1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 Man soll aber nicht alle Deutschen, die hier in Kanada gelandet waren, über einen Kamm scheren. Der nächste junge Mann, den ich kennen lernte, war ein 22jähriger Bengel aus Hamburg. Sein Name: Harald Rodde. Und dem ging es sehr gut hier in New Westminster. Harald war der Sohn eines Hamburger Kaffeemaklers, der in der Maklerei Elvers, Dallmer & Sanne am Pickhuben 6 – Sandtorquaihof tätig war. Das ist irgendwo in der Speicherstadt. Ob die Firma heute noch existiert, ist ungewiss, nachdem Herr Tschibo den Kaffeehandel an sich gerissen und ziemlich alle Konkurrenten platt gemacht hat. Harald hatte zum Entsetzen seiner Eltern eine Ausbildung in der Landwirtschaft gemacht, vielleicht aus Protest, denn er wollte keinen Büro- und Reisejob wie sein Vater machen. Und diese dreijährige Ausbildung hatte er auf einem Gutshof der Familie Ranzau irgendwo in Dithmarschen durchgezogen. Vielleicht hatte er nach der Ausbildung Stress mit seinen Eltern gehabt. Auf jeden Fall wollte er für ein ganzes Jahr nach Canada auswandern, sprich mit dem Schiff nach Vancouver verschwinden. Sein Vater hatte dafür Verständnis gezeigt und ihm das Geld für die Überfahrt gegeben. Er war nie auf einer kanadischen Farm angekommen. Harald war Pragmatiker und fühlte sich in Vancouvers Umgebung sofort zuhause. Er war nicht wählerisch gewesen und hatte sich einen Job in einer Lumber Mill (Sägewerk) genommen, war nicht in die UNION (Gewerkschaft) eingetreten und bekam aus diesem Grunde den schlechter bezahlten Job des Holzbohlenstemplers. Er musste die fertig geschnittenen Bohlen, Balken und Bretter an den abgeschnittenen Enden mit roter Farbe stempeln. Ihm machte das nichts aus, was andere über ihn dachten. Er war immer zu jedermann hilfsbereit und freundlich und bekam am Monatsende 280 Can$ ausgezahlt. Er wohnte bei einer österreichischen Familie zusammen mit drei anderen deutschen Auswanderern und musste für Kost und Logie ganze 65 Dollar abdrücken. Und mit diesem jungen Mann hatte ich mich angefreundet.
Das heißt, wenn er Feierabend hatte, dann holte er mich mit seinem VW-Käfer vom Schiff ab, wenn es sich einrichten ließ. Denn einer von uns drei Offizieren musste die Sicherheitswache übernehmen. In New Westminster versuchte ich auf jeden Fall immer, einen meiner vorgesetzten Kollegen zu kaufen. Herr Stambor hatte abends nach Feierabend in der Regel nicht viel vor. Harald fuhr mich in seinem Käfer durch New Westminster und Vancouver, zeigte mir die Viertel, wo hauptsächlich deutsche Einwanderer wohnten, zeigte mir deutsche Geschäfte, z. B. Schlachter- und Bäckereien und deutsche Restaurants.
Er machte mit mir auch einen Abstecher in den Stanley-Nationalpark und zeigte mir dort eine Ecke, wo indianische Totempfähle aufgestellt waren. Ich konnte mit dem besten Willen nichts Unsympathisches an ihm entdecken.
Seit diesem Kennenlernen besuchte er mich jede Reise, egal mit welchen Schiff ich von der Hanseatischen Reederei Emil Offen & Co. dort in New Westminster ankam. Wir wurden damals gute Freunde und sind es bis heute geblieben. Uns Harald, diese alte treue Seele, kam jedes Mal, wenn ich mit einem von Emils eigenen Schiffen nach Vancouver oder New Westminster kam, zu mir an Bord und gemeinsam – natürlich mit Erlaubnis des Kapitäns und der Kollegen – verdufteten wir an Land, und er machte mir British Columbia schmackhaft.
Klaus Perschke mit Harald Rodde (siehe Nachtrag am Ende des Buches)
Von New Westminster mussten wir eine weitere Verholreise nach Vancouver Island, und zwar nach Port Alberni antreten. Es war eine Reise von etwa acht Stunden, natürlich unter Lotsenberatung. Für dieses Gebiet gab es nur kanadische Seekarten. Warum wir die nicht hatten, weiß ich nicht. Das Verholen muss um den 25. März 1959 stattgefunden haben, denn Karfreitag, den 27. März lagen wir querab von Port Alberni im Fjord vor Anker und warteten auf unseren Liegeplatz, der leider noch besetzt war. An diesen Tag hatte ich einen Brief nach Hause geschrieben und alle meine Eindrücke über Vancouver Island in den schönsten Farben geschildert.
Man muss sich vorstellen, man steht an der Holzpier von Port Albernie. Lieber Leser, Sie blicken hinüber zu der ankernden KARPFANGER.
Wir warteten auf einen freiwerdenden Liegeplatz, auf unseren Berth. Nur, am Karfreitag, dem 27. März 1959, hatte auch die Bevölkerung von Vancouver Island ein Recht auf ihre Osterfeiertage mit dem entsprechend traurigen Osterwetter. Es passte alles zusammen.
