 1959, heute bereits über 50 Jahre her. Wir sollten eine ganze Schiffsladung Stückgüter nach den Hawaiian Islands bringen. Und das waren fast alles Forstprodukte, Pakete mit auf Länge vorgeschnittene Bretter, Bohlen, Balken, sprich alles, was die Hausbauindustrie benötigte und „News-Print“-Rollen (Zeitungspapier in riesigen Rollen für eine Druckerei). Unsere letzten Käfer hatten wir bereits in Seattle an Land gelöscht.
Vancouver, die Perle von British Columbia (heute). Im Hintergrund, das X-Trade & Convention Centre, direkt rechts davon, wo der heutige Yachthafen liegt, dort standen früher die Terminals für die Stückgutschiffe, dort fand die Einklarierung am 19. März 1959 statt. Rechts der Stanley-Park, ein Nationalpark. – Quelle des Fotos: ein guter Freund in New Westminster.
Und noch etwas: Vancouver war nur der Einklarierungshafen. Geladen wurde in New Westminster, eine Art Vorort von Vancouver, am Frazer River gelegen. Das hieß, wir mussten nochmals eine kleine Verholreise antreten, sprich: einmal aus Vancouver raus, um die Ecke rum und den Frazer River aufwärts.
Dort, wo auf dem nächsten Bild das Schiff zu sehen ist, lagen wir damals und bekamen eine Ladung News Print (Zeitungspapier in riesigen Rollen), die höchst vorsichtig im Unterraum auf dem Sperrholzpaketen abgesetzt wurde. Das heißt, eine Zimmermannsgang hatte vorher mit Sperrholzplatten direkt über der Sperrholzladung eine absolut ebene Fläche ausgelegt und gezimmert, auf die die Rollen stehend geladen wurden.
Jede einzelne Rolle wurde von einem Claim-Tallymann einer „cargo inshurance“ absolut genau auf Druck- oder Stoßschäden nach dem Absetzen kontrolliert und dieses protokolliert und fotografiert.
Das war das Terminal in New Westminster am Frazer River, wo wir einen Teil der Ladung für Hawwaii übernahmen. Diese ganze Ecke wurde Jahre später, als die Containerschiffe die Stückgutschiffe verdrängt hatten, abgerissen und zu einer Flaniermeile umfunktioniert. In den über 50 Jahren seit damals hat sich verdammt viel verändert in diesem Land.
Sobald eine Lage im Unterraum geladen war, wurde diese wie vorher von der Zimmermannsgang mit Sperrholzplatten abgedeckt, und dann kam die nächste Lage drauf. An den Seiten zu den Schweißlatten wurden die stehenden Rollen mit Fendern aus Gummi gegen ein Überholen und Verrutschen stabilisiert. Die Kanadier hatten im Stauen von Zeitungspapierrollen große Erfahrungen. Auf jeden Fall war das eine sehr teure Ladungsparty, die wir an Bord nahmen.
Auch in British Columbia liefen die Uhren anders als in den europäischen Häfen: Keine Hektik, dafür wurde auf Sicherheit größter Wert gelegt, sowohl auf die Sicherheit der Hafenarbeiter als auch auf die Sicherheit der zu ladenden Stückgüter. Und, es wurde nur in einer Tagesschicht gearbeitet, damals jedenfalls, also im Jahre 1959. Wir empfanden diese Arbeitsmoral als sehr positiv, denn wir hatten endlich auch Gelegenheit, an Land zu gehen und dabei Menschen kennen zu lernen. Und man staune, wie viele deutsche Auswanderer aus der alten Heimat sich in Vancouver und Umgebung niedergelassen hatten. Ich lernte gleich zwei junge Männer kennen. Der erste hieß Peter Wunderlich, kam ursprünglich aus Itzehoe und war in New Westminster der große Hans Dampf in allen Gassen. Pech für ihn war nur, dass wir einen Elektriker an Bord hatten, der mit ihm früher zusammen zur Schule gegangen war. Als er seinen ehemaligen Schulkollegen, also unseren Elektriker, wiedersah, fiel ihm die Klappe runter. Unser Blitz nahm ihn mächtig in die Zange und quetschte ihn aus. Womit er seinen Lebensunterhalt verdiene, wo er wohne, was er verdiene? Und siehe da, es stellte sich heraus, dass all seine blumigen Geschichten, die er uns erzählt hatte, gar nicht wahr waren. Der Knabe wollte uns weismachen, dass er „Nationalpark-Ranger“ war. Aber als wir ihn baten, sich als Ranger auszuweisen, da konnte er es nicht. Einem anderen Kollegen erzählte er, er wäre „fire fighter“, das sind die Jungens, die bei Waldbränden vom Flugzeug aus per Fallschirm in der Nähe des Brandzentrums abspringen. Dann ließ er durchblicken, dass er in einem Jahr nach Deutschland zurückkehren wolle. Aber sich überall durchschmarotzen, das konnte er. Er log, dass die Balken sich bogen. Keiner wollte weiterhin etwas mit ihm zu tun haben. Und das ließen wir ihm klar durchblicken.
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