Ich versuchte, das nagende Gefühl, das in der letzten Zeit meine Seele quälte und Ungerechtigkeit hieß, zu verdrängen. Es gelang mir sehr schwer und hinterließ gleichzeitig einen bitteren Nachgeschmack. Meine Freude auf die angekündigten Überraschungen war plötzlich sehr bescheiden.
Bedrückt lief ich hinter Xera und Dar'sal her und nach einer halben Stunde hatten wir die Höhlen erreicht. Wir liefen zu meinem Zimmer - die beiden wurden immer ungeduldiger, zerrten mich fast in die Tür hinein.
Ich ließ mich von ihrer Vorfreude anstecken und bettelte, als sie mich in meinen Raum bugsierten: "Jetzt redet endlich! Was habt ihr ausgeheckt?"
Atemlos und erstaunt blieb ich stehen. Als ich plötzlich anfing zu lachen, lachten alle, die dicht gedrängt im Raum standen und kaum Platz zum Atmen fanden, freudig mit.
Alle meine Freunde waren hier: Yyro'ha, Semmin, Balon mit Frau und Kindern, Solim, Sa'ira, Kuram, Foron. Ich freute mich und platzte vor Neugier.
Dar'sal räusperte sich und Balon trat vor, streckte mir ein großes Päckchen hin: "Das hier möchten wir dir schenken als Dank für deine unermesslichen Dienste und aus Liebe zu dir. Es ist von uns allen. Wir lassen dich jetzt mit Xera allein und freuen uns auf den heutigen Abend."
Ich nahm sprachlos das unförmige Päckchen entgegen und verhinderte gerade noch, dass sich eine Träne aus meinem Auge stahl - wer weiß, was sonst geschehen wäre?
Ich grübelte: 'Ob die Somaner mich nicht lieben, weil ich versuche, absolut perfekt zu sein? Weil ich nie weine, selten lache, immer ernst und gefasst bin, wenn ich sie heile und mir ihre Sorgen und Probleme anhöre? Könnte ich einen solchen Somaner lieben? Nein. Ich würde ihn bewundern und achten oder fürchten und misstrauen!? Andererseits – „privat" lache ich, bin umgänglich und, und – ach, Alena, hör endlich auf zu grübeln!‘
Laut sagte ich: "Balon, ihr Lieben. Ich danke euch. Ihr wisst nicht, was mir das bedeutet. Danke."
Ich wischte gerade noch eine Träne aus meinem Augenwinkel, bevor sie noch ein Unheil anrichtete und die Liebe meiner Freunde in Bewunderung verwandelte. Zum Glück gingen alle nacheinander nach draußen und ich blieb mit Xera alleine in meinem kleinen Raum.
"Wollten sie nicht sehen was für ein Gesicht ich mache, wenn ich das Geschenk auspacke?", fragte ich Xera etwas verwirrt.
"Nein, sie möchten viel lieber heute Abend sehen, wie du dich freust."
Ich zuckte mit den Schultern und wickelte das Päckchen aus. Sprachlos setzte ich mich auf mein Bett und hielt ein Kleid in die Höhe - es war wunderschön!
Xera half mir beim Anziehen, nachdem ich in dem Wasserbecken unseres unterirdischen Flusses gebadet hatte. Das Kleid passte wie angegossen. Das weiche Rehleder schmiegte sich um meine Arme, Oberkörper, Taille und ergoss sich wie ein Wasserfall über meine Hüften bis zu den Zehnspitzen. Es war großzügig an den Beinen ausgeschnitten, sodass ich große Schritte beim Laufen machen konnte, ohne das Leder zu verziehen. An der Oberseite waren die langen Ärmel spitz zugeschnitten, sodass ich die Mittelfinger durch eine am Ende befindliche kleine Schlaufe durchstecken konnte. Der U-förmige Ausschnitt war großzügig geschnitten, sodass die Ansätze meiner Brüste zu sehen waren. Die Gerbung des Leders erfolgte so kunstvoll, dass dieses wunderbare Kleid bei jeder meiner Bewegungen matt zu schimmern schien. Jegliche Verzierung hätte von der wahren Schönheit abgelenkt.
Xera strahlte mich freudig an: "Du siehst wunderschön darin aus. Komm, lass mich dein Haar schmücken."
Ich setzte mich hin und überließ mich Xeras Händen.
Nach einer halben Stunde war sie fertig und ich bewunderte ihre Kunst im Spiegel. Xera hatte mein Haar nach oben gesteckt, mit kleinen, bunten Blumen geschmückt, mit Nadeln fixiert und an Stirn und Ohren einzelne Strähnen herausgezupft. Die einzelnen Haarsträhnen umtanzten mein Gesicht wie ein Heiligenschein. Ich hatte mich noch nie so schön gefühlt.