Kartenausschnitt von British Columbia mit Vancouver Island mit dem Ladehafen Port Alberni – Quelle: Lloyd’s Maritime Atlas of world ports and shipping places, ISBN 1843110962, page 52
So, wie auf der Skizze, erinnerte diese Landschaft mich an Norwegen. So lieber Leser müssen Sie sich die kanadische Fjordlandschaft von Vancouver Island vorstellen.
Der Himmel war verhangen, es regnete, später ging der Regen sogar in Schneeregen über. Die Sonne hatte keine Chance, die Oberhand zu gewinnen.
Und bei diesem Wetter sah alles noch düsterer aus. Während wir vor Anker lagen, hätten wir genügend Zeit gehabt, eine Bootstour zu unternehmen. Irgendwo am Ende des Fjords aufwärts von Port Alberni sollte eine Flussmündung sein, vor der sich jedes Jahr um diese Zeit riesige Lachsschwärme versammeln, bevor sie aus einem inneren biologischen Drang heraus plötzlich den reißenden Fluss aufwärts zu ihren Laichplätzen ziehen. Bekannt war auch, dass sich zu diesem Zeitpunkt auch die Schwarzbären an den Ufer des Flusses einfinden würden, um sich ihren Anteil an Frischfisch abzufischen.
Die Skizze ist nachträglich aus dem Kopf entstanden
Das hatte uns der ortskundige Lotse erzählt. Nur, bei diesen Schietwetter, bei dem man noch nicht einmal seinen Hund vor die Haustür jagt, hatten unsere Leute auch keine Lust auf eine „sightseeingtour“. Wir zogen es vor, die Feiertage vor Anker an Bord zu bleiben. Eigentlich hatte der 27. März etwas mit Frühlingsanfang zu tun. Nur, das hatte sich in der Natur von Vancouver Island noch nicht herum gesprochen.
Irgendwann nach Ostern wurde endlich unser Liegeplatz frei, sprich: Wir verholten endlich an die Holzpier. Zwei „logpusher“ – kleine sehr stark motorisierte Floßbugsierer – drückten uns an die Pier und warteten, bis wir fest vertäut waren. Nach dem Festmachen und Fallreppausbringen wurden die Luken aufgezogen, und die Tallyleute und der Schiffsvormann ließen sich die Ladeplätze in den Unterräumen zeigen, wo sie ihre Ladungspartien einbringen konnten. Die longshoremen in Port Alberni waren in der Mehrzahl einheimische Indianer, die unter anderem die elektrischen Winden auf den Masthäusern bedienten, alles erfahrene Schauerleute, die aus den näheren Reservaten von Port Alberni kamen. Jetzt konnte der Ladebetrieb beginnen, Schnittholz von unterschiedlichen Stärken für den Hausbau auf Hawaii bestimmt, wurde in genormten Pakethieven abgepackt mit dem eigenen Ladegeschirr übernommen und im Unterraum abgesetzt und zunächst die untere Lage per Gabelstapler gestaut. Das ganze Schiff roch nach frisch gesägtem Pitchpine-Holz, ein angenehmer Geruch. Jedenfalls empfand ich es damals so. Die ganze Landschaft um Port Alberni roch eigentlich danach. Abends, wenn die longshoremen Feierabend hatten, trieb es uns nach dem Abendessen auch an Land. Eigentlich erwarteten wir nichts Aufregendes in diesem 3 000-Seelenkaff. Port Alberni war eine Reißbrettortschaft, schachbrettartig gebaut, allerdings mit breiten Straßen, die nicht nur für den Autoverkehr gedacht waren, sondern in erste Linie wegen der Brandgefahr so angelegt waren. Es sollte im Falle eines Waldbrandes - die ganze Ortschaft war von Waldgebieten eingeschlossen - ein Überspringen der Flammen von einer Straßenseite auf die andere verhindert werden. Logisch gedacht. Natürlich gab es auch etliche Geschäfte in der Main Street, eine Royal Mountain Police Station, ein Gefängnis, in dem fast immer irgendwelche besoffenen Indianer oder Kanadier ihren Rausch ausschliefen, und natürlich gab es auch die entsprechenden Bars. Aber das findet man ja in jeder Hafenstadt auf der ganzen Welt. Eine anglikanische Kirche war natürlich auch vertreten, weiterhin die örtliche Schule. Weitergehende Schulen gab es nur in Victoria an der Südostspitze von Vancouver Island und direkt in Vancouver. Es gab aber auch einen interessanten Store, in dem sich die Mitarbeiter der Loggingcamps und der Lumber Mills hochwertiges Werkzeug, zum Beispiel Kettensägen, schwere Äxte, wetterfestes Arbeitszeug sowie Gummistiefel mit Stahlkappen kaufen konnten, die die Jungens bei ihren schweren Jobs tragen mussten - und die berühmten kanadischen Holzfällerhemden in allen Farben. So etwas hatte ich in Europa noch nicht entdeckt.
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