Quelle: Michael Freund, Deutsche Geschichte, von den Anfängen bis zur Gegenwart, C. Bertelsmann Verlag, München 1985, ISBN 3 570-06662-2, Seite 802.
Ein kleiner sarkastischer Exkurs über eine rückständige deutsche geschichtliche Epoche, die sich erst durch das Aufkommen und der Verbreitung der HANSE und ihren maritimen Kaufmannsgeist im Ost- und Nordseeraum langsam wandelte.
An dieser Stelle mache ich einen Zeitsprung zurück in die Gegenwart von 1959, wo wir mit der KARPFANGER am 16. April die moderne Weltmetropole Honolulu erreichten und dass statt Captain William Brown der „harbour pilot“ die Lotsenleiter an Bord geklettert kam und uns in eins der Hafenbecken von Sand Island dirigierte und wir dort festmachten.
Ich bin mir sicher, dass damals die KARPFANGER in das Hafenbecken hinter Sand Island an einen dieser Dockteminals festgemacht hatte. Dort lagen wir direkt neben einer „Pineapple Factory“. Jeder Hinterwäldler aus der Provinz, der sich entschlossen hatte, zur See zu fahren, und plötzlich vor so einer Kulisse stand und diese atemberaubende Fremde hautnah erlebte, erweiterte schon beim Hinuntergehen des Fallrepps seinen geistigen Horizont. Honolulu hatte eine beeindruckende Urbanität, die Menschen waren offen, hilfsbereit, und freundlich.
Hafenbecken hinter Sand Island – Quelle: Wikipedia
Ich war erstaunt, wie viele Einwohner Oáhus japanische Wurzeln hatten und trotzdem so amerikanisch, locker und selbstbewusst waren. Unser Löschplatz lag direkt neben einer „pineapple can factory“, einer Fabrik, die frisch geerntete Ananas in Dosen verarbeitete, die für den Export nach Übersee, also auch nach Europa, bestimmt waren. Während wir bei den Löscharbeiten des „news print“, also Zeitungspapierrollen, der Pakete mit dem Hausbaumaterial und der Sperrholzplatten wieder einmal außen vor waren und außenbords am Heck und am Steven mit Farbe Ausbesserungsarbeiten verrichteten, lernten wir durch unseren Schiffsvormann einen Schichtleiter der Fabrik kennen, der uns, natürlich gegen einen Sechserpack Holsten-Bier, in der Mittagspause mit höchster Genehmigung eine Art Kurzführung durch die „pineapple can factory“ organisierte, also die Verarbeitung der Ananasfrüchte über Fließband in Dosen vorführte und die einzelnen Arbeitsabläufe hierzu erklärte. Vom Waschen und Schälen der Früchte über das Eindosen und die vollautomatische Abpacken der Dosen in Kartons, die in ein riesiges Lager transportiert wurden.
Dabei wies er darauf hin, dass manchem Gabelstaplerfahrer durch unsachgemäßes Transportieren der Paletten mit den Kartons hin und wieder ein Malheur passierte, sprich, einige Kartons und deren Inhalt bekamen dabei dicke Dellen ab, die dann ausgesondert und für den billigen Verkauf an Betriebsangehörige freigegeben wurden. Natürlich schoss zu dieser Äußerung einem unserer Leute sofort die Frage raus, ob wir denn auch von diesem Sonderangebot profitieren könnten. „Of course, you can!“ war seine Antwort, woraufhin unsere Leute, also auch wir von mittschiffs, ihm eine Bestellliste gaben und er für uns eine ganze Palette mit verbeulten Ananasdosen in Kartons an Bord hieven ließ. Wir einigten uns mit ihm, dass wir seine Vorzugsananas mit vier Kartons Holstenbier bezahlen durften, was er zu unserer Begeisterung sofort akzeptierte. Wir jungen Kerle damals hatten so einen Heißhunger auf Ananas, dass wir wochenlang nach jedem Mittagessen unseren hawaiischen Nachtisch vernaschten. Daran kann ich mich heute noch genüsslich erinnern. Ich erinnere mich auch weiterhin, dass einige Kandidaten „rohe überreife Ananasfrüchte“, die auch ausgesondert waren, gekauft hatten. Nur, nach dem übermäßigen Verzehr der rohen Früchte bekamen die Jungs bereits am nächsten Tag unangenehme Verätzungen im Mundbereich. Wieso das? Erst die hawaiianischen Betriebsangehörigen der Fabrik machten uns darauf aufmerksam, dass man die Fruchtscheiben, bevor man sie abbeißt, vorher mit Salz bestreuen muss, damit die Säure neutralisiert wird. Wieder einmal hatten die arischen Deppen aus der Provinz von den Insulanern etwas dazu lernen können. Regel Nummer eins: Man sollte nie die Angehörigen anderer Völker unterschätzen. Es lebe die internationale Völkerfreundschaft.