"Komm jetzt. Wir sind viel zu spät dran", schmunzelte Xera.
Ich erschrak: "Xera, ist das nicht für heute Abend zu viel des Guten?"
Erst bei meinen Worten fiel mir auf, dass Xera ein traumhaftes rotes Kleid trug, das meinem in nichts nachstand. Der V-förmige Ausschnitt bei dem Kleid ließ ihre vollen Brüste wundervoll zur Geltung kommen, ohne aufdringlich zu wirken. Kleine weiße Perlen waren entlang des Ausschnittes aufgestickt, ebenso bei den langen Ärmel und dem Saum. Fächerartig faltete sich das Kleid über ihren Hüften bis zu den Fußspitzen.
Langsam dämmerte mir etwas...
Xera reichte mir Schuhe, die passend zu meinem Kleid angefertigt waren und ich schlüpfte hinein - natürlich passten auch diese wie angegossen. Xera zwinkerte mir schelmisch zu und ging voraus. Wir schritten zu dem Versammlungsraum und ich wunderte mich, dass wir niemandem in den Gängen begegneten. Wir blieben vor der Tür zu dem großen Raum stehen und ich horchte - kein Laut drang zu uns heraus. Xera öffnete die Tür, wir schlüpften hinein und ich blieb wie vom Donner gerührt stehen.
Mit großen Augen versuchte ich die ganze Szene, die sich mir darbot, auf einmal zu erfassen: Drei Lautenträger spielten mit ihrer Musik auf, sobald ich den Saal betreten hatte und sangen über "Alena, die Fremde aus der anderen Welt" eine Ballade, in der ihre Heldentat gewürdigt wurde. Alle Tische standen im großen Oval im Saal, innen und außen Bänke aufgestellt, auf denen sämtliche Somaner von der ehemaligen Stadt Parim und die von der Untergrundbewegung saßen. Alle Somaner, in ihre besten Gewänder gekleidet, sprangen auf, als die Musik zu spielen begann, klatschen und jubelten. Die Tische waren feierlich gedeckt mit Tellern, Bechern, Gläsern, Tischtüchern in kunterbunten Farben mit unzähligen brennenden Kerzen - überall funkelten Schmuckstücke auf bunten Stoffen. Über dem offenen Feuer brieten drei Wildschweine, die knusprig braun über den züngelnden Flammen gedreht wurden und deren Fett zischend in die Glut troff. Ich roch gebratenes Geflügel, das von einigen Somanern serviert wurde. Ganz schnell füllten sich die Tische mit herrlichen Speisen wie Fisch, Wild, Geflügel, Soßen, Gemüse, gerösteten Kartoffeln, Salate, Brote, geräuchertem Schinken, Käse, Butter und Suppe. Weinkaraffen und Bierkrüge rundeten das Ganze ab.
Tränen der Rührung stiegen in mir auf. Ich suchte Xera, aber sie war schon lange davon gehuscht. Nun war ich allein, blickte in die erwartungsfrohen Gesichter der Somaner und spürte so etwas wie Liebe auf mich zukommen. Wenn ich sah, was sie alles für mich organisiert hatten und wie sie mir zujubelten - hatte ich mich in ihnen getäuscht? Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Wie musste ich mich von ihnen innerlich und äußerlich entfernt haben, wenn ich nicht einmal den Ansatz davon mitbekommen hatte, dass sie absolut Großes für mich planten?
Ich blickte mich um - sie hatten sich wahnsinnig viel Mühe gegeben. Die Wände mit Moosgirlanden, Weinblättern und Blumen verziert, roch es frisch, wie nach Frühling.
Ich stand hilflos da und wartete, dass die Ballade und das Jubeln ein Ende nehmen würde, aber es ging endlos weiter.
Überraschend stand eine strahlend weiße Gestalt neben mir und bot mir ein Glas Wein an. Benommen nahm ich es entgegen und blickte mit großen Augen zu Dar'sal hinauf. Er hatte mir zuliebe seine Symbiontengestalt angenommen und seine Flügel bebten vor Aufregung auf seinem Rücken. Er beugte sich zu mir herunter und küsste mich kurz, was zu noch lauterem Jubel führte, bevor er zu seinem Platz zurück ging. Ich wartete weiterhin, aber war nicht mehr hilflos, weil ich wusste, was von mir erwartet wurde. Ich hob mein Glas in die Höhe und nach und nach verstummte das Jubeln und Klatschen. Jeder ergriff das vor ihm stehende Glas und hob es mir aufmunternd entgegen.
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