Fellger grinste ihn an: „Man vielleicht nicht, ich aber schon.“ Dann pochte er mit dem Knöchel seines Zeigefingers auf das Blatt. „Sie erinnern sich aber schon, was dort geschrieben steht? Mischen sie sich gefälligst nicht in meine Entscheidungen ein. Und die Sache mit dem Artikel geht sie erst recht nichts an. Das sind Entscheidungen, die auf hoher Ebene getroffen werden.“
Ron hätte den Chefredakteur am liebsten laut angeschrien, hielt sich aber mühsam zurück: „Hohe Ebene? Meinen sie damit sich? Oder die Zentrale in New York? Wer entscheidet so etwas?“
Fellger grinste immer noch: „Das geht sie nichts an, junger Mann. Ich verrate nur so viel: Da steckt höchste Politik dahinter!“
Ron konnte seinen Zorn jetzt doch nicht mehr so ganz unterdrücken: „Höchste Politik? Herr Fellger wir sind ein unabhängiges Blatt. Niemand schreibt uns vor, worüber wir berichten.“ - „Papperlapapp. Ich bin hier der Chefredakteur. Und jetzt zeigen sie doch mal diese komischen Notizen her.“
Ron war froh, Zinad Changa die Papiere überlassen zu haben. „Die hat Herr Changa. Er arbeitet ja an der Korruptionsgeschichte.“
Fellger schüttelte grinsend den Kopf: „Hat gearbeitet. Jetzt gibt es keine Geschichte mehr. Sie können gehen, Nayst. Und schicken sie mir Changa herein!“
Ronald kehrte an seinen Arbeitsplatz zurück, ohne Zinad zu benachrichtigen. Sollte der Chefredakteur sich doch selber darum kümmern. Er war schließlich nicht dessen Laufbursche.
Der Schreibtisch war verwaist, Matthias Prokas nicht da. Dafür lag überall Müll herum. Ron nahm sich vor, ein ernstes Wort mit dem jungen Mann zu sprechen und ihn dann an einen der freien Arbeitsplätze zu setzen. Seufzend ließ er sich auf seinem Bürostuhl nieder.
„Da ist man einmal kurz zur Toilette und dann das ...“
Ron blickte auf und erkannte Prokas, der mit einer Kaffeetasse vor ihm stand. „Der Chef meinte, dass das jetzt mein Platz hier ist. Hat er ihnen das nicht mitgeteilt?
Ronald spürte wieder diesen Zorn in sich aufsteigen, antwortete aber völlig ruhig: „In gewisser Weise eigentlich schon.“ Er dachte an Fellgers Worte, dass er nach New York zurückkehren sollte. In aller Ruhe suchte er die paar Habseligkeiten, die er hier hatte, zusammen. „Dann muss ich mir wohl einen neuen Platz suchen“, meinte er nur. Es gab ja genügend freie Arbeitsplätze. Plötzlich fiel ihm noch etwas ein und er kehrte zu Prokas zurück. „Hat der Chefredakteur ihnen eigentlich schon Aufgaben zugeteilt?“, fragte er den.
„Aber sicher doch. Ich übernehme alle ihre Aufgaben.“
„Fein, dann denken sie daran, dass Samstag der Auftritt der Laienmusikergruppe stattfindet. Den Termin werden dann wohl sie wahrnehmen müssen!“
Prokas sah ihn fragend an und Ron wusste, dass der junge Mann noch keine Ahnung von dem bevorstehenden Arbeitspensum hatte. Aber er nickte ihm lediglich zu und begab sich dann zur Kaffeeküche. Wie nicht anders erwartet, traf er dort auf die Praktikantin. Sie kochte zur Abwechslung einmal keinen Kaffee, sondern lackierte sich die Fingernägel.
„Hallo Maike.“
„Für dich bitte Frau Rienatz.“
Die Blonde lackierte sich seelenruhig die Nägel weiter. Ron sah, dass sie mit den Fußnägeln offensichtlich schon fertig war, denn zwischen ihren Zehen steckten kleine Wattebäusche.