Natürlich waren wir, nachdem wir uns mit dem Schichtleiter etwas angefreundet hatten, unter seiner Führung nach Feierabend zusammen auch an Land gewesen. Selbstverständlich war es ein Muss die damals teuerste Strandmeile von Waikiki anzusehen! Die dort aneinander gereihten Hotels waren das „Nonplusultra“ an architektonischen Ausschweifungen und Gigantomanie. So etwas hatte Hein Seemann aus Deutschland noch nie zu Gesicht bekommen. Rings um die Hotels waren Fußgängerzonen parkartig anlegt, in denen versteckt wiederum in kleinen Parks Restaurants und Bars platziert waren. Das ganze Parkgelände war mit subtropischer Vegetation bepflanzt. Palmen, unbekannte Pflanzen, die wir in Europa nie gesehen hatten, säumten die Wege an der Küste. Und, als wir staunend durch diese Vegetationswelt spazierten, romantischer hawaiianischer Barmusik lauschten, die aus einer der versteckt liegenden Bars herübertönte, wurden wir plötzlich von einer krächzenden Stimme aus der Dunkelheit über uns angerufen. „Hallo Pussycat, how is life today? You are good looking!” Wir hielten überrascht an, schauten uns um, niemand war zu sehen. Wir wollten gerade weitergehen, da ertönte es wieder: „Don’t get away, good looking. Nice day today, I miss you!“ Wir drehten uns wieder um, niemand war zu sehen. Ich blickte in die Höhe. Und da hockte in einen Käfig ein „Indian Minor Bird“, der aussah wie eine übergroße schwarze Amsel mit grellgelben Ohrläppchen. Er hüpfte ständig hin und her und stieß dabei auch mal einen schrillen Jauchzer aus. Sonst nichts. Wir blieben stehen, beobachteten ihn, schnakten ihn in unserem Seemannsenglisch an und, oh Wunder, der Vogel fing sofort an auf Englisch zu antworten. „What’s your name baby? Give me a kiss!“ Was uns so beeindruckte, war die klare Aussprache, da konnte kein Papagei mithalten! Wer war der Besitzer? Wir drehten uns um, und siehe da, unter einem Baum saß ein Typ, der diese Indian Minor Birds verkaufte. Eine verkrachte Seemannskreatur, allerdings noch jung, aber ein Aussteiger, ein Achterraussegler, der sich so in Hawaii verliebt hatte, dass er seinen Seelenverkäufer „Good Bye“ gesagt hatte. Ein echter Schwede, lange blonde Haare, einen richtigen Vikingerbart und der Knabe sprach sogar gebrochen deutsch. Dieser svenska pojka lebte bei einem hawaiianischen Mädchen und züchtete Indian Minor Birds, denen er auch das Sprechen beibrachte und die er an amerikanische Touristen zu verkaufen versuchte. Und um den leicht Heruntergekommenen versammelten wir uns und kamen ins „Klönen“. Irgendjemand von uns hatte sogar noch eine Flasche Holstenbier dabei, die er dem schwedischen Seemann schenkte. Und der Schwede genoss das Bier, Schluck für Schluck. Ihm gefiel es in Honolulu, er war von den Insulanern begeistert, und sie, die Mädchen, waren von ihm begeistert. Er musste ein guter Hahn im Korb gewesen sein.
Zurück an Bord. Nach drei Tagen waren die „news print“ Rollen, die Sperrholzplatten und die Pakethieven mit Baumaterial gelöscht, und die erste für Europa bestimmte Ladung kam an Bord. Raten Sie lieber Leser, was es gewesen sein könnte. Sie können sich noch so viel Mühe machen, Sie kommen nie darauf. Es war eine Party „roher Kaffee in Säcken“. Wussten Sie, lieber Leser, dass es auf Hawaii „Kaffeeplantagen“ gibt? Ehrlich, ich hatte es auch nicht gewusst, keiner hatte es geahnt.
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