Ich blickte Dar'sal in die Augen. Sie glänzten. Ich senkte beschämt den Kopf, konnte es nicht mehr ertragen. In Gedanken schickte ich To'rir wütend zwei Worte zu, Wut und Trauer schlugen mir in seinen Gedanken zurück, doch er erhob sich gehorsam und flog davon. Kurz streifte mich seine Woge von Wut und Enttäuschung, dann verschloss ich meine Seele vor ihm und auch vor Dar'sal.
"Geh mit ihm. Du gehörst zu ihnen!", hörte ich die sanfte Stimme Dar'sals, die durch seine Traurigkeit noch weicher klang.
"Nein! Nein, sag das nicht! Ich gehöre zu dir! Zu Xera, zu Semmin und mein Herz würde brechen, wenn ich euch alle verlassen sollte!"
Dar'sal schüttelte den Kopf: "Aber du hast immer noch nach dem Drachenkörper diese Sehnsucht, die ich fast körperlich spüre, auch, wenn du versuchst, dies zu verbergen. Ich lese es in deinen Gedanken, in deinen Gefühlen, deinen Bewegungen und Träumen. Du wirst nie mit deinem ganzen Herzen bei mir sein. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch ertragen kann!"
Vor Verzweiflung wollte ich am liebsten anfangen zu weinen, aber ich unterdrückte meine Tränen: "Dar'sal, sag das bitte nicht. Wo soll ich hingehören, wenn ich in meiner Seele halb Mensch, halb Drache bin und mich beide verstoßen! Wer hat das Recht zu behaupten, zu wem ich gehöre und zu wem nicht? Willst du mich verurteilen? Als ich vor der Wahl meines Körpers stand, habe ich mich für den Körper entschieden, in dem ich das Licht der Welt erblickt hatte. Und sollten mir Zweifel an meiner Wahl kommen, macht mich das nicht noch menschlicher?"
Ich legte meinen Kopf leicht schief und blickte Dar'sal direkt in die Augen, hoffte, dass er die Wahrheit in meiner Seele lesen konnte. Ich erkannte in seinen blauen Augen, wie sich ein dunkler Schatten als Schleier über seinen sonst klaren Blick legte und erkannte darin das schlechte Gewissen, das seine Seele plagte.
Endlich nahm er mich fest in seine Arme: "Verzeihst du mir? Ich wollte dich nicht wegschicken, ich will dich nicht verlieren! Es tut mir leid - ich bin eifersüchtig auf diesen Drachen, weil ich weiß, was er dir bedeutet. Ich... Bleib bei mir, bitte!"
Ich erwiderte seine Umarmung und ließ vor Erleichterung meinen Tränen freien Lauf. Sie rannen über meine Wangen, über Dar'sals silbergraues Haar und tropften auf die Wiese. Überall, wo sie hinfielen, wuchsen Sternblumen. Ich musste unter Tränen lachen, was noch mehr Sternblumen Leben schenkte.
Dar'sals Augen folgte meinem Blick, er lachte und fragte erstaunt: "Wieso geschieht das mit deinen Tränen?"
Ich zuckte mit den Schultern: "Keine Ahnung, aber ich weiß, dass Drachentränen sehr selten und manchmal gefährlich sind."
Zum Beweis hob ich meine linke Hand, auf der die Narbe zu sehen war, die Dran'gorrs Träne dort hinterlassen hatte. Die Narbe schien ständig ihre Form zu verändern, ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie in eine bestimmte Richtung trieb. Ich war gespannt was für eine Form sie in ihrer Vollendung haben würde.
"Menschentränen sind nicht gefährlich, sie sind einfach nur nass!", widersprach mir Dar'sal.
"Aber ich bin doch halb Mensch und halb Drache, wie du vorhin richtig erkannt hast. Bei mir bewirken Tränen immer etwas anderes, aber nie etwas Schlechtes."
Dar'sal schüttelte den Kopf: "Bei dir entdecke ich immer etwas Neues."
Ich blickte ihn ernst an: "Hast du das ernst gemeint, als du gesagt hast, dass du nicht weißt, wie lange du es noch mit mir aushalten kannst?"
Dar'sal war nicht ehrlich, als er erwiderte, dass er es nicht ernst gemeint hatte und dass er lediglich eifersüchtig auf den Drachen gewesen war. Ich spürte, dass er wusste, dass ich ihm diese Behauptung nicht glaubte. Mein Drachenherz hatte vor eineinhalb Jahren einen Sprung bekommen, als ich mich gegen Dran'gorr und für Dar'sal entschieden hatte und mein Menschenherz erhielt in diesem Moment einen Sprung, weil ich ein solch wunderbares Geschöpf wie Dar'sal tief verletzt hatte. Ich überlegte, wie lange es dauern würde, bis eines meiner beiden Herzen zerbrach - oder beide??
"Alena! Dar'sal! Wo bleibt ihr?", rief eine glockenhelle, geliebte Stimme.
Ich drehte mich um und erblickte Xera, die auf uns zugesprungen kam. Noch außer Atem blieb die kleine Elfe vor Dar'sal stehen, stemmte ihre Hände in die Hüften und schaute mit trotzig vorgerecktem Kinn zu dem Symbionten auf, der mindestens drei Köpfe größer war als sie.
