Es würde mir schwerfallen, diese nüchternen, programmatischen Sätze an den Anfang dieses Buchs zu stellen, ohne etwas von der Freude darüber vermitteln zu wollen, dass es gelungen ist, Erkenntnisse aus meiner theoretischen Vorarbeit gleich im Anschluss in der Praxis erproben zu können. Wie viel Aussicht mag generell jemand haben, der über Kunst und Architektur philosophiert, dass er seine Schlussfolgerungen anhand eines eigenen Bauwerks überprüfen lassen kann? Ich selbst hielt diese Aussicht für so unwahrscheinlich, dass ich meine Entwürfe wohl auf immer für die Leinwand oder den Zeichenkarton reserviert glaubte. Man muss es wohl eine besonders glückliche Fügung nennen, dass ich tatsächlich eine für meine Absichten maßgeschneiderte Situation vorfand.
Im Jahre 1980 erhielt die Stadt Hamm den Zuschlag für die erste Landesgartenschau von Nordrhein-Westfalen. Ein seit 1920 aufgelassenes Zechengelände im Osten der Stadt sollte in einen blühenden Park verwandelt werden. Das ursprüngliche Konzept der Planer ging davon aus, dass die Überreste der ehemaligen Zechengebäude beseitigt und durch Grünanlagen ersetzt werden sollten.
Durch das Engagement einer kleinen Künstlergruppe um den Galeristen Werner Kley aus Hamm wurde eine heftige Diskussion um den Erhalt dieser frühen Industriearchitektur angeregt, die schließlich zu ihrer Integration in die Gartenschau führte.
Während man über die Verwendung der historischen Backsteinhallen schnell einen Konsens zwischen Planern und Politikern herbeiführen konnte, schieden sich an der ehemaligen Kohlenwäsche, die schon früher mal als das hässlichste Gebäude Europas bezeichnet wurde, die Geister. Dieses Betonmonster bestand aus einem ca. 30 Meter hohen Westteil und einem niedrigeren Ostteil. In seinem Innern befanden und befinden sich z. T. heute noch gewaltige Trichter, in denen die geförderte Kohle mit Wasser von unbrauchbarem Abraummaterial getrennt wurde.
Die Zeche Maximilian stand jedoch von Anfang an unter einem schlechten Stern, seit 1902 mit den Zechenarbeiten begonnen worden war. Schon 1943, nach drei vergeblichen Anläufen der Kohleförderung, kam das endgültige Aus für den Bergbau auf Maximilian.
Die Gebäude jedoch blieben. Die Kohlenwäsche wurde als Getreidesilo benutzt. Auf dem Gelände, das nach dem Zweiten Weltkrieg zeitweise als militärischer Übungsplatz verwendet wurde, herrschte in der Folge über 15 Jahre lang Totenstille. Die Natur begann, sich Stück für Stück der Industrielandschaft zurückzuerobern.
1968 wurden zwei Betonriesen, ein zweiunddreißig Meter und ein vierundzwanzig Meter hoher Kohlebunker, gesprengt. Die Kohlenwäsche blieb aus unerfindlichen Gründen verschont. Ihr Ende schien besiegelt zur ersten Nordrhein-Westfälischen Landesgartenschau 1984 in Hamm – bis zu einem Tage im Juni 1981:
An diesem Tag wurde eine Ortsbegehung auf dem zukünftigen Landesgartenschau-Gelände abgehalten, um mit Hilfe der Presse der Allgemeinheit und den Verantwortlichen den Gedanken nahe zu bringen, auch den Betonkoloss Kohlenwäsche als Erinnerung an die Geschichte des Orts mit in das Gartenschaukonzept einzubeziehen und somit beispielhaft die Möglichkeit zur Wiederbelebung von Industriebrachen aufzuzeigen.
Nachdem ich festgestellt hatte, dass gerade diese frühe Industriearchitektur ihren Reiz haben kann, kam dann zwangsläufig die Frage: Was kann man aus einem solchen Betonkasten noch machen?
Zwischen dieser Frage und meiner Antwort war etwa soviel Zeit, wie man für einen schweifenden Blick über ein Gebäude von siebzig Metern Länge benötigt.
