Sie hatten die Siedlungen in den Bergen geräumt und in die Felder um Saran verlagert. Ein kompliziertes System aus Wällen, Palisaden und natürlichen wie künstlichen Wasserläufen sicherte das so gewachsene Saran gegen den Einfall möglicher Feinde ab. Es waren zähe Verhandlungen nötig gewesen, bis es soweit war. Jeder Clan hatte auf sein Recht bestanden, wollte nicht benachteiligt werden. Es ging um Hütten, Weiden, Vieh, Liegeplätze.. die Liste der Zugeständnisse war schier endlos. Phelan, der den Männern wortlos wie ein Schatten folgte, konnte hören, wie anstrengend das für Bajan, aber auch für den alten Sedat gewesen sein musste. Doch schließlich hatten sie alle zufriedengestellt. Sämtliche Siedlungen an der Küste hatten eine Befestigung erhalten, derart, dass die Verteidigung auch durch die Frauen erfolgen konnte, wenn die Männer in den Krieg zogen.
Bajan führte sie auf einen der Wachtürme, von dem man die ganze Anlage am besten überblicken konnte. Beeindruckt sahen die beiden um sich. Saran wirkte wirklich wie eine weitläufige Festung. Jeldrik pfiff sogar durch die Zähne. »Da habt ihr einen arbeitsreichen Winter hinter euch. Das können doch nicht nur die Sklaven geschaffen haben.«
»Nein, alle mussten mit anfassen und haben es erstaunlicherweise getan«, brummte Bajan.
Der Sedat lachte heiser. »Ihr habt ihnen auch gehörig bescheidgestoßen, Fürst«, gluckste er.
Bajan seufzte ungehalten. »Wohl wahr!« Schweigend betrachteten sie das Gewusel in der Siedlung. Eine solche Masse Menschen hatte es in der Geschichte Sarans noch nie gegeben, noch nicht einmal zu den Festen. In Phelan drängten sich jede Menge Fragen, die er jedoch beschloss, später zu stellen, wenn er mit dem Fürsten allein war.
Jeldrik musste einen ähnlichen Gedanken gehegt haben. Er wandte sich an den Sedat: »Nun, dann werde ich mal nach Vater sehen, sonst bekommt er noch einen Tobsuchtanfall. Wollt Ihr mich begleiten, Sedat?«
Endlich waren sie allein. Phelan holte Philine und sein Bündel vom Schiff, ignorierte alle mehr oder wenigen auffälligen Versuche, ihn in die nächste Schenke zu schleppen, und folgte Bajan in seine Hütte. Es war Abend geworden, Männer und Frauen strömten in die Schenken, um die Neuankömmlinge gebührend zu feiern und ihren Geschichten zu lauschen. Phelan war erleichtert, als er endlich die Tür der Hütte hinter sich schließen konnte.
»Fürst..« Etwas ratlos stand Phelan herum und wusste nicht, was er sagen sollte.
»Ich weiß«, brummte Bajan. Er begann, Zunder und Feuerholz zu schichten und das Feuer zu entfachen. Ein Kessel für Tee wurde aufgesetzt, Essen herbei geholt.. alles beobachtet von Phelan, der erschrocken darüber war, wie müde und fahrig Bajans einst so präzise Bewegungen wirkten.
Langsam setzte er sich. »Fürst, seid Ihr krank gewesen?«, fragte er schließlich.
Bajan hielt mit seinen Verrichtungen inne und warf ihm einen undefinierbaren Blick zu. »Denkst du das?« Phelan hob nur die Schultern und sagte nichts. Da seufzte Bajan und setzte sich endlich. »Es geht mir immer noch nicht wieder gut, das stimmt.«
»Aber..«
Bajan hob die Hand. »Ich weiß nicht, was es ist, es gibt hier keine Heilerin mehr, die sich das anschauen kann. Ich werde warten müssen, bis wir in Temora sind und Althea sich der Sache annehmen kann.«
»Bis dahin ist es ja nicht mehr lang«, sagte Phelan. »Wie lange eigentlich genau? Ich habe irgendwie jedwedes Zeitgefühl verloren.«
»Etwas mehr als zwei Monate noch, dann können wir fahren. Es hat sich allerdings eine unerwartete Wendung ergeben.«
»Welche?« Phelan merkte auf.
»Die Temorer bitten uns, nur mit den Clansführern zu den Verhandlungen anzureisen«, berichtete Bajan und reichte Phelan Brot und Fleisch.