"Ich habe dir gesagt, dass du nicht trödeln sollst! Wie soll ich denn sonst fertig werden? Oh!", blitzschnell hatte sie die Stimmung bemerkt, in der Dar'sal und ich uns befanden.
Mitleid zog wie eine kleine Wolke über ihr Gesicht, schnell hellte es sich wieder auf und sie plapperte munter drauflos: "Kommt, ihr zwei! Ich werde euch aufheitern. Ihr braucht dringend Abwechslung, damit euch beiden klar wird, wie sehr ihr einander braucht, weil ihr euch liebt!"
Dar'sal und ich hatten zwar unsere Seelen füreinander und für jeden anderen unzugänglich gemacht, dennoch musste man keine Gedanken lesen, um zu sehen, in welcher Stimmung wir uns befanden. Außerdem war es nicht das erste Mal, dass Dar'sal und ich zu diesem Thema unterschiedlicher Meinung waren. Uns war es bewusst, dass wir in der momentanen Situation nicht glücklich werden konnten. Ebenso waren wir uns sicher, dass wir ohne den anderen kaum existieren konnten. Wir würden es nicht versuchen und bis auf diesen Tag hatten wir es sogar vermieden, es überhaupt anzusprechen.
Ich liebte Dar'sal, doch immer wieder schoben sich diese dunkle Schatten über meine Gefühle zu ihm und weilten jedes Mal länger. Ich schob es auf die viele Arbeit und die wenige Zeit, die wir miteinander verbrachten und hoffte, dass dies die einzigen Gründe waren. Zeit hatten wir nie, unsere Liebe reifen zu lassen, als wir gegen Parim kämpften. In der Zeit danach konzentrierte sich alles auf den Aufbau der neuen Stadt.
Wie sollten wir aus dieser Krise herauskommen?
Ich schüttelte den Kopf und begann mich auf den Abend zu freuen - was auch immer diese verrückte Bande geplant hatte!
Dar'sal und Xera waren sichtlich erleichtert und stimmten in meine Lebensfreude ein, als ich in die Richtung hüpfte, in der die Höhlen und die neue Stadt lag. Auf dem Weg dorthin unterhielten wir uns über belanglose Dinge, vom Wetter bis zum neuesten Tratsch. Letzterer ging an mir vorüber, denn ich war selten mit den Somanern zusammen. Meine Fähigkeiten, die Somaner zu heilen oder ihnen bei seelischen Problemen zu helfen, waren die einzigen Gelegenheiten, an sie näher heranzukommen.
Ab da tauchte ich wieder in meine dunklen Gedanken ein. Es stimmte mich traurig und machte mich wütend, dass die Somaner mich bloß als Magierin und nicht als ihresgleichen betrachteten. Sie hatten Achtung und Respekt vor mir, zum Teil fürchteten sie sich vor meiner Macht, gleichwohl sprachen sie nie über belanglose Dinge in meiner Anwesenheit. Ich kannte lediglich ihre Sorgen, Ängste, Gebrechen. Natürlich dankten sie mir, brachten mir kleine Geschenke und Aufmerksamkeiten entgegen, dennoch hatte ich niemals das Gefühl, dass ich ihre Freundin und Mitsomanerin sein konnte.
Ich wurde nicht geliebt!
Da erst erkannte ich den Unterschied zwischen Verehrung und Liebe. Die Verehrung einer Person ist noch keine Liebe, sie schreckt vor der scheinbaren Vollkommenheit der Person zurück. Das zeigt sich deutlich an den Schatten, die durch die Somaner auf mich fielen. Doch selbst der Respekt, den sie am Anfang an den Tag gelegt hatten, hielt sich in der letzten Zeit in Grenzen. Die ehemals dankbaren Somaner wollten Unmögliches von mir! Gerade am vergangenen Tag kamen zwei zu mir. Der eine wollte, dass ich es regnen ließ, damit seine Saat aufging, der andere sehnte sich nach Sonne und Wärme, damit der Lehm seiner Hütte schneller trocknete. Als ich nichts von beidem tat, sondern sie darauf hinwies, dass das Wetter schon seine Richtigkeit hätte und ich nicht darin eingreifen wollte, waren beide wütend auf mich. Und ich auf sie! Sie verstanden nicht, warum ich der Natur ihren freien Lauf lassen wollte. Sie verstanden nicht, warum ich ihnen das Leben nicht einfacher machen wollte, wenn ich über solch magischen Kräfte verfügte. Sie verstanden nicht, dass es egoistisch war, nur an sich zu denken. Ich konnte und wollte nicht der Spielball ihrer Bedürfnisse werden! Meine Magie hatte Grenzen und die wollte ich nicht überschreiten für derart banale Begehren. Ganz sicher kommen in naher Zukunft wichtigere Notwendigkeiten auf mich zu, für deren Erfüllung ich mich voll einsetzen würde. Vor allen Dingen konnte ich nicht an allen Orten gleichzeitig sein und Schnee, Regen, Wind und Sonne in einem Quadratkilometer großem Gebiet verteilen, damit jeder zufrieden ist!
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