„Man könnte einen riesigen Elefanten daraus machen!" Meine Gesprächspartner schienen gar nicht einmal sehr verblüfft zu sein, denn als sie wie zur Kontrolle meinen Augenschwenk nachvollzogen, haben sie vielleicht auch sofort empfunden, dass dieses langgestreckte graue Ungetüm sich für eine solche Verfremdung geradezu anbot. Ich wurde aufgefordert, diesen Vorschlag doch schnell zu Papier zu bringen. Das geschah am folgenden Tag. Mit der Zeitungsveröffentlichung am dritten Tag begann eine hitzige Debatte, die nach über einem Jahr mit einem Bauauftrag enden sollte.
War der Weg von der Idee zur Tat wirklich so unkompliziert, wird der Leser sich fragen. Denn selten liegen die Dinge doch so einfach! Soweit war dies auch nur Anekdote. Doch der Elefant war eben nicht nur ein Gedankenblitz. Dahinter verbarg sich jahrelange Auseinandersetzung mit dem Thema Pop-Architektur. Welchen Stellenwert Pop-Art und postmoderne Architektur für mich besitzt und wie sie den Weg zu einer Architekturauffassung ebneten, die dem Nutzer vielfältige Nutzungsmöglichkeiten und Identifikationsangebote macht und die zu einem aus Beton, Stahl und Glas gebauten Elefanten führte, soll im folgenden dargestellt werden
2. Pop Art, Post-und Spätmoderne
„Einige vitale Lektionen der Pop-Art hätten die Architekten aus ihren gekünstelten Träumen von der reinen Ordnung aufwecken sollen. " Robert Venturi [52]
Die konventionelle und „konfektionierte" Architektur unserer Städte lag über Jahrzehnte in Dauerfehde mit der Gesellschaft und bisweilen muss man mit Verdruss feststellen, das sie das meistens immer noch tut. Die Realisierung der großen Utopie der Megastrukturen und der Space-Architektur, die in einem gigantischen Maßstab die flächenbezogene Stadtplanung tatsächlich in die dritte Dimension führen, also ganze Städte in geschlossene Körper auf Erden und im Weltenraum zwängen wollen (z. B. Le Corbusier, Paolo Soleri), muss weiterhin verschoben werden.
Die Architektur der 70er und 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts war im Widerspruch zur großen Utopie wieder überschaubar geworden. Dieser Trend arbeitete mit dem Versatzstück aus der Baugeschichte und mit bodenständigen Bautraditionen: Metaphorisches und kommunikatives Bauen, sprechende Architektur, die mehr zu sagen scheint und verständlicher sein soll als ihre Vorgängerin.
Wie in der Pop Art der 60er Jahre wurden dabei die Unordnung und die Widersprüche in unserer Alltagsrealität akzeptiert und ihr Jargon in Architektur übersetzt. Was in der Architektur der 60er und frühen 70er Jahre allenfalls eine kaum beachtete Randerscheinung war, war plötzlich aktuell geworden. Die Fachliteratur dieser Jahrgänge hat den eigentlich für die Bildende Kunst reservierten Begriff „Pop" auch für die Architektur übernommen.
Pop Art war nicht nur der Oberbegriff für die vorherrschende Kunstrichtung der 60er Jahre, sondern „Pop" wurde über die Bildende Kunst hinaus zum Schlagwort, das wie kaum ein anderer Begriff der Kunstgeschichte in alle Bereiche drang und Eingang in die Umgangssprache fand: Pop-Musik, Pop-Literatur, Pop-Farben, Pop-Corn, Superflower-Pop-Op-Cola, poppig, Schocker-Pop, Op-Pop, Agit-Prop-Pop usw. Alles, was etwas bunt war, sich einen jugendlichen Appeal zulegte, sich nonkonformistisch gerierte, machte Anleihe bei diesen drei Buchstaben und das ist im allgemeinen Sprachgebrauch auch bis heute so geblieben. Für die Entwicklung der Kunst in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts war die Pop Art von ausschlaggebender Bedeutung. Die Folgezeit kennt eine Vielzahl von Kunstrichtungen, die teilweise direkte Bezüge zur Pop Art aufweisen: Op Art, Land Art, Eat-Art, Multimedia, Concept Art, Minimal Art, Happening, Fluxus usw.
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