Der biss ab und runzelte kauend die Stirn. »Nur mit den Clansführern? Was hat das zu bedeuten?«
»Das haben wir uns auch gefragt. Die Botschaft kam zudem nicht von Meister Anwyll, sondern von Mihal.«
»Von Mihal?« Den hatte Phelan aus Altheas Briefen nicht in guter Erinnerung. »Wie kann er.. Moment, heißt das etwa, dass sie Meister Anwyll ausmanövriert haben? Thea hat so etwas schon angedeutet.«
Bajan nickte ihm anerkennend zu. »So sieht es aus. Klarheit erlangten wir erst vor ein paar Wochen, als uns ein Bote von Mahin erreichte. Er lässt uns eine Warnung zukommen. Er sagt, dass die Temorer Zugeständnisse an die örtlichen Clansführer machen mussten, damit sie gemeinsam mit ihnen gegen den vermeintlichen Feind vorgehen. Die Clansführer fürchten um ihre Vormachtstellung.«
»Bitte?!«, rief Phelan aus. »Wir werden bedroht von dem schlimmsten Feind aller Zeiten, und sie fürchten nichts mehr als..« Ihm fehlten die Worte.
»Das ist das Wesen und der Kern jeder Politik, Phelan. So ist es nun einmal.«
»Und was werdet Ihr auf diese Politik antworten?«, fragte Phelan erbost.
Bajan spreizte seine Hände, und für einen Moment bekamen seine Augen den alten, kraftvollen Ausdruck zurück. Sie funkelten. »Wir haben ihrem Wunsch entsprochen und zugesagt, nur mit den Clansführern und deren Nachfolgern zu den Verhandlungen anzureisen. Allerdings.. das Einheitsfest ist immer noch frei, es kann kommen, wer will. Wenn also jemand seinen Sohn oder seine Tochter dort vorstellen will.. wer will das verhindern?«
Phelans besorgte Miene erhellte sich. »Wie viele wollen denn ihre Söhne und Töchter dort vorstellen?«
»Es sind zwar längst nicht alle, aber dennoch mehr, als ich gehofft hatte«, berichtete Bajan. »Jeldriks angekündigte Vorstellung hat den gewünschten Erfolg erzielt. Alle wichtigen Familien sind dabei.«
»Damit legt Ihr sie richtig schön herein«, stellte Phelan voller Genugtuung fest. »Das wird den Temorern nicht schmecken.«
»Es wird sie lehren, dass sich eine derartige Schwäche rächt, egal wie«, sagte Bajan. »Jahrelang haben sie tatenlos zugesehen und sich ausgegrenzt. Sie werden von ihrem Felsen herunterkommen müssen, ob es ihnen nun passt oder nicht.«
»Werden sie Euch akzeptieren?«, fragte Phelan vorsichtig.
»Das ist mir gleich«, brummte Bajan ungehalten. Dann seufzte er. »Ich komme als Berater Roars mit, und dann werden wir sehen. Mahin hat dich und mich eingeladen, bei ihm zu wohnen und von dort aus die Verhandlungen zu verfolgen, damit wir nicht gleich wieder gegen ein Tabu verstoßen. Denn Temora betreten dürfen wir nach wie vor nicht. Nach ihrem Brauch könnten wir uns offiziell auf dem Einheitsfest entschuldigen und um eine Begnadigung ersuchen.«
»Betteln, meint Ihr wohl!«, spie Phelan aus.
»Das werde ich auf keinen Fall tun, nicht für Anwyll und nicht für Roar, denn ich habe mir nichts vorzuwerfen. Und du auch nicht.«
»Nein, ganz sicher nicht!«
»Deine Anwesenheit als Sohn des Königs von Gilda ist jedenfalls unabdingbar, egal, ob du Temora betreten darfst oder nicht.« Bajan sah ihn ernst an. »Wenn es dazu kommt, dann musst du den Pakt für die Völker Moranns ausrufen.«
Phelan seufzte ungehalten. »Ich weiß! Fürst, hat der Bote noch etwas gesagt?«
»Zu Althea und Noemi? Nein, hat er nicht.«
»Hat er Briefe von ihnen mitgebracht?«
»Natürlich, dort hinten liegen sie. Mir hat sie nichts geschrieben, außer, dass alles in deinem Brief steht. Sie fürchtet die versteckten Diener und denkt, dass es so sicherer ist. Ich teile ihre Einschätzung. Der Bote sagte mir, dass sie außer Bryn noch zwei andere Diener ausfindig gemacht und in Temora geheilt haben.«
»Sprich, Thea hat sich ihrer angenommen. Himmel, so langsam wird es gefährlich für sie! Fürst, Ihr entschuldigt mich..« Die wartenden Briefe drängten alle anderen Fragen über die Clansführer und die möglicherweise auf ihn lauernden Sklaven in den Hintergrund.
»Ja, lies nur. Ich lasse dich allein«, antwortete Bajan, doch Phelan hörte ihn nicht mehr.
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