In seinem Buch „Die vergeudete Moderne" schreibt der Bauhistoriker Frank Werner, dass das Thema „Pop-Architektur" zuallererst „terminologischen Verdruss" bereite [56]. Bei der Untersuchung des Begriffs erkennt man schnell, dass Pop anscheinend in jeder gewünschten Richtung deutbar ist.
Der Ursprung des Wortes „Pop" in der heutigen Bedeutung ist strittig. Pop wird entweder für eine Abkürzung von populär oder für eine englische Übersetzung des Wortes „Knall" gehalten. Für die zweite Version spricht eine frühe bildnerische Darstellung des Wortes Pop auf einem übergroßen Lutscher – einem Lolli-Pop – in einer Collage des Briten Richard Hamilton aus dem Jahre 1956, einem Schlüsselwerk der Pop-Art: „Was macht heute eigentlich unser Zuhause so anders, so anziehend?" (Abb. 2.1)

Anfang der 60er Jahre tauchten neue Bildsymbole in der Kunst auf: CocaCola-Flaschen, Campbell-Suppendosen, Marilyn Monroe und Elvis Presley neben Comic-Helden und anderem „Allerweltskram". Der Jargon der Straße, die Dinge des alltäglichen Lebens, die zu Kunstobjekten erhoben wurden, verdrängte die Ästhetik der bisher vorherrschenden Kunstrichtungen. Wer sah sich nicht irritiert von echten oder abgebildeten Plastikeimern, Eiscreme, Brillo-Kartons oder aufgehängten Besen, an denen auch noch geschrieben stand, dass sie nichts anderes als Besen seien (Jasper Johns)?
Eine neue Künstlergeneration hatte auf ihre Fahnen geschrieben, dass sie mit der Ästhetik im alten Sinne nichts mehr zu tun habe, dass jetzt Schluss sei mit der „edlen" Kunst, dass wirkliche Kunst vielmehr all das sei, mit dem uns die Realität umgebe, und wenn überhaupt, dann sei diese Warenwelt, das Industrieprodukt ästhetisch – also genau das Gegenteil von dem, was dem Kunstfreund lieb und teuer war. Indes – der Schock wurde überwunden. Die Pop Art wurde zu einem gewaltigen, auch geschäftlichen Erfolg. Hätte auch ein so wichtiges amerikanisches Institut wie das Museum of Modern Art diesen neuen Trend beinahe verpasst, so sorgten doch einflussreiche Kunsthändler dafür, allen voran Sidney Janis und Leo Castelli, dass die Pop Art zur bedeutendsten Kunstrichtung der Nachkriegszeit wurde. Andy Warhol, Roy Lichtenstein oder Claes Oldenburg, so lauten die zugkräftigen Namen in der Kunst der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts. Andy Warhol allein war von offensichtlich so großer gesellschaftlicher Bedeutung, dass die Gründerin der „Society for Cutting up Men (SCUM)", Valerie Solanas, ihn als Repräsentanten der Männer-Erfolgsgesellschaft im Jahre 1968 zu erschießen versuchte und dabei schwer verletzte (verfilmt als „I shot Andy Warhol“). Es ist durchaus möglich, dass die Spätfolgen der Schussverletzung seinen Tod nach einer Gallenblasenoperation 1987 mit verursachten.
Mit der Pop Art wird oft nur das amerikanische Kunstgeschehen dieser Zeit gleichgesetzt. Obwohl Pop Art in den Vereinigten Staaten eine weitaus stärkere Durchschlagskraft hatte, stammt der Begriff selbst ursprünglich aus England. Nach Du Monts Lexikon der Pop Art soll der Kritiker Lawrence Alloway 1954 als erster den Ausdruck Pop im Sinne von Pop Culture benutzt haben [38]. In seinem Beitrag zum Buch „Pop Art" von Lucy Lippard sagte Alloway selbst dazu: „Der Begriff Pop Art' wird mir zugeschrieben, aber ich weiß nicht genau, wann er zuerst benutzt wurde. Ein Autor hat behauptet: Lawrence Alloway prägte als erster den Begriff Pop Art 1954. — Das ist zu früh" [30].
Nach Alloway ist diese Bezeichnung irgendwann zwischen 1955 und 1957 im Gespräch über die Arbeiten der Independent Group entstanden. Alloway selbst war Mitglied dieser Gruppe von Künstlern, Architekten und Kritikern, zu der unter anderen auch Eduardo Paolozzi und Reyner Banham gehörten. Die Independent Group repräsentierte sozusagen die erste Generation britischer Pop-Art-Künstler. Weitere Namen der britischen Szene sind Richard Hamilton, Allen Jones oder David Hockney. Ein Bindeglied zwischen der britischen und der amerikanischen Richtung der Pop Art ist die gemeinsame Begeisterung für die amerikanische populäre Kultur, die sie als Quelle der Inspiration benutzten. Einige britische Künstler, wie z. B. David Hockney, übersiedelten in die USA, wodurch die britische Szene an Bedeutung verlor und die amerikanische sich stärker entwickelte.