„Frau Rienatz? Ich dachte wir duzen uns? Schon vergessen?“
Sie schüttelte den Kopf: „Bei deinem Ärger mit dem Chefredakteur lieber ‚sie‘.“
Ron hakte nach: „Welchen Ärger habe ich denn?“
„Ach, so dies und jenes. Jedenfalls hat er gesagt, dass es besser wäre, wenn ich mich mit dir nicht mehr unterhalte. Schließlich beginnt am Fünfzehnten meine neue Probezeit.“
Ron verstand nur Bahnhof. „Deine Probezeit?“
„Ihre!“
Jetzt verstand er noch weniger. „Wessen? Ihre?“
Maike nickte heftig und verschüttete dabei etwas blutroten Nagellack: „Ja, wir siezen uns doch, da heißt es ‚ihre Probezeit‘ und nicht deine.“
Ron seufzte gequält auf. Spielten denn jetzt plötzlich alle verrückt? Er hakte noch einmal nach: „Also, was für eine Probezeit?“
„Meine. Als Redakteurin. Dieser Inder hat doch gekündigt und ab dem Fünfzehnten bin ich die neue Kollegin. Also nicht wirklich so neu, aber als neu...“
Ron unterbrach das Geschwafel der Blonden: „So also läuft der Hase. Hat Fellger dich zu der Sache mit Zinad angestiftet?“
Sie zog einen Schmollmund und blies auf die lackierten Nägel. Dann bemerkte die Blonde leise: „Das sage ich nicht. Wer ist denn Zinad?“
Ron konnte ein Aufstöhnen nicht unterdrücken. „Zinad Changa.“
„Und wer ist Zinad Changa?“
„Der Inder!“
„Ach so, das hätten sie auch gleich sagen können.“
Ronald spürte, wie er allmählich einen roten Kopf bekam. Diese Praktikantin sollte plötzlich als Journalistin arbeiten? Wollte Fellger das Blatt eigentlich komplett ruinieren? Mühsam unterdrückte er, sie laut anzubrüllen. „Hat er nun oder nicht?“
Maike unterbrach ihre Tätigkeit des Lackierens und sah Ron an: „Das sage ich nicht.“
Ron holte tief Luft, dann meinte er gefährlich leise: „Jetzt höre mir einmal gut zu! Ich kann ja verstehen, dass du es zu etwas bringen möchtest. Allerdings wirst du erst dein Praktikum beenden und danach eine entsprechende Ausbildung durchlaufen müssen. Zum Journalismus gehört mehr als nur Kaffee zu kochen. Und jetzt frage ich nur noch einmal, denn danach wirst du dem Staatsanwalt Rede und Antwort stehen müssen. Also: Wie ist die Sache abgelaufen? Und wehe, du lügst mich an.“
Maike blickte hilfesuchend zur Türe, aber da war niemand. Vor allem kein Chefredakteur, der ihr zur Seite springen konnte. Leise und stockend brachte sie schließlich hervor: „Fellger meinte, es gäbe eine Chance, dass ich in Kürze Redakteurin werden könnte. Ich müsse dem Inder nur schöne Augen machen und mit ihm ein wenig poussieren. Leider hat der sich nicht darauf eingelassen, der Inder scheint ein wirklicher Gentleman zu sein. Als Fellger zu ungeduldig wurde, kam er auf die Idee mit der Belästigung. Was ja schließlich auch geklappt hat. Eigentlich ist das doch nicht wirklich schlimm, oder?“
„Und ob“, Ron sprach ganz ruhig, obwohl er innerlich kochte. „Mit der Sache kannst du ohne weiteres vor Gericht landen. Und ob dich dann noch jemals jemand in einer Redaktion einstellt, steht in den Sternen. Nicht einmal mehr zum Kaffeekochen!“
Maike sah ihn leichenblass an. Ein wenig tat sie Ron doch Leid, schließlich hatte er etwas zu dick aufgetragen. Aber dann wischte er die Gedanken fort und sah einen Weg, die Situation zu nutzen.
„Die Sache kann unter uns bleiben“, erklärte er. „Wir schreiben jetzt das alles auf und du unterschreibst es.“
„Dann werde ich keine Redakteurin?“
„Bestimmt nicht jetzt. Aber du kannst dein Praktikum beenden und nach einem Studium bewirbst du dich hier neu. Die Chancen für einen Job stehen bei ehemaligen Praktikantinnen hier sehr gut.“ Ron wusste, dass sie niemals Journalistin werden würde.
„Kann ich das nicht zunächst mit dem Chefredakteur besprechen?“
Ron lachte: „Natürlich. Aber dann gibt es keine Vereinbarung zwischen uns. Und ich bin schließlich der Sohn des großen Bosses. Eines Tages bin ich selbst der große Boss!“ Er spürte, dass die blonde Praktikantin fast überzeugt war. Aber eben nur fast.
„Aber Fellger hat gesagt, dass du hier nichts zu sagen hast. Allein sein Wort ist entscheidend!“
Ron schmunzelte, denn Maike war unwillkürlich doch wieder zum ‚Du‘ übergegangen. „Das ist das kleine Restrisiko das bleibt. Entweder glaubst du einem fast ehemaligen Chefredakteur oder einem baldigen Bigboss. Fellgers Zeit hier ist so gut wie abgelaufen.“
Maike betrachtete ihre Fingernägel und meinte leise: „Aber er hat einen Brief aus New York. Ich habe ihn selbst lesen dürfen.“
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