Meine An- und Abmusterungsdaten auf dem Motorschiff KARPFANGER
Unser 1. Offizier war ein eingedeutschter Österreicher, ein typischer ‚Schluchti’ (Seemannsausdruck für Seeleute, die von südlich des Weißwurstäquators kommen). Er konnte einem nicht in die Augen sehen, und wenn er ladungstechnisch etwas verbockt hatte, dann schob er gerne die Schuld auf seine lieben ihm untergeordneten Mitstreiter. Er war feige, war aber künstlerisch sehr begabt und talentiert und konnte sehr gut zeichnen, konnte sehr ausdrucksvoll alle Kollegen karikiert porträtieren, allerdings nur, wenn er Lust dazu hatte. Ich habe ihn um seine Begabung beneidet.
Dann gab es noch den 2. Offizier, Herrn Stambor, ein Ostpreuße durch und durch. Sein Vater soll ein Hüne gewesen sein und verdiente in Ostpreußen seinen Lebensunterhalt als Waldarbeiter. Wie der Vater, so der Sohn. Auch Herr Stambor hatte eine Hünengestalt. Er war ein ausgeglichener Mensch, es durfte nur kein Alkohol ins Spiel kommen, denn dann brannten sämtliche Sicherungen bei ihm durch, und er wurde zum Tier. Er soff in dieser Situation sogar Haarwasser, z. B. Birkin, wenn er nichts anderes zur Hand hatte.
Unser Chiefingenieur war Herr Thun. Er kam wie ich auch aus Cuxhaven.
Bootsmann Walter stammte aus Hildesheim. Er war schon vor dem Krieg zur See gefahren.
Und unserer Zimmermann war ein echter Hamburger Butsche, stand schon kurz vor der Rente, war schon zu Kriegszeiten gefahren. Mir hatte er an Bord aus Stauholz eine fantastische Seekiste gebaut, die ich heute noch besitze.
Unser Funkoffizier war auch ein Hamburger Dschung und war bei der Kriegsmarine tätig gewesen. Auf jeden Fall war er ein sehr guter Tastenfunker, der ein ziemlich hohes Tempo geben und auch aufnehmen konnte.
An unseren Koch und den Chiefsteward kann ich mich heute leider nicht mehr so genau erinnern.
So sah es aus, als ich am 20. Januar 1959 im Hafen von Bremen an Bord der KARPFANGER erschien und mich beim Kapitän vorstellte. Der Kollege, den ich ablösen sollte, hieß Hänschen Wagner, kam aus Cuxhaven und wohnte direkt in dem kleinen Häuschen hinter Cafe Schnapp auf dem Wege zum Winterdeich. Hänschen Wagner hatte seine A5-Fahrzeit rum und wollte sein nautisches Patent A6 machen. Er erzählte mir in seiner Kammer, dass der Vorgänger vom 1. Offizier Deak eine Frau namens Anneliese Teetz war. Anneliese Teetz hatte guten Karten bei Herrn Emil Offen, wenn er sein Schiff im Hamburger Hafen besuchte. Anneliese Teetz war das totale Mannweib. Sie hatte schon mal Hänschen Wagner oben auf der Brücke verprügelt, weil er einen Befehl von ihr nicht sofort ausgeführt hatte. Auf 04-08-Wache lief sie im Nordatlantik im Bikini in die Backbord-Nock und ließ sich vom Ausguckmann mit dem Deckwaschschlauch eiskalt abspritzen. Keiner von unseren verweichlichten Jan Maaten hätte ihr das nachgemacht. Anneliese Teetz hatte auch das nautische Patent A6, war mit einem Chief-Ingenieur verheiratet und hatte während des Krieges auf einem alten Küstenmotorschiff (Kümo) auf der Route Deutschland-Norwegen Nachschub für die Wehrmacht gefahren. Vielleicht hatte sie gegenüber ihrem Mann zu oft den ‚Kapitän’ heraushängen lassen. Auf jeden Fall hatte er eines Tages die Schnauze gestrichen voll und war in Kiel abgemustert, hatte sich bei der Tross-Schifffahrt der Reichsmarine auf ein anderes Schiff versetzen lassen und war damit nach Torpedobeschuss unter der norwegischen Küste untergegangen.
Von Bremen aus machten wir unsere Küstenrundreise nach Hamburg, wo die Reise endete und wo ich am 23. Januar 1959 nachgemustert wurde. In Hamburg wurde zur Feier des Tages, also weil Herr Offen persönlich an Bord erschien und auch Kammervisite machte, der „blaue Zwirn“ (Uniform) angeordnet. Vorher waren durch den Bootsmann bei der Deckscrew der gesamte Bierbestand eingesammelt und im Bierlocker deponiert worden.