Erst 1962 taucht der Terminus „Pop" in den Vereinigten Staaten auf. Lucy Lippard stellt fest: „Pop Art ist ein amerikanisches Phänomen. Es wurde zweimal geboren, zuerst in England und dann wieder unabhängig in New York" [30]. Die wirklichen Pop-Künstler sind für sie lediglich die New Yorker Fünf: Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Tom Wesselmann, James Rosenquist und Claes Oldenburg. Alle anderen, sogar die West-Coast-Künstler, wie z. B. Mel Ramos, haben für sie nur mehr oder weniger stark ausgeprägte Bindungen zum Hauptgedanken des Pop. Bis auf England gebe es in Europa gleich gar keine Pop Art, auch wenn einige Künstler Parallelen zeigten. Eine prononciert amerikanische Sicht der Dinge, die aber der Vielfältigkeit der Pop-Szene nicht gerecht wird. Jede Diskussion über Pop muss zunächst von zumindest zwei verschiedenen Begriffsdefinitionen ausgehen. Der eigene Standort wird dadurch bestimmt, welche Definition man sich zu eigen macht. Nähert man sich dem Begriff über den Aspekt „populär", so ist er zweifellos überzeitlich und lässt sich für andere Epochen genauso gut anwenden. Pop und Pop Art meinen demnach nicht grundsätzlich immer das Gleiche. Dennoch sollte nicht vergessen werden, dass der Begriff für diese Kunst in ihrer Zeit geprägt wurde, es deshalb dem Verständnis dient, wenn die Pop Art eine zeitlich begrenzbare Periode zeitgenössischer Kunst kennzeichnet.
Zwei unterschiedliche Begriffsdefinitionen deuten nur an, wie komplex das Phänomen Pop tatsächlich ist. In seinem Buch „Pop International" hat Germanist Jost Hermand den Versuch unternommen, das Phänomen kulturgeschichtlich umfassend zu deuten. Nach anfänglich sachlicher Strenge gerät das Werk zu einem Sittengemälde der späten 60er und frühen 70er Jahre. Im Nachwort distanziert er sich eigentlich von der ganzen Erscheinung des Pop; die Abhandlung ist eine vernichtende Analyse, wie es der Untertitel des Buches auch bereits einräumt.
Zitat Hermand: „Schließlich fordern wir ja auch auf anderen Gebieten, wenn man sich um etwas wirklich bemüht und es zu einer gewissen Vollendung bringen will, eine ästhetische Perfektion. Warum nicht auch eine Kunst der Kunst? Mit Non-Art oder Un-Art sind wir in letzter Zeit wahrlich genug versorgt worden" [18].
Dieses harte Urteil kann wohl nur im Hinblick auf extreme Folgeerscheinungen des Kunstbetriebes verstanden werden. Was ist nicht alles im Namen der Kunst geschehen: Schlachten von Schweinen mit anschließender Verricht der Notdurft auf nackten Frauenleibern durch Otto Muehl, Flugzeugabsturz über New Yorker Müll mit HA Schult, Brotstraßen, Fettecken, Honigpumpen, mit Leukoplast beklebte Badewannen von Joseph Beuys oder sukzessive Selbstverstümmelung mit anschließendem Selbstmord des Rudolf Schwarzkogler, (1969). Solche Extreme lassen sich nicht ohne komplizierte Herleitungen unter Kunst und schon gar nicht unter dem Begriff Pop-Art vereinen.
Lucy Lippards Buch „Pop Art" gilt als erstes Standardwerk über diese Kunstrichtung. Ihre Arbeit befasst sich wie die meisten vorwiegend mit dem Kerngebiet des Pop, der Bildenden Kunst. Vielfältige Publikationen sind seitdem über die Pop Art geschrieben worden. Besonders in den Vereinigten Staaten findet man viele kleine Bildbände, Paperbacks über bizarre Volkskunst, Handmade Houses, Hausboote, Supergrafiken, Wandmalereien, Auto-und Motorradschmuck und dergleichen mehr, die sich gerne an den Begriff „Pop“ anlehnen. So gibt es natürlich auch Architekturbücher, die die Pop Art zu den Einflussquellen der Architektur zählen, z. B. „Supermannerism" von C. Ray Smith [47] oder „Die Sprache der Postmodernen Architektur" von Charles Jencks [20]. Gemeinsame Aussage dieser Bücher: Der Jargon des Pop wird als ein lebendiges Element einer damals neuen Architekturrichtung verstanden, der sogenannten „postmodernen" Architektur.
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