Unser Liegeplatz war am Walterhof im Waltershofer Hafen. Ein irrer Liegeplatz! Neben uns, also an Land, lag ein riesengroßes Schrebergartengelände mit einer Kneipe, die von Schrebergärtnern, Hafenarbeitern, netten Damen und Seeleuten frequentiert wurde. Wir lagen damals südlich der Elbe am ‚Ende der Welt’. Uns gegenüber lag das Betriebsgelände der Firma Holzmüller, dort löschten die ‚Westafrikaner’ ihre schweren Holzstämme. Angrenzend an das Schrebergartengelände, wo fast alle Schreber ‚Festbewohner’, also ehemalige ‚Ausgebombte’, waren, lag ein riesiges Parkgelände, wo Hunderte fabrikneue Volkswagen, sprich ‚Käfer’, abgestellt waren, wovon wir einen Teil für unsere Ausreise zur Westküste Nordamerika luden. Hier stand ein Käfer neben dem anderen, soweit das Auge reichte. Nur, wie wurden diese Fahrzeuge an Bord geladen und untergebracht? Als ich das erste Mal im Blaumann zwecks Kontrolle durch die Laderäume kletterte, da staunte ich nicht schlecht. Alle Unterräume der fünf Ladeluken hatten zwei ‚Hängedecks’, die, bei normaler Stückgutladung, unter den Zwischendecks in den Laderäumen hochgezogen und verankert waren. Sobald in einem der Unterräume die ersten ‚Käfer’-Lagen übernommen und gelascht waren, wurden die Hängedecks mit dem eigenen Ladegeschirr (Ladebäumen und E-Winden) abgesenkt, sprich gefiert. Anschließend wurden überlange so genannte Scherstöcke in die Hängedecks eingesetzt und diese mit stabilen Plattformen eingedeckt, die dann mit Autos beladen wurden. Sogar in den Zwischendecks oben in den Lukenschächten wurde eine Art Provisorium als Hängedeck eingesetzt. Die Idee des heutigen gängigen Autotransporters, wie sie die schwedische Reederei Wallenius verwendet, existierte bestimmt schon in den Köpfen der internationalen Schiffbauingenieure. Sie war aber 1959 noch nicht voll ausgereift, um in die Praxis umgesetzt werden zu können, oder diese Autotransporter waren den Reedern in der Anschaffung einfach zu teuer. Diese Hängedeckkonstruktion hatte sich Schiffbauingenieure der Nordseewerke Emden ausgedacht und diese dem VW-Konzern in Wolfsburg schmackhaft gemacht. Und die Wolfsburger Salesmanager hatten diese provisorische Idee unter anderem der Hanseatischen Reederei Emil Offen empfohlen. Es war eine grausame Knüppelarbeit, diese Hängedecks ladebereit zu machen. Es lief nicht immer wie geschmiert und nahm Zeit in Anspruch, bis alle Hängedecks eingedeckt waren. Und ich hatte mich bei diesen Vorbereitungsoperationen oft gefragt: Wie halten unsere Hanger- und Runnerblöcke und vor allen die Runnerdrähte der Winden diese gewaltigen Kräfte aus, wenn die Jan Maaten mit bordseitiger E-Windenkraft die Hängedecks fierten oder für den normalen Ladebetrieb hochhievten? Die Seeberufsgenossenschaft und der Arbeitsschutz hatten damals keine Einwände gegen diesen Ingenieurshorror.
Nach dem Ladestress mit den Volkswagen, der Proviant- und Ausrüstungsübernahme war die KARPFANGER endlich in allen ihren Teilen seeklar und lief am 7. Februar 1959 von Hamburg in Richtung Curaçao aus.
Wir dampften also in der Zwischenzeit um den 8., 9. ,10. Januar bei pottendickem Nebel durch die südwestliche Nordsee. Mal hatten wir 100 Meter Sicht, mal riss es auf, und wir konnten knapp eine Seemeile sehen. Wir gingen oben auf der Brücke sechs Stunden Seewache und hatten sechs Stunden frei. Der Kapitän übernahm zusammen mit dem 2. Offizier, Herrn Stambor und der 1. Offizier zusammen mit mir die Brückenwache. Natürlich fuhren wir den Umständen entsprechend mit mäßiger Geschwindigkeit. Ein Mann beobachtete ununterbrochen mittels Radargerät den chaotischen Schiffsverkehr, der andere navigierte mittels Sichtfunkpeiler, trug den Funkpeilstrahl zu den Seefunkfeuern in die Seekarte ein und ortete die Schiffsposition über Radarabstand vom Festland. Bei TEXEL-FEUERSCHIFF stießen wir, bedingt durch den belgischen Seelotsenausholer, auf so einen dichten Schiffsverkehr, dass wir für vier Stunden vor Anker gingen und auf Sichtbesserung warteten. Danach ging es per Stopp-and-go-Geschwindigkeit in Richtung Dover und weiter bei anhaltendem Nebel durch den ganzen Englischen Kanal und ab Lizard Head und Isles of Scilly hinaus in den Nordatlantik. Die Sicht wurde schlagartig besser, aber es kam jetzt Sturm auf, für diese Jahreszeit eigentlich ganz normal. Jedes andere mit Stückgütern normal beladene Schiff hätte den Nordatlantikschwell und die Windsee mit links abgewettert. Doch wir mit unseren vollen Ballasttanks und dem wenigen Ladungsgewicht durch die VW-Käfer rollten innerhalb von neun Sekunden nach beiden Seiten und holten dabei bis zu 20-30 Grad über. Und das blieb nicht ohne Folgen. Irgendwann schepperte es laut und kräftig im Zwischendeck von Luke 3. Nachdem das Wetter ab den Azoren sich zunehmend gebessert hatte, das Schiff jetzt ruhig lag, so dass man vorsichtig die Mac Gregor-Luke aufziehen konnte, sahen wir die Bescherung: Das im Lukenschacht eingesetzte Autohängedeck war achterkante zusammengebrochen und 20 VW-Käfer waren dadurch mehr oder weniger stark beschädigt worden. „Weather-permitted-damage“. Ich bin mir sicher, die Einhängevorrichtung war nicht genug ausgereift gewesen. Wahrscheinlich spielte hier auch eine Art Materialermüdung der belasteten Teile eine entscheidende Rolle.
Читать